Hagia Sophia: Symbolik der Macht

Im Inneren der Hagia-Sophia. Foto: Adam Jones/CC BY-SA 2.0

Die Hagia Sophia, einst Kirche, dann Moschee und seit 1935 Museum, wird nach einem Gerichtsurteil wieder zur Moschee. Die Anhänger des türkischen Präsidenten jubeln, die UNESCO übt Kritik

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In der Türkei gibt es mehr als 80.000 Moscheen. Allein in Istanbul sind es 3200. Wenn Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan eine Megamoschee auf dem weithin sichtbaren Istanbuler Camlica-Hügel oder mitten auf dem Taksim-Platz, dem säkularen Herz der Stadt, erbauen lässt, geht es also keineswegs darum, dringend benötigten Platz für die in der jungen Generation ohnehin schwindenden Gläubigen zu schaffen. Sondern um eine Symbolik der Macht.

Doch es gibt seit Jahren ein Projekt, das all seine Neunbauten überragt: die Hagia Sophia. Einst als zentrale Kirche des orthodoxen Christentums erbaut, später von den Osmanen zur Moschee umgewidmet und schließlich 1934 von Atatürk im Rahmen der Säkularisierung in ein Museum verwandelt, das die Spuren von Christentum und Islam in sich vereint. Ein gigantisches Symbol beider Monotheismen, das auf dem Istanbuler Altstadthügel thront. Ein Zentrum der Stadtgeschichte, der Religionsgeschichte, der Weltgeschichte - und UNESCO-Weltkulturerbe.

Bild: falco/Pixabay

Islamisten fordern seit 1935, dass das Gebäude wieder als Moschee genutzt werden soll, Erdogan erneuerte diese Forderung immer mal wieder, wenn er sich bei seinen konservativ-religiösen Anhängern beliebt machen wollte. Aber so richtig glaubte niemand, dass er das eines Tages wirklich durchziehen würde.

Zu groß ist das Konfliktpotential, nicht nur mit der griechisch-othodoxen Kirche, sondern auch mit der UNESCO, die den Weltkulturerbe-Status rasch aberkennen könnte, etwa wenn bauliche Veränderungen vorgenommen oder christliche Wandgemälde entfernt werden sollten.

Nun ist es soweit: Das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei hat der Hagia Sophia den Museumsstatus aberkannt - und zwar mit einer aberwitzigen Begründung, die aus Erdogans Feder stammen könnte (und es möglicherweise auch tut): Die Hagia Sophia sei Eigentum des letzten Osmanen-Sultans und daher weiterhin eine Moschee.

Die Berufung auf Osmanisches Recht - das Recht eines lange nicht mehr existierenden Staatsgebildes - dürfte, um es mal vorsichtig auszudrücken, auf wackeligen Füßen stehen. Aber in einem Land mit einer fast gänzlich gleichgeschalteten und dem Willen des Präsidenten untergeordneten Justiz sind das kaum mehr als zu vernachlässigende Details.

Warum gerade jetzt?

Erdogan hat bereits den Verwaltungsakt angestoßen, mit dem die Hagia Sophia der türkischen Religionsbehörde Dianet unterstellt wird. Am 24. Juli soll das erste islamische Gebet vor Ort stattfinden. Für Touristen und andere Besucher soll die Hagia Sophia weiterhin zugänglich sein (wie auch alle anderen Moscheen).

Dass Erdogan so weit geht, christliche Elemente zu tilgen, ist unwahrscheinlich - zu groß ist die Gefahr, damit die Empörung zum Eklat und zu handfestem politischen Sprengstoff zu machen. Wahrscheinlich ist, dass sie hinter Vorhängen und Stellwänden verschwinden. Ob die UNESCO das akzeptiert ist aber fraglich.

Bleibt die Frage: Warum gerade jetzt? Die nächsten Wahlen finden erst 2023 statt, die Debatte darüber, sie vorzuziehen, ist noch reichlich unkonkret.

Vielleicht will Erdogan einfach den Effekt austesten. Zuletzt sind seine Umfragewerte in den Keller gerauscht, auch wegen seinem Umgang mit der Corona-Krise. Ob ein wenig Euphorie bei den religiösen Hardlinern das Steuer herumreißen kann, zumal für Jahre? Auch das ist eher wenig wahrscheinlich...

Bemerkenswert sind die unterschiedlichen Anmerkungen, die Erdogan zum Status der Hagia Sophia in Englisch und Arabisch macht. Auf Arabisch verbindet er das Zeichen, das mit der Hagia Sophia gemacht wird, mit der al-Aqsa-Moschee in Jersualem.