Vor 45 Jahren: Weltweit erster Computerladen öffnet in Los Angeles

Vor 45 Jahren, am 15. Juli 1975, öffnete das weltweit erste Computergeschäft. Natürlich an der Westküste der USA, in Los Angeles.

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Vor 45 Jahren: Weltweit erster Computerladen öffnet in Los Angeles

Erstes Produkt im Angebot des Shops: der Altair 8800.

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • René Meyer
Inhaltsverzeichnis

1975 ist das Jahr des Heimcomputers. In der berühmten Januar-Ausgabe der Zeitschrift Popular Electronics wird der Altair 8800 vorgestellt. Für 400 US-Dollar als Bausatz oder für 500 US-Dollar fertig montiert kann sich jeder seinen persönlichen Rechner nach Hause holen. Direkt vom Hersteller. Ähnliche Geräte entstehen, und Bastler tüfteln an eigenen Computern, die teilweise Einzelstücke sind.

Die Szene beginnt sich zu organisieren. Als erste Gemeinschaft gilt der Homebrew Computer Club, der sich im März 1975 zum ersten Mal trifft. In Menlo Park, stilecht in einer Garage.

Ein Teil dieser neuen Computer-Szene ist Richard "Dick" Heiser. 1973 erfüllt er sich den Traum eines eigenen Computers, einen "Naked Mini" von Computer Automation. Zusammen mit einem Fernschreiber, Bildschirm und zwei Floppy-Laufwerken und 8 Kilobyte Speicher kostet er 14.000 US-Dollar. Anderthalb Jahre später, im Frühjahr 1975, elektrisiert ihn die Vorstellung des Altair in der Zeitschrift Popular Electronics: Ein ganzer Computer für 400 US-Dollar, wo doch bereits für den einzelnen Prozessor, den neuen Intel 8080, über 300 US-Dollar verlangt werden. Mit dem Altair als Grundlage würde ein System, das mit seinem "Naked Mini" vergleichbar wäre, nur 4000 US-Dollar kosten.

The Computer Store (5 Bilder)

The Computer Store: Werbefoto. Dick und Lois Heiser.
(Bild: Dick Heiser)

Auf der National Computer Conference im Mai 1975 sieht er den Altair zum ersten Mal live. Hersteller MITS hat keinen Stand bekommen und zeigt das Gerät vor dem Kongresszentrum in einem umgebauten Wohnmobil, dem "MITS Mobil", mit dem der Hersteller für Werbezwecke durch die Staaten tourt. In dem Fahrzeug ist etwas, was niemand sonst hat: ein billiger Computer, der mit BASIC läuft.

Fasziniert beobachtet er den Andrang bei der Präsentation, die vielen Fragen der Interessenten. Ihm wird klar, dass die neuen Mikrocomputer ein Markt sind; und ihm kommt die Idee eines Ladengeschäfts, das den Altair verkauft, berät und Dienstleistungen anbietet. Heiser fliegt zu MITS nach Albuquerque und unterschreibt beim Vater des Altair, Ed Roberts, als Wiederverkäufer.

Die Bank ist nicht überzeugt und lehnt einen Kredit für ein Computergeschäft ab. Seine Eltern schießen Geld zu, seine Frau Lois unterstützt das Vorhaben. So wird ein 110 Quadratmeter großer Laden im Westen vom Los Angeles gemietet, für 225 US-Dollar im Monat.

Heute vor 45 Jahren, am 15. Juli 1975, öffnet der Laden. Sein Name: Arrowhead Computer Co. Doch bekannt wird er unter seinem Slogan, der darunter steht: The Computer Store. Eine Feier gibt es nicht. Die ersten Besucher sind Passanten. Eine zweizeilige Anzeige in der Los Angeles Times lockt Interessenten aus der Umgebung an:

Altair 8800 Computers – "The Computer Store" – 478-3168.

Bald folgen größere Anzeigen; und Heiser verteilt Flyer in passenden Unternehmen.

Die Kunden sind nicht nur Rechner-Enthusiasten. Viele haben noch nie einen Computer aus der Nähe gesehen. Ein Geschäft wie dieses bietet ihnen zum ersten Mal die Möglichkeit, sich an eine Tastatur zu setzen und sich beraten zu lassen. So ist ein gut ausgestatteter Altair für Vorführungen und Spiele das Herzstück des Ladens. Im Hinterzimmer wird gelötet und gebastelt.

Mit dem Altair sich lässt sich nicht viel verdienen. Doch Heiser lernt schnell, dass die Käufer dieser Computer gern ein Vielfaches für Zubehör ausgeben. Zumal der Altair in der Grundkonstellation weder Tastatur noch Bildschirm hat. Nur Kippschalter zum Programmieren in Maschinencode und LEDs als Anzeige. Aber er ist erweiterbar; und ohne Erweiterungen kann man kaum etwas mit dem Gerät anfangen. Der Speicher beträgt nur 256 Byte. Die Platine lässt Platz für drei weitere Chips mit je 256 Byte; aber auch mit einem Kilobyte kommt man nicht weit.

Abhilfe schaffen zusätzliche Karten mit 1 oder 4 Kilobyte RAM. Zum dauerhaften Speichern braucht es eine serielle Schnittstelle und einen Kassettenrekorder. Für Ein- und Ausgaben zum Beispiel einen Fernschreiber, und auch er benötigt eine Schnittstelle. Oder einen Fernseher, und für den, man ahnt es, muss eine Schnittstelle erworben werden. Für solche Erweiterungskarten begründet der Altair neben seinen Klonen wie dem IMSAI 8080 den ersten PC-Standard, den S-100-Bus.

Und es braucht Software. Zu den prägendsten Anekdoten der PC-Ära gehört, wie Paul Allen und Bill Gates durch die Altair-Ausgabe der Popular Electronics inspiriert werden, einen BASIC-Interpreter für den Computer anzubieten – und ihn innerhalb weniger Wochen auf einem Emulator des Prozessors Intel 8080 zu entwickeln. Die Software läuft auf Anhieb auf dem Altair; und Micro-Soft (damals noch mit Bindestrich) ist geboren.

MITS vertreibt Altair BASIC in einer 4K- und einer komfortableren 8K-Version und veröffentlicht damit eines der ersten kommerziellen Programme für Mikrocomputer – auch wenn die meisten Nutzer die Software unter der Hand kopieren. Was zum berühmt gewordenen "Open Letter to Hobbyists" führt, in dem sich Bill Gates im Januar 1976 beklagt, dass nur jeder zehnte Altair-Besitzer BASIC gekauft hätte.

Neben der Hardware und der Software ist Literatur ein wichtiges Standbein des Ladens. Zum einen gibt es Zeitschriften wie Creative Computing (ab Oktober 1974) und Byte (ab September 1975). Zum anderen Bücher. 1973 erscheint das Buch "101 BASIC Computer Games" von David Ahl mit Listings für sechs BASIC-Varianten, dem 1978 eine zweite Ausgabe folgt, die an den Altair angepasst ist.

Spiele entwickeln sich rasch zum bevorzugten Einsatzzweck eines Computers; und zu einer Zeit, als man sie noch nicht im Laden kaufen kann, gerät das Buch zu einem enormen Erfolg. Es gilt als erstes Computerbuch, von dem eine Million Exemplare verkauft werden; 1980 erscheint auch eine deutsche Ausgabe. Ein weiteres populäres Buch hat zwei Teile und zwei Covers: "Computer Lib" und "Dream Machines" von Ted Nelson (der zwei Jahre später selbst einen Computerladen öffnet). Es erscheint kurz vor dem Altair und gilt als erstes Buch über persönliche Computer.

Anwendungssoftware verkauft der Laden noch gar nicht; aber man entwickelt Systemprogramme. Von IBM schaut sich Heiser die Idee ab, nicht nur Produkte, sondern auch Dienstleistungen und Lösungen anzubieten; und dazu zählen selbstentwickelte Programme für individuelle Probleme.

Bereits im ersten Monat macht der Laden 10.000 US-Dollar Umsatz. Die erste Angestellte ist seine Frau, und schon bald wird das Geschäft zu klein für alles. Im Frühjahr 1976 zieht man in viermal so große Räume nach Santa Monica. Es kommen weitere Mitarbeiter hinzu. Die Umsätze wachsen auf 50.000-60.000 US-Dollar im Monat.

Die Zusammenarbeit mit dem Altair-Hersteller ist nicht einfach. MITS verlangt Exklusivität, verbietet also das Anbieten anderer Computer wie des erfolgreichen Klons IMSAI 8080. Und MITS verlangt Vorkasse. Sorgen bereitet Heiser auch das Vorgehen von MITS, das beliebte BASIC mit Speicherkarten zu bündeln, die notorisch ausfallen. Doch bereits 1976 wird MITS verkauft; und mit den neuen Eigentümern kommt Heiser noch weniger zurecht. Fortan hat "The Computer Store" andere Modelle im Programm, wie den Apple II und den PET von Commodore.

Freilich finden sich bald Nachahmer. Im Dezember 1975 öffnet Paul Terrell in Mountain View den ersten Byte Shop, dem weitere folgen. In die Geschichte des Heimcomputers geht der Byte Shop ein, weil er Apple mit dem ersten Großauftrag versorgt: 50 Exemplare des Apple I. 1976 öffnet Stan Veit den ersten Computerladen in New York: Computer Mart.

Mehr als 900 meist kleine Computerläden gäbe es bereits in den USA, schreibt die Popular Electronics im Dezember 1977; ungefähr ein Viertel wären in Kalifornien. Hinzu kommen die amerikanischen Gegenstücke zu Conrad, die ab 1977 ihre eigenen Geräte verkaufen: Radio Shack den TRS-80, Heathkit den Bausatz H8.

1982 verkauft Dick Heiser seinen Laden, um sich dem Halten von Computerkursen und dem Schreiben zu widmen. In wenigen Wochen wird er 79 Jahre alt.

(axk)