Mozilla entlässt ein Viertel aller Mitarbeiter

Die Browserschmiede stellt sich der durch die Cornonavirus-Pandemie noch verschärften wirtschaftlichen Realität und kündigt tiefe Einschnitte an.

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Mozilla entlässt ein Viertel aller Mitarbeiter

Auch der Standort in Berlin ist wohl von Entlassungen betroffen.

(Bild: Mozilla)

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Die Mozilla Corporation entlässt weitere 250 Mitarbeiter und will das Unternehmen auf mehr Produktorientierung und Wirtschaftlichkeit trimmen. Wegen der Coronavirus-Pandemie habe sich die wirtschaftliche Situation noch einmal verschlechtert und die bisherigen Pläne für das Jahr 2020 seien damit nicht mehr durchführbar, teilte CEO Mitchell Baker am Dienstag mit. Von den Entlassungen ist rund ein Viertel der gesamten Belegschaft betroffen, die zuvor per E-Mail über die Veränderungen informiert worden war.

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Wie aus der ebenfalls veröffentlichen E-Mail hervorgeht, sind offenbar alle internationalen Niederlassungen betroffen. Neben dem Hauptquartier in Mountain View hat Mozilla in Nordamerika noch Niederlassungen in Portland, San Francisco, Vancouver und Toronto. Darüber hinaus gibt es Büros in Berlin, London, Paris und Peking. Das taiwanische Büro in Taipeh soll ganz geschlossen werden. Die von den Entlassungen betroffenen Mitarbeiter sollen unter anderem ihre zugesagten Boni erhalten sowie eine Abfindung, die mindestens das Restjahresgehalt umfassen soll.

Gerüchten zufolge stehen auch am deutschen Standort Entlassungen an. Die Berliner Niederlassung war 2017 in größere Büros umgezogen und galt mit knapp 50 Mitarbeitern als eine der größten Auslandsniederlassungen des Unternehmens. Doch ob und wie viele Berliner Kollegen von den Maßnahmen betroffen sind, wollte Mozilla auf Anfrage nicht sagen. Eine Sprecherin verwies gegenüber heise online auf den öffentlichen Blogeintrag der Chefin.

Mit den Entlassungen geht eine Umstrukturierung des Unternehmens einher, die die Wettbewerbsfähigkeit stärken und die Umsatzlage verbessern sollen. "Strukturell werden wir uns anders aufstellen, um schneller und flexibler agieren zu können", schreibt Baker. "Wir werden mehr experimentieren und uns schneller an Gegebenheiten anpassen. Wir werden uns öfter mit Verbündeten außerhalb unserer Organisation zusammentun und dabei effektiver sein."

Das neue Mozilla soll sich dabei stärker "auf Produkte" und "Wirtschaftlichkeit" konzentrieren. Dabei müsse der Fokus wieder mehr auf Nutzwert liegen, meint Baker, und auf Produkten, "die Gefahren reduzieren oder die Probleme angehen, mit denen Menschen heute konfrontiert sind". Zentrale Erkenntnis aber ist, "dass unser altes Modell, bei dem alles kostenlos war, seine Konsequenzen hat. Daher müssen wir uns mit anderen Geschäftsoptionen und alternativen Möglichkeiten für einen Wertaustausch befassen."

Die Schwierigkeit für Mozilla besteht auch darin, eher weltliche Dinge wie Produktentwicklung und Wirtschaftlichkeit mit einem ausgeprägten progressiven Wertesystem und einer starken Community unter einen Hut zu bringen. "Mozilla kann als 'technisches Powerhouse' innerhalb der aktivistischen Internetbewegung gesehen werden", schreibt Baker und betont: "Und genau das müssen wir auch bleiben."

Zugleich fordert die neue alte CEO aber auch eine neue Denkweise: "Um aber echte Veränderung zu ermöglichen, müssen wir unsere kollektive Denkweise vom reinen Verteidigen, Schützen und Bewahren von Teilen dessen, was wir so lieben, umlenken; wir müssen eine Geisteshaltung annehmen, die proaktiv und neugierig ist und die sich mit den Menschen draußen in der Welt befasst."

Mozilla hatte erst im Januar angekündigt, rund 70 Mitarbeiter zu entlassen. Das Unternehmen plagen sinkende Einnahmen, die zu einem substanziellen Teil aus Verträgen mit Suchmaschinen stammen, die im Browser voreingestellt sind. 2018 verzeichnete das Unternehmen einen Verlust. Von 450 Millionen US-Dollar Umsatz im Jahr 2018 hat Mozilla knapp 430 Millionen als Lizenzeinnahmen ausgewiesen. Die setzen sich fast ausschließlich aus Beteiligungen an Werbeeinnahmen zusammen, die Vertragspartner Google ausschüttet.

Das Unternehmen ist abhängig vom Werbemarkt sowie dem Marktanteil bei Browsern – und seinem mächtigsten Konkurrenten auf dem Browsermarkt. Der nach dem Bruch mit Yahoo 2017 mit Google geschlossene Vertrag läuft im Herbst aus, noch gibt es keine Nachrichten über eine Verlängerung. Auch wenn die wahrscheinlich ist: Ein neuer Deal dürfte weniger Geld einbringen als bisher. Der Marktanteil von Firefox ist seit 2017 weiter gesunken – und auf der relevanten Plattform Smartphone tut sich Mozilla schwer.

Schon Anfang des Jahres war dem Mozilla-Management klar, das es vermarktbare Produkte braucht – nur dauert deren Entwicklung länger als erwartet. Inzwischen bietet Mozilla in ausgewählten Ländern einen kostenpflichtigen VPN-Dienst an. Der soll wohl weiterentwickelt werden. Nach der Umstrukturierung will Mozilla zudem neue Produkte schneller entwickeln und auf den Markt bringen, damit sie zum Umsatz beitragen.

Weniger umsatzträchtige Aktivitäten werden offenbar massiv zurückgefahren. Nach unbestätigten Informationen von Twitternutzern sind unter anderem die Teams für Threat Management, Mixed Reality, die Dokumentation und die Programmiersprache Rust von den Entlassungen massiv betroffen. Das Unternehmen wollte sich zu Einzelheiten der Maßnahmen aber nicht äußern.

Update 12.08.2020: Informationen zu Einnahmen, Marktanteilen und den Entlassungen in den letzten vier Absätzen ergänzt.

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