Drehbarer Eiffelturm

Die Agentur für Spunginnovationen will ein neues Windrad entwickeln, das alle bisherigen Dimensionen sprengt.

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Die neu gegründete Agentur für Sprunginnovationen (Sprin-D) hat ihre erste Projektgesellschaft gegründet. Sie soll eine sogenannte „Höhenwindkraftanlage“ entwickeln. Wobei ich den Begriff etwas missverständlich finde: Ich habe dabei zuerst an fliegende Generatoren, Drachen oder sonstwas abgeflogenes gedacht. Tatsächlich handelt es sich dabei aber lediglich um größere Windräder – mit Nabenhöhen von 200 bis 300 Metern, im Vergleich zu den rund 160 Metern aktueller Anlagen.

Ist das nun wirklich eine Sprunginnovation – also etwas, was ganze Branchen „disruptieren“ wird?

Mit technischen Details hält sich die Agentur bei ihrer Ankündigung zurück. Nur soviel: Der Generator steckt nicht mehr in der Gondel, sondern im Fuß; der Turm ist nicht mehr rund, sondern dreieckig; nicht mehr die Gondel dreht sich, sondern der gesamte Turm. Diese Konstruktion soll höhere, leichtere und preiswertere Windräder ermöglichen.

Zur anvisierten Leistung macht die Sprin-D keine Angaben. In einem älteren Gastbeitrag für „Erneuerbare Energien“ spricht Erfinder Horst Bendix von acht Megawatt. Das klingt angesichts der gewaltigen Dimensionen überraschend wenig, dringen moderne Anlagen doch längst in den zweistelligen Megawattbereich vor. Doch wir sind hier nicht beim Autoquartett: Es geht nicht um die Spitzenleistung, sondern um eine verlässliche Stromversorgung im Binnenland. Dazu braucht man möglichst viele Volllaststunden. Da in großer Höhe der Wind gleichmäßiger weht, macht die Kombination von hohem Mast, großem Rotor und vergleichsweise kleinem Generator durchaus Sinn.

Bei konventionellen Betontürmen begrenzt schon allein die Logistik das Höhenwachstum: Irgendwann werden die Bauteile so groß, dass sie über keine Autobahn mehr passen. Hier setzt Bendix‘ Konzept an: Da der schwere Generator unten sitzt, braucht der Turm nicht mehr so viel Gewicht zu tragen. Und da er dreieckig ist und – wie eine Bockwindmühle – als Ganzes drehbar, kann er sich gewissermaßen nach Lee am Boden abstützten und braucht keine so hohe Biegelasten mehr auszuhalten. Entsprechend leichter kann er ausfallen. Laut SprinD lässt er sich aus normalen Stahlrohren zusammenbauen.

Und wie genau wird die Kraft vom Rotor nach unten transportiert? Auch dazu ist auf der Sprin-D-Webseite wenig zu erfahren. In seinem Gastbeitrag von 2018 wird Bendix konkreter: „Ein neuer, besonders klug gestalteter drahtseilverstärkter und endlos-schlaufenbildender Treibgurt läuft über passende Führungswalzen und mit einem bestimmten Übersetzungsverhältnis im Inneren der Vertikalsäule nach unten auf die zugehörige untere Gurtscheibe.“

Oha. Ein drehbarer Eiffelturm mit einem durchgehenden hochbelasteten Antriebsriemen? Das klingt mechanisch nicht ganz trivial. Bendix verweist auf ähnlich dimensionierte Maschinen wie Braunkohlebagger und riesige Krane. Aber ob es wirklich Riemen geben wird, die so hohe Leistungen über lange Zeit übertragen können? Die Sprin-D scheint darin jedenfalls kein Problem zu sehen: Sie bezeichnet die Anlage als „wissenschaftlich und maschinenbaulich sauber durchkonstruiert“. Hoffen wir mal, dass sie Recht behält.

Bleibt die Frage: Wo ließen sich solche Anlagen überhaupt aufstellen? Mit 110 Meter langen Rotorblättern kämen sie auf eine Höhe von bis zu 410 Metern. In Bayern wäre damit ein Abstand von 4,1 Kilometern zur nächsten Wohnbebauung vorgeschrieben. Im gesamten Freistaat gäbe es also, überschlägig geschätzt, ungefähr null Standorte.

Nun gilt in der Rest der Republik – abhängig vom Bundesland – meist ein Abstand von 1000 Metern. Die tatsächliche Höhe der Windräder ist also unerheblich. Zumindest rein rechtlich gesehen. Die Akzeptanz der Bürger würden die Gitterrohr-Giganten aber sicherlich nicht erhöhen, zumal ihr Design nicht wirklich schlank daherkommt. Vorsorglich schreibt die SprinD: „Außerdem sind Höhenwindräder die intelligenteste Lösung zur Neuausrichtung der ehemaligen Braunkohlereviere.“ Dort mögen sie in der Tat wenig stören, doch dies bleibt eine Nische.

Anders formuliert: Das eigentliche Problem der Windkraft ist ja nicht mangelnde Effizienz, sondern mangelnde Akzeptanz. Eine Erfindung, die auf Kosten der Akzeptanz mehr Effizienz verspricht – welches Problem genau soll sie lösen?

Fazit: Technisch scheint das Ganze durchaus plausibel. Doch es verströmt den Geruch technischer Machbarkeitsphantasien aus den Sechzigern und Siebzigern. Das eigentliche Problem ist schließlich kein technisches, sondern ein gesellschaftlich-politisches. Den Stoff, aus dem Sprunginnovationen sind, habe ich mir immer anders vorgestellt.

(grh)