Setzt Corona nicht die Krone auf

"Quarantine hair! No job, no place to go, nothing to do so pink bubblegum hair color it is." Bild: Sharon McCutcheon/Unsplash

Kommentar. Die Eindämmungsmaßnahmen und der viel gescholtene Leichtsinn der Jugend: Brauchen wir Corona-Influencer? Oder wäre es schon ein Weg, weniger zu mahnen und zu meckern?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Weniger Haltung und dafür mehr Neugier wünschte sich Media Pioneer Gründer Gabor Steingart Anfang des Monats von Journalisten. Er adressierte damit die Berichterstattung über die Protestbewegung gegen die Corona-Maßnahmen und registrierte allgemein den Hang zu einer gewissen Apodiktik:

"Wer sich im geistigen Ideenraum eines Journalisten befindet, darf mit öffentlicher Belobigung rechnen. Wer sich außerhalb dieser selbst gezimmerten Kathedrale aufhält, dem versucht man mit den Methoden des Exorzismus beizukommen."

Es lässt sich tatsächlich kaum übersehen, dass viele Medien, wenn es um die Coronakrise geht, die Rolle von Erziehern, Lehrern und Mahnern angenommen haben - interessanterweise die privaten sogar mehr als die öffentlich-rechtlichen. Ein paar zufällig herausgepickte Beispiele von Headlines aus den letzten 24 Stunden:

"Die Impfbereitschaft nimmt ab, das Händewaschen wird wieder seltener…. Die Ergebnisse, die dem SPIEGEL vorliegen, sind beunruhigend." Spiegel Online

"Der schreckliche Weg zur Herdenimmunität" Spiegel Online

"Nur auf Intensivbetten zu schauen, wäre zynisch. Wer beim Corona-Schutz wartet, bis die Kliniken voll sind, nimmt Tote in Kauf. Wir alle müssen jetzt gemeinsam den Ausbruch eindämmen - und so Leben retten." Zeit Online

"Der Konsens bröckelt. Viele Bürger verhalten sich im Privaten wie vor der Pandemie: Umarmung hier, Küsschen da. Doch auch ein sehr gutes Gesundheitssystem stößt irgendwann an seine Grenzen. Ignorieren wir also nicht die Gefahr." FAZ

Der Konsens bröckelt, das bringt es ganz gut auf den Punkt. Viele rufen nach mehr Disziplin und viele blicken nun mahnend auf die Jugend. In Bayern beispielsweise ist jeder zweite Neuinfizierte laut Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) 15 bis 34 Jahre alt.

Obwohl Journalisten gebetsmühlenartig wiederholen, dass junge Menschen schwer an Corona erkranken können und drastische Verläufe in allen Einzelheiten schildern, scheint die Angst vor der Krankheit sich bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Grenzen zu halten. Und tatsächlich gibt die Statistik ihnen ja Recht, wenn es auch seltene Ausnahmen gibt.

Mit dem Schüren von Angst kommen wir dem Freiheitsdrang von (jungen) Menschen nicht bei, und es ist ein ethisch fragwürdiges Mittel. Kinder und junge Menschen sind weltweit die Verlierer der Corona-Krise. Laut Unicef könnte sich wegen der Beschränkungen die Zahl der unterernährten Kinder unter fünf Jahren weltweit um fast sieben Millionen erhöhen.

Auch in Deutschland haben Kinder und Jugendliche bereits viel geopfert, denn selbst wenn es nur Monate der Freiheit und des unbeschwerten Zusammenseins gewesen sein sollten - diese sind wertvoll und unwiederbringlich verloren. Corona und der drohende Kollaps der Weltwirtschaft verunsichern junge Menschen immens. Corona-Maßnahmen beeinträchtigen ihre Zukunftschancen, den Arbeitsmarkt und ihr soziales Umfeld.

Vorbilder gegen den Leichtsinn

Von Egoismus und Leichtsinn spricht sich leicht, wenn man sein Schäfchen bereits im Trockenen hat. Und ist es nicht umgekehrt allergrößter Leichtsinn, wie wir mit den Ressourcen der Erde umgegangen sind und noch umgehen, als bräuchten unsere Kinder kein Morgen?

Doch bevor der Autor selbst zu dem wird, was er anderen vorwirft, nämlich Mahner und Erzieher, soll ein Blick in die aktuellen Empfehlungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Orientierung geben. In einem Appell an Bund und Länder fordert die Leopoldina klare und einheitliche Corona-Regeln für Herbst und Winter.

Interessant für unser Thema wird es bei Punkt 3: Verantwortungsvolles Verhalten erleichtern. Es gelte, so die Wissenschaftler,

"Jugendliche und junge Erwachsene stärker als bisher in ihren besonderen Bedürfnissen wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Es sollten Verhaltensempfehlungen entwickelt werden, die es jungen Menschen erlauben, diese Lebensphase unter den Bedingungen der Pandemie verantwortlich zu durchlaufen. Dazu ist u.a. eine zielgruppenspezifische Aufklärung in den von diesen Gruppen genutzten Medien notwendig, möglichst unter Beteiligung einflussreicher Vorbilder und 'Influencer'".

Schon cool, dass eine so ehrwürdige Arbeitsgruppe aus lauter Prof.Dr.s Influencer bemühen möchte, wenn auch nur in Anführungsstrichen. Einige Medien haben das Thema bereits aufgegriffen, zwei Beispiele:

"Ja, das wär’s natürlich: Irgendjemanden finden, der das mit Corona mal klarstellt, damit sich fortan alle vernünftig benehmen und keine illegalen Partys mehr feiern…Das ist beim Partyvolk nicht einfach, die hören nicht auf jeden - eine radikal verjüngte Mischung aus Udo Lindenberg, den Toten Hosen, den Ärzten und Helene Fischer in einer Person könnte eventuell was bewegen." (Tagesspiegel, Printausgabe)

Da kann man sich viel von den asiatischen Ländern abschauen, wie verständlich dort in Videoclips über Covid-19 informiert wird. Daher ist es gut, wenn zum Beispiel Influencer oder Bands ihre Zielgruppen weiterhin an die Maskenpflicht erinnern.

Infektiologe Clemens Wendtner im Gespräch mit der FAZ

Mein 16-jähriger Sohn findet die Idee jedoch leider nicht gut, die Strategie sei einfach zu durchschaubar. Einig sind wir uns aber darin, dass es der richtige Weg ist, aufzuklären, ohne zu drohen, zu mahnen und zu meckern. (Negativbeispiele wären "Tödlicher Leichtsinn" oder "Kein Abstand, keine Maske - Sind wir zu sorglos".)

Das rät auch die Leopoldina:

"Ein medialer Fokus auf Abweichungen von diesen Verhaltensregeln birgt die Gefahr des Bumerang-Effekts: Es entsteht dann die Wahrnehmung, die meisten hielten sich ohnehin nicht an die Verhaltensregeln und die Nichtbeachtung der Regeln sei die Norm."

Manchmal ist mehr eben weniger. Oder um es mit einem Aufruf aus der Welt zu sagen, der bei den Kollegen hoffentlich auf offene Ohren stößt: "Es muss wieder leiser werden, damit wieder mehr hinhören wollen."