Syrische Flüchtlinge im Libanon: Hungersnot und Obdachlosigkeit drohen

Angst um die eigene Existenz nimmt durch Wirtschaftskrise, Corona-Pandemie und den Folgen der gigantischen Explosion in Beirut zu

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Etwa 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge befinden sich Schätzungen zufolge im Libanon. Bei einer Zahl von 6 Millionen Einwohnern machen Flüchtlinge ca. ein Viertel der Bevölkerung im Libanon aus. Nach der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien versuchten diese im Nachbarland ein neues Leben aufzubauen, doch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verblasste für viele von ihnen von Zeit zu Zeit. Die Angst um die eigene Existenz nimmt durch die Wirtschaftskrise, der Corona-Pandemie und der gigantischen Explosion in Beirut (und den damit verbundenen Folgen) zu.

Die tragische Explosion Anfang August sorgte für mindestens 135 Tote (mindestens 43 davon waren Syrer/Syrerinnen), Tausende Verletzte und Hunderttausende Obdachlose. Die halbe Stadt ist verwüstet und erinnert an ein Kriegsgebiet. Die Bilder dürften insbesondere für die Flüchtlinge Erinnerungen wecken, die sie eigentlich hinter sich lassen wollten. Doch leider trifft es genau diese ein weiteres Mal am härtesten.

Erneute Heimatlosigkeit

Die 16-jährige Dima Hajj-Staifi stammt ursprünglich aus der syrischen Provinz Idlib. 2014 musste sie mit ihrer Familie aus ihrer Heimat fliehen, da ihr Haus das Ziel von Luftangriffen wurde. Der Nachrichtenagentur Middle East Eye berichtet sie davon, dass sie ihre Mutter und zwei Schwestern durch die Explosion in Beirut verloren hat:

Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie weg sind. Ich versuche meine Augen fest zu schließen und stelle mir meine Schwestern und meine Mutter vor. Ich umarme sie fest in meinen Träumen und sage ihnen, dass alles in Ordnung ist.

Viele Syrer drücken ihre Reue aus, nach Libanon geflüchtet zu sein, denn nun stehen sie erneut ohne Heim da. Andere wiederum hausen in ihren zerstörten Wohnungen, denen Fenster, Türen und sogar ganze Wände fehlen. Gerade bei kleinen Kindern besteht hierbei die große Gefahr, dass sie versehentlich aus dem Appartement stürzen, aber eine alternative Wohnmöglichkeit zu den zusammengebrochenen Gebäuden gibt es nicht.

Eine Rückkehr nach Syrien ist ebenso ausgeschlossen, denn unter dem Assad-Regime ist die Gefahr zu groß, als Oppositioneller gefoltert oder gar getötet zu werden. Dieser Umstand macht es auch schwierig, in die Türkei auszuwandern, denn der kürzeste Weg dorthin führt ebenso über syrisches Terrain oder mit dem Boot über das Mittelmeer. Erneut in ein anderes Land zu flüchten, ist selbstverständlich auch ein enormes Risiko, wofür man vor allem viel Geld benötigt.

Nahrungsmittelknappheit und die Angst vor dem Winter

Hinzu kommt, dass viele im Libanon nicht nur ihr Heim, sondern auch ihre Jobs verloren haben. Für Syrer ist der Erwerb einer Arbeit um einiges schwieriger als für Einheimische und sehr häufig sind sie Diskriminierungen und unmenschlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt.

Bereits vor der Explosion von 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen Beiruts war das Leben der Flüchtlinge nicht einfach. Über 75 Prozent befinden sich unter der Armutsgrenze und die Lebensmittelknappheit ist seit Monaten ein großes Problem im Land, welches 80 Prozent des Bedarfs an Nahrung importieren muss. Mit dem Ausfall des Hafens als Zentrum für Import nimmt die Hungersnot dramatisch zu.

Für viele Einwohner resultierte die Katastrophe, bei der der Hafen Beiruts zerstört wurde, aus langjähriger Korruption und die Unfähigkeit der Regierenden einen funktionierenden Staat zu errichten, in dem Rechtsstaatlichkeit herrscht.

Nach dem Rücktritt der Regierung Hassan Diabs erweist es sich immer noch als große Herausforderung eine neue Regierung zu bilden, was bedeutet, dass die politische Handlungsfähigkeit zur Unterstützung der Einwohner Libanons von Seiten des Staates ebenfalls ausbleibt. Je mehr Zeit hierfür vergeudet wird, umso länger muss die Bevölkerung auf Unterstützung warten. Das Schicksal von Millionen bleibt dadurch in der Schwebe.

Fraglich ist auch, ob man sich nach einer Regierungsbildung überhaupt um die Flüchtlinge kümmern wird, denn bisher sind sie zum Großteil auf sich allein gestellt. In Anbetracht der prekären Lage, die gekennzeichnet ist von Obdachlosigkeit, zerstörten Wohnmöglichkeiten, Nahrungsmittelknappheit, Inflation und der Corona-Krise, wird es schwierig für die Bevölkerung den kommenden Winter zu überstehen.

Aufgrund der schwierigen Lebenssituation und den undichten Wohnräumen sind viele Flüchtlinge bereits im vergangenen Winter aufgrund der Kälte gestorben und der kommende Winter droht umso tödlichere Folgen mit sich zu ziehen, wenn keine Regierung zustande kommt und die internationale Gemeinschaft eine weitere bevorstehende Katastrophe ignoriert.