Bergwandern: Royal Enfield Himalayan im Test

Bei der indischen Reiseenduro mit altmodischer Technik und wenig Leistung geht es ums Reisen und nicht ums Rasen. Vor allem aber kommt sie überall durch und an.

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Bergwandern: Royal Enfield Himalayan im Test

(Bild: Ingo Gach)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Ingo Gach
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Die Royal Enfield Himalayan verzichtet auf gigantische PS-Zahlen und Elektronikfirlefanz, sondern setzt auf Zuverlässigkeit, Bescheidenheit in Leistung und Verbrauch und erschwingliche Preise. Dieses Motorrad wurde von Royal Enfield entwickelt, um im Himalaya zu fahren, dem höchsten Gebirge der Welt. Das klingt erst einmal nach mindestens 100 PS, um die steilen Pässe zu erklimmen, ganz langen Federwegen, um die tiefen Löcher und den Schwimmschotter zu überwinden und modernster Elektronik, die Stürze verhindern soll.

Doch heraus kam die Himalayan mit einem luftgekühlten 411-cm3-Einzylindermotor, der maximal 24 PS leistet. Die Federwege betragen zwar immerhin 200 mm, doch lässt sich weder die dünne 41-mm-Telegabel, noch das hintere Federbein in Zug- oder Druckstufe einstellen. Das modernste an der Elektronik dürfte die Zündung sein.

Royal Enfield Himalayan im Test (6 Bilder)

Die Himalayan bietet zwar nicht gerade modernste, aber dafür zuverlässige Technik an – abseits befestigter Straßen kann das zu einem wichtigen Vorteil werden.

Aber hinter dem Projekt steckt Siddartha Lal, der Boss von Royal Enfield persönlich, und der ist seit langem ein begeisterter Himalaya-Reisender mit entsprechend viel Erfahrung. Er wollte unbedingt ein Motorrad, das sich besser als die betagte Royal Enfield Bullet eignet, um bis auf über 5000 Meter Höhe zu gelangen und auch die übelsten Pisten zu bewältigen. Der Einzylinder-Langhuber hat immer noch weltweit viele Fans, in Indien ist Royal Enfield Kult. Die Reiseenduro ist vor allem für den indischen Markt gedacht und musste deshalb bezahlbar bleiben, High-Tech-Komponenten verbieten sich da von alleine. Dennoch schwört Lal, dass es kaum etwas Besseres für das Himalaya gibt.

Der PS-verwöhnte Mitteleuropäer neigt dazu, sich über die Himalayan lustig zu machen, aber Achtung: Sie kann vielmehr, als man ihr auf den ersten Blick zutraut. Wer auf einem nepalesischen Hochgebirgspass vom Steuergerät seiner mit Elektronik vollgestopften Reiseenduro eine Fehlermeldung bekommt, steckt unweigerlich für lange Zeit dort fest. Die Vorteile einfacher Technik haben sich auch schon bei uns herumgesprochen, und so griffen bereits etliche Globetrotter zur Himalayan aus Indien, denn sie lässt sich fast überall mit simplen Mitteln reparieren. Außerdem ist sie mit nur 4699 Euro ein echtes Sonderangebot unter den Reiseenduros.

Unser Testexemplar mit dem rot-schwarz lackierten Tank wurde uns freundlicherweise vom Motorradhaus Stocksiefen in Nauheim zur Verfügung gestellt. Schon ihr Anblick hat etwas Archaisches und sie umweht der Hauch des Abenteuers. Royal Enfield setzt auf bewährte Konstruktionen wie einen Doppelschleifenrahmen aus Stahl, der im Notfall auch bei einem Dorfschmied in Tibet wieder zurechtgedengelt werden kann.

Die Himalayan hat gleich zwei vordere Kotflügel: Einen direkt über dem Rad, der den Dreck abfängt, und einen weiteren eine Handbreit darüber. Den oberen hätte man auch weglassen können, aber er passt halt besser zum Stil. Die Telegabel verfügt über nostalgisch wirkende Faltenbälge, doch in diesem Fall sollen sie nicht Akzente für ein Retro-Modell setzen, sondern tatsächlich ihrer ursprünglichen Aufgabe nachkommen: Die Gabeltauchrohre vor Steinschlag schützen. Ihre Federung entpuppt sich als sehr weich ausgelegt, ebenso wie das hintere Federbein, das sich über eine Umlenkung an der Kastenschwinge aus Stahl abstützt.

Auffällig sind die serienmäßigen Sturzbügel, die sowohl den 15-Liter-Tank vor Dellen schützen sollen, als auch zur Befestigung des Rundscheinwerfers dienen. Gleichzeitig nützt der Hersteller die Bügel, um dort mit einem großen „Royal Enfield“-Schriftzug für sich Werbung zu machen. Ebenfalls Serie an der Himalayan sind ein Windschild, Motorschutz und Heckträgersystem. Beim Aufsitzen fällt die für eine Enduro niedrige Sitzhöhe von nur 800 mm auf, hier haben selbst Kurzbeinige kein Problem mit dem Bodenkontakt. Die Sitzbank ist weich gepolstert und der Sozius thront ebenfalls sehr kommod eine Stufe höher.

Der breite und hohe Endurolenker liegt gut zur Hand und ermöglicht eine entspannte Sitzposition. Allerdings verweigert die Form des Tanks dem Fahrer die Möglichkeit, weiter nach vorne zu rutschen, um in Kurven mehr Gewicht auf das Vorderrad zu bekommen, was gerade auf Schotterpisten wichtig wäre. Das Cockpit hält gleich vier Instrumente bereit. Das Größte davon ist der analoge Tacho, der sowohl eine Stundenkilometer- als auch Meilenskalierung hat. Man sollte sich merken, dass die obere die km/h anzeigt, sonst kann es schnell teuer werden. In der unteren Hälfte des Rundinstruments gibt es noch einige Infos im LC-Display wie Gesamt- und Tageskilometerzähler, Ganganzeige, Durchschnittsgeschwindigkeit, Uhrzeit und eine Thermometeranzeige. Letztere überraschte immer wieder mit Fantasiewerten.