Treibstoff aus der Kunstkuh

Methoden der Bio-Technologie erlauben immer genauere ­Eingriffe in die Funktionen lebender Zellen. Der Physiker Rob Carlson investiert darin.

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System zur Speicherung von Daten in künstlicher DNA, entwickelt von Microsoft und der University of Washington.

(Bild: Microsoft u. University of Washington)

Lesezeit: 10 Min.

Carlson ist Geschäftsführer der Investment-Firma Bioeconomy Capital. In seinem Buch „Biology is Technology“ sagte er 2010 eine auf Bio-Technologie basierende Wirtschaft voraus. Er ist studierter Physiker.

Technology Review: Sie sind der Ansicht, dass wir mitten in einer biologischen Transformation der Wirtschaft stecken. Warum?

Rob Carlson: Wir alle nutzen täglich die Mechanismen der Biologie. Wenn man die Perspektive ändert, kann man die Natur auch als Ansammlung von Technologien verstehen: Ameisen halten sich Blattläuse, Krähen nutzen Werkzeuge, Pilze und Wälder tauschen Nährstoffe im Waldboden. Wir sind umgeben von biologischer Technologie. Meine zentrale Hypothese ist, dass wir gar nicht umhin können, dieses Potenzial in Zukunft mit neuen bio-technologischen Werkzeugen auch in der Herstellung zu nutzen.

Warum sind Sie sich da so sicher?

Wir sehen die Anzeichen dieser Transformation schon heute. Im Jahr 2017 lag der Wert bio-technologischer Produktion bei ungefähr 400 Milliarden US-Dollar. Das entspricht in etwa dem weltweiten Marktwert der Halbleiterindustrie. Trend: stark steigend. Eine aktuelle Analyse der Unternehmensberatung McKinsey kommt zu dem Schluss, dass mindestens 60 Prozent der Rohmaterialien, auf denen der Rest unserer Wirtschaft beruht, mit bio-technologischen Methoden produziert werden können. Außerdem könne die Bio-Technologie in den kommenden Jahrzehnten einen direkten wirtschaftlichen Wert von bis zu vier Billionen Dollar pro Jahr erzeugen.

Warum sollte die Industrie Interesse daran haben, ihre Anlagen auf biologische Verfahren umzustellen?

TR 10/2020

Biologische Fertigung ist oft effizienter. Zwar gibt es auf der molekularen Ebene Beispiele für Ineffizienz, etwa die Photosynthese. In der Summe aber bietet die Natur mehrere Möglichkeiten, unsere Effizienz zu steigern: Indem wir die besten Lösungen der Natur nutzen und indem wir ihre schlechteren Lösungen technologisch optimieren. Darüber hinaus skalieren biologische Lösungen oft besser als hochindustrielle. Zum Beispiel können heute nur große Ölraffinerien wirtschaftlich arbeiten, vor allem weil ihre Prozesse viel Energie benötigen. Das macht den Betrieb dieser Anlagen teuer, und ihr Bau kostet in der Regel mindestens zehn Milliarden US-Dollar. Wenn wir wüssten, wie man eine Kuh baut, die Treibstoff herstellt, lägen die Kosten für deren Entwicklung und Herstellung nur bei einem Bruchteil davon.

Die Biologie hat aber natürlich auch Grenzen – es gibt schlicht keine Kuh, die Sprit erzeugt. Was schwebt Ihnen konkret vor?

Das ist ein hypothetisches Beispiel, das die möglichen Einsparungen mit biologischer Herstellung grob veranschaulichen soll. Mit Kühen wird heute eine wertvolle Flüssigkeit produziert, deren Gesamtproduktionsmenge und Wert in US-Dollar etwa der von Ethanol-Kraftstoff entspricht – Milch. Die hypothetische Frage ist, wie viel könnte es wohl kosten, bio-technologisch eine Kuhflotte zu entwickeln und zu betreiben, die dieselbe Menge Ethanol herstellt? Wir gehen von circa 30 Milliarden US-Dollar aus. Das ist weit weniger als die 170 Milliarden US-Dollar, die nach aktuellen Plänen für „integrierte Bioraffinerien“ ausgegeben werden müssten. Die Produktionsplattform muss natürlich keine echte Kuh sein. Es könnte stattdessen ein Roboter sein mit einem Tank voller Mikroben, die das Futter zu Treibstoff verarbeiten. Statt einer großen Anlage hätten wir dann viele kleine, verteilte Anlagen, was die Skalierung der Produktionseinheiten flexibler macht. Der Punkt ist, dass wir mithilfe der Biologie in einer Welt operieren können, in der das Hinzufügen einer Produktionseinheit ein paar Tausend Dollar statt Milliarden von Dollar kostet.

Und was macht biologische Fertigung potenziell effizienter?

Der Grund liegt in den Fähigkeiten von Enzymen. Sie können chemische Reaktionen bei Zimmertemperatur ausführen, die sonst nur bei hoher Energiezufuhr funktionieren würden. Heute wissen wir, wie man natürlich vorkommende Enzyme zu neuen Reaktionsketten zusammenschaltet, die dann altbekannte oder auch ganz neuartige chemische Verbindungen herstellen. Schon heute werden Biochemikalien im Wert von 100 Milliarden US-Dollar günstiger mit biotechnologischen Methoden gewonnen als aus Erdöl.

Also geht es bei der biologischen Transformation der Wirtschaft darum, die Rohstoffe statt in Chemiefabriken in Bioreaktoren herzustellen?

Nicht nur. Eines unserer Portfolio-Unternehmen, Lumen Biosciences, stellt mit der Alge Spirulina medizinische Antikörper her, und zwar um einen Faktor 1000 billiger als mit allen anderen Produktionsprozessen möglich. Weil Spirulina eine essbare Alge ist, dienen die Pflanzen zugleich als Weg, die Antikörper zu verabreichen. Das ist ein fantastisches Beispiel dafür, wie man einen Mikroorganismus zu einem Produkt umgestalten kann, das mehr ist als ein Bioreaktor für einen Rohstoff. Am spannendsten aber finde ich, dass man Enzyme heute mit den Methoden der synthetischen Biologie so verändern kann, dass sie Reaktionen ausführen, die in der Natur nicht stattfinden und die selbst mit den Methoden der Chemie nicht umsetzbar sind. Ein Beispiel ist das Produkt Hyaline von Zymergen aus Kalifornien. Es handelt sich um faltbare Folie für Elektronikprodukte, die mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen produziert wird. Auf klassisch chemische Weise ist Hyaline nicht herstellbar.

Einige Forscherinnen und Forscher gehen mit ihrer Vorstellung von biologischer Transformation der Wirtschaft noch viel weiter – zu einem komplexen geschlossenen System, das möglichst keine Ressourcen verschwendet. Das bedeutet allerdings immense Komplexität. Kann man ihr Herr werden?

Ich bin dafür, so weit wie möglich auf eine Kreislaufwirtschaft hinzuarbeiten. Es wird aber wahrscheinlich noch sehr lange dauern, bis es uns gelingt, diese Ideen in der Breite umzusetzen. Ich bin aber sicher, dass die Menschheit auf Dauer nur mit erneuerbaren Energien und effizienteren Produktionssystemen überleben wird, die von Natur aus zirkulär sind. Und die Einführung einer Kreislaufwirtschaft wird viel ausgefeiltere biologische Technologien erfordern, als wir heute haben.

Was bedeuten solche Fortschritte für die Versuche, Information biologisch zu speichern und zu verarbeiten?

Die Menge an Information, die wir jedes Jahr erzeugen und speichern – ob Videos, Bilder, Texte oder Börsendaten –, steigt hyperexponentiell, also mit einer zunehmenden Rate. Um diese Daten auch künftig zu speichern, bräuchten wir also eine hyperexponentiell steigende Herstellung klassischer Speichermedien wie Magnetband. Ökonomisch kann das aber nicht funktionieren, allein aufgrund des Energie- und Materialverbrauchs. Also müssen wir für Datenspeicherung auf eine neue Technologie umstellen. Glücklicherweise kennen wir ein Molekül, das eine enorme Speicherdichte mitbringt und über etwa eine Million Jahre im Permafrost der Tundra stabil bleibt. Ich spreche natürlich wieder von DNA. Wir lernen heute, wie man sie wirtschaftlich als Datenspeicher nutzen kann.

Aber um die gespeicherten Daten zu verarbeiten, müsste man sie immer noch in einen digitalen Computer laden, oder?

Tatsächlich bin ich an einer Zusammenarbeit von Microsoft und der Universität Washington beteiligt, in der wir Daten in DNA verarbeiten. Eine Anwendung davon ist die Bilderkennung. Bilder werden in DNA-Strängen gespeichert und mit komplementären Strängen wieder gesucht. Ich hielt die Idee anfangs für durchgeknallt. Doch die beteiligten Studenten und Mitarbeiter haben das System zum Laufen gekriegt, und zwar gut. Bei kleinen Datenbanken dauert die DNA-Suche zwar noch länger als eine digitale. Bei großen Datenbanken aber schlägt der biologische Ansatz den digitalen. Wenn man einem solchen System noch eine Proteinmaschinerie aus Enzymen zusetzt, wäre das eine Möglichkeit, echte DNA-Datenverarbeitung zu schaffen. Zumindest mathematisch ist nachgewiesen, dass ein solches molekulares System die schnellste und effizienteste Verarbeitung ermöglicht.

Das hört sich alles sehr optimistisch an. Erwarten Sie, dass die biologische Transformation ein Selbstläufer ist – oder müssten dafür auch politisch die Weichen gestellt werden?

Es ist klar, dass die biologische Herstellung von Rohstoffen die Extraktion aus Erdöl wirtschaftlich übertreffen kann. Klar ist aber auch, dass die Ausweitung auf alle Chemikalien eine Menge Innovation und Investitionen erfordern wird. Immerhin hat die Erdölindustrie einen Vorsprung von mehr als einem Jahrhundert. Die biologische Transformation würde sicherlich beschleunigt, wenn die Erdölindustrie die vollen Kosten ihres Betriebs tragen müsste, einschließlich der direkten Umweltschäden und der Kohlenstoffemissionen, und wenn Regierungen die Subventionierung der Erdölförderung durch massive Steuererleichterungen einstellen würden.

Aber was ist mit den Risiken, wenn man Organismen im großen Stil gentechnisch verändert?

Ich finde, wir sollten unsere Bedenken immer an konkreten Risiken orientieren. Viele der Einwände, die im Umlauf sind, basieren nicht auf einem Verständnis der biologischen Systeme, sondern auf einer allgemeinen Abneigung gegenüber neuen Technologien. Das macht es schwierig, zu einer korrekten Nutzen-Risiko-Abwägung zu kommen. Ich bin der Auffassung, dass gentechnisch veränderte Organismen in Form von Nutzpflanzen oder Tieren nur genutzt werden sollten, wenn sie zuvor ausgiebig getestet wurden. Abgesehen davon investiert Bioeconomy Capital derzeit nur in genetisch veränderte Organismen, die in kontrollierten Umgebungen leben und wachsen. Vor allem, weil wir es für zielführender halten, einen Organismus und seine Umgebung aufeinander abstimmen zu können.

Die biologische Produktion hat aber sicher prinzipielle Grenzen. Ein Auto kann man nicht wachsen lassen...

Wenn ich heute sehe, wie Unternehmen beginnen, Materialien biologisch herzustellen, die man auf andere Weise nicht produzieren könnte, frage ich mich, wo das Limit liegt. Die Biologie wird heute zur Herstellung von Polymeren für Karosserieteile, für Fenster und bald auch für die Elektronik genutzt. Biologische Systeme können sogar Metalle manipulieren. Es ist also zumindest denkbar, dass die Metallverarbeitung irgendwann einmal zum Teil auf biologischen Verfahren basieren wird. Ein Automobil der Zukunft könnte auf ähnlichen Interaktionen biologischer und klassischer Produktionssysteme beruhen, wie wir sie heute in der DNA-Datenverarbeitung oder bei der Herstellung von Antikörpern aus Algen sehen. Das ist noch Science-Fiction. Aber die Art und Weise, wie wir die Bio-Technologie heute nutzen, war vor 20 Jahren auch Science-Fiction.

(bsc)