Gericht zwingt Mailprovider Tutanota zu Überwachungsfunktion

Tutanota speichert die Mails seiner Kunden nur in verschlüsselter Form und kann selbst nicht mitlesen. Jetzt wollen LKA-Ermittler ein Postfach überwachen.

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(Bild: Bild: Gerd Altmann, Pixabay)

Lesezeit: 2 Min.

Tutanota gehört zu den wenigen E-Mail-Anbietern, die standardmäßig alle eingehenden Mails verschlüsseln. Ein Urteil des Landgerichts Köln zwingt das hannoversche Unternehmen nun jedoch zum Einbau einer Funktion, mit der Ermittler einzelne Postfächer überwachen und Mails im Klartext lesen können.

Tutanota will Beschwerde gegen den Beschluss einlegen, diese hat jedoch keine aufschiebende Wirkung. „Wir mussten daher bereits mit der Entwicklung der Überwachungsfunktion beginnen“, erklärte eine Sprecherin Mitte November gegenüber c’t. Sollte die Beschwerde Erfolg haben, werde man die Funktion nicht aktivieren beziehungsweise wieder entfernen.

Das Kölner Urteil ist bemerkenswert, weil es von der Rechtsprechung anderer Gerichte abweicht. So hatte im Sommer das Landgericht Hannover entschieden, dass Tutanota im rechtlichen Sinn keine „Telekommunikationsdienste“ erbringt oder daran mitwirkt – und deshalb auch nicht zur Telekommunikationsüberwachung verpflichtet werden kann. Die hannoverschen Richter verwiesen wiederum auf ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) von 2019. Diesem zufolge sind E-Mail-Dienste keine Kommunikationsdienste.

Das Kölner Gericht sieht Tutanota dennoch als „Mitwirkenden“ bei der Erbringung von Telekommunikationsdiensten. Folglich müsse das Unternehmen die Überwachung ermöglichen. Das Urteil, das c’t vorliegt, nennt allerdings weder den Namen noch den Betreiber des Telekommunikationsdienstes, an dem Tutanota angeblich mitwirkt. Aus Sicht des Unternehmens ist das Urteil deshalb „absurd“.

In dem Fall geht es um eine Erpressungsmail, die von einem Tutanota-Postfach aus an einen Autozulieferer gesendet worden war. Tutanota sieht sich nun gezwungen, bis Jahresende eine Funktion zu programmieren, die es dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen ermöglicht, dieses Postfach zu überwachen.

Tutanota-Team: Der hannoversche Mailprovider versendet Mails Ende-zu-Ende-verschlüsselt und speichert auch das Postfach in verschlüsselter Form.

(Bild: Tutao GmbH)

Für die anderen Nutzer soll sich dadurch nichts ändern, ihre Mails sollen weiter standardmäßig verschlüsselt werden. Gleichwohl sieht Tutanota eine einmalige Umgehung der Verschlüsselung als Datenschutz- und Sicherheitsrisiko für letztlich alle Kunden an.

[Update, 30.11., 12 Uhr] Wie Tutanota betonte, betrifft die Überwachungsmaßnahme nur die neu eingehenden unverschlüsselten E-Mails. Bereits verschlüsselte Daten sowie Ende-zu-Ende verschlüsselte E-Mails in Tutanota kann das Unternehmen nicht entschlüsseln. [Update]

Außer Tutanota speichern auch einige andere Anbieter alle eingehenden Mails in verschlüsselter Form. Bei Protonmail ist das ebenfalls Standard, Posteo und Mailbox.org bieten die Verschlüsselung als Option an. Einen Überblick über die Zahl der Anfragen von Behörden gibt Tutanota in seinem Transparenzbericht.

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(uk)