Nachruf auf ein unersetzliches Teleskop: ¡Adiós, Arecibo!

Das legendäre Arecibo-Teleskop ist nicht mehr zu reparieren und wird abgebaut. Es gehört zu den wertvollsten wissenschaftlichen Instrumenten überhaupt.

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Das Arecibo-Teleskop

(Bild: Arecibo Observatory)

Lesezeit: 36 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Am 19. November verlautete die National Science Foundation, Eigentümerin des größten Radioteleskops der westlichen Hemisphäre, dass das Radioteleskop von Arecibo, Puerto Rico, nicht mehr zu retten ist und stillgelegt werden wird. Dies ist ein schwerer Schlag für die Wissenschaft. Im folgenden Artikel soll an die besonderen Fähigkeiten und Leistungen des Radioteleskops erinnert werden, und aufgezeigt werden, warum es auf absehbare Zeit nicht komplett zu ersetzen sein wird.

Just am heutigen Dienstag ist die Instrumentenplattform über der Radioschüssel abgestürzt und hat das Arecibo-Teleskop zerstört.

Am 16. November 1974 war die Sonne für 167,9 Sekunden nicht das hellste Objekt im Sonnensystem – jedenfalls nicht bei einer Wellenlänge von 12,6 cm (2388 MHz) in einem Band von effektiv 10 Hz Bandbreite und aus der Richtung des Kugelsternhaufens Messier 13 im Sternbild Herkules gesehen. Die riesige, 305 Meter (1000 Fuß) durchmessende, in eine Doline auf einer kleinen Insel am Rande der Karibik eingelassene Antenne bündelte das 450.000 Watt starke Sendesignal zu einem nur knapp 1,7 Bogenminuten (rund 1/17 des Vollmonddurchmessers) durchmessenden Kegel, der genau auf den aus ca. 300.000 Sternen bestehenden Kugelsternhaufen gerichtet war. Befand man sich innerhalb dieser schmalen Sendekeule, dann wäre einem das Signal so stark wie das eines Rundstrahlers von 3 Billionen Watt Leistung erschienen.

Mit nur 10 Bit pro Sekunde tickerte der Sender 1679 Bits herunter, bevor er verstummte. 1679 ist das Produkt der Primzahlen 23 und 73 – man kann die Bitfolge nur auf zwei Weisen zu einem Rechteck aus hellen und dunklen Kästchen anordnen, und nur die Anordnung in 73 Zeilen zu je 23 Spalten ergibt so etwas wie ein Bild: Die erste Botschaft, die die Menschheit 1974 gezielt ins All sendete und die stark genug war, um von einer fortgeschrittenen Zivilisation in der Entfernung von Messier 13 empfangen werden zu können.

Die Arecibo-Nachricht besteht aus 1679 Bits, die sich nur auf eine Weise zu einem sinnhaften Bild aus 73 Zeilen zu 23 Spalten anordnen lassen. Oben in Weiß die Dezimalzahlen 1 bis 10 in einer recht eigenwilligen Binärdarstellung, drei Bit in einer oder zwei Spalten, die niedrigwertigste Spalte mit einer zusätzlichen 1 zuunterst markiert; zweispaltig wird es nur für 8, 9 und 10 (siehe Wikipedia).
Darunter in violett spaltenweise die Zahlenfolge 1 6 7 8 15, die für die Ordnungszahlen der Elemente Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Phosphor stehen soll, aus denen Leben auf der Erde besteht.
Darunter in Grün ein kurzer DNS-Abschnitt, beiderseits von oben nach unten gesäumt von Desoxyribose, Phosphat, wieder Desoxyribose und wieder Phosphat; dazwischen zwei Brücken aus den Nukleotiden Adenin und Thymin bzw. Cytosin und Guanin. Jede Spalte in einem grünen Feld entspricht einem der im violetten Feld darüber aufgeführten Elemente in der dortigen Reihenfolge und enthält die Zahl der Atome des jeweiligen Elements in der Strukturformel des Moleküls.
Darunter in Blau die Doppelhelix-Struktur der DNS in Seitenansicht. In der Mitte in weiß die Zahl 4.294.441.822, die die Zahl der Nukleotide im menschlichen Genom angeben soll.
Im Folgenden in Blau ein skizziertes Maß in der Größe der roten Menschenfigur in der Mitte (falls der Empfänger sie als solche erkennt…) mit der Binärzahl 14 (Binär 1110 mit einer 1 neben der 0 für die niedrigstwertige Zeile, von rechts nach links zu lesen). Da der Empfänger als einziges mögliches Referenzmaß die Wellenlänge der Botschaft verwenden kann, beträgt die Größe der Figur folglich 14 Wellenlängen zu 12,554 cm = 175,756 cm. Ganz rechts in Weiß die Zahl 4.292.853.750 im Binärformat, ungefähr der damaligen Bevölkerung der Erde entsprechend.
In der nächsten Zeile in Gelb skizzenhaft und nicht maßstabsgetreu das Sonnensystem mit der großen Sonne links und 9 Planeten (ja, Pluto zählt hier noch, die gleich große und schwerere Eris war noch nicht entdeckt und fehlt) und die Erde ist als Ursprung der Nachricht buchstäblich hervor-gehoben.
Darunter in Violett eine Skizze des Teleskops (auf gleicher Höhe wie die Erde darüber) mit skizziertem Strahlengang, und zuunterst wieder ein blauer Messbalken mit der Zahl 2430: das Teleskop misst 2430 Wellenlängen, das sind 305,0622 m.

(Bild: Wikimedia Commons, Arne Nordmann, CC BY-SA 3.0)

Das Drama des letzten Akts im Leben des legendären Riesenteleskops, mehr als 50 Jahre unangefochten des größte Radioteleskop der Welt, begann am 10. August dieses Jahres, als ein Hilfskabel aus seiner Verankerung an der Instrumentenplattform herausrutschte und auf den Rand der Schüssel peitschte, wo es eine 30 Meter lange klaffende Lücke hinterließ. Möglicherweise hatte der tropische Sturm Isaias, der Ende Juli über Puerto Rico und die übrigen Großen Antillen gefegt war, das Kabel gelockert. Der Schaden sah aus der Nähe zunächst dramatischer aus als er war, auf Luftbildern fiel die Beschädigung der Schüssel kaum auf.

Der erste Schaden

(Bild: University of Central Florida)

Der Betrieb wurde trotzdem eingestellt und die National Science Foundation (NSF), die das Teleskop finanzierte, bestellte ein neues Kabel zum Austausch. Noch bevor das Kabel installiert werden konnte, zerriss jedoch am 7. November völlig unerwartet eines der zwölf Haupt-Tragekabel, die die 817 Tonnen schwere Instrumentenplattform 150 m über der Mitte der Schüssel in der Schwebe halten, und stürzte auf die Aluminiumplatten des Reflektors. Die bereits beim Bau des Teleskops zwischen 1960 und 1963 installierten Kabel waren zwar regelmäßig geprüft und gewartet worden, aber es war bekannt, dass bereits ein Dutzend der 160 Drähte, aus denen das 9 cm durchmessende Kabel zusammengewickelt war, gebrochen waren; dennoch hatten die Ingenieure nie damit gerechnet, dass das Kabel unvermittelt reißen könnte, denn seine Tragkraft hatte eigentlich weit über dem von ihm gehaltenen Gewicht gelegen.

Nun hatten die zahlreichen Hurrikane, mehrere Erdbeben und die beständige feuchtwarme, mit salzigen Tröpfchen angereicherte Brise wohl doch letztendlich ihren Tribut eingefordert. Die verbliebenen Kabel sind jetzt einer noch höheren Last ausgesetzt, in keinesfalls besserem Zustand und es besteht jederzeit die Gefahr, dass ein weiteres von ihnen reißen könnte. Beide zerstörten Kabel führten zum gleichen Turm, der auf der Rückseite zum Lastausgleich von weiteren Kabeln unter Spannung gehalten wird. Im schlimmsten Fall könnten bei einem weiteren Kabelbruch alle übrigen Kabel des Turms versagen, der Turm nach hinten stürzen, die Plattform herunter fallen und die umherpeitschenden Kabelenden gar das Gebäude des Observatoriums beschädigen, wo sich noch weitere eigenständige Instrumente und ein Besucherzentrum befinden.

Fünf Ingenieurteams verschiedener Baufirmen untersuchten die Aufhängung der Plattform im November und kamen fast einhellig zu dem Schluss, dass das Teleskop nicht ohne Lebensgefahr für die beteiligten Bauarbeiter instand gesetzt werden könne. Daher verkündete die NSF am 19. November, dass das Arecibo-Teleskop endgültig stillgelegt werden müsse. Nicht aufgrund mangelnden wissenschaftlichen Werts, wie noch einmal betont wurde, sondern ausschließlich aus Sicherheitserwägungen. Alle weiteren Planungen konzentrieren sich nun darauf, wie die Instrumentenplattform sicher abgesenkt und die Haltevorrichtungen demontiert werden können.

Die Schäden am Teleskop

(Bild: University of Central Florida)