Qualcomm Snapdragon 888: Erster Smartphone-Prozessor mit ARM-Kern Cortex-X1

Qualcomms Snapdragon 888 setzt als erster Smartphone-Chip auf ARMs Custom-Kern Cortex-X1. Zudem ist das 5G-Modem anders als beim Vorgänger fester Bestandteil.

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(Bild: Qualcomm)

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Mit dem Snapdragon 888 hat Qualcomm ein neues System-on-Chip (SoC) für Smartphones und andere Mobilgeräte vorgestellt. Zum ersten Mal kommt dabei ARMs schnellster Prozessorkern Cortex-X1 zum Einsatz. Darüber hinaus unterstützt der neue, in 5-Nanometer-Technik gefertigte Chip höhere Auflösungen beim parallelen Einsatz mehrerer Kameras sowie neue Sicherheitsfunktionen. Im Vergleich mit dem Vorgänger fällt zudem das wieder in den SoC integrierte Mobilfunkmodem auf – beim Snapdragon 865 setzte Qualcomm noch auf einen separaten Modem-Chip. Erste Smartphones mit dem Snapdragon 888 erwartet Qualcomm für das erste Quartal 2021, unter anderem von Asus, Motorola, OnePlus Oppo und Xiaomi.

Anders als seine Vorgänger X50 und X55 unterstützt das X60 getaufte Modem auch die mittleren 5G-Frequenzbänder im Bereich von etwa 2 bis 6 GHz. Mit dem Snapdragon 888 bestückte Smartphones können somit alle Sub-6-Netze (0,6 bis 6 GHz) sowie mmWave-Netze (26, 28 und 39 GHz) nutzen – vorausgesetzt, der Smartphones-Hersteller baut die dafür jeweils notwendigen Antennen ein. Die maximalen Übertragungsraten liegen wie schon beim X55 bei 7,5 und 3 GBit/s im Down- und Upstream. Dennoch dürfte das neue Modem einen nennenswerten Vorteil bieten: Durch die Integration in das SoC ist ein geringerer Energiebedarf sehr wahrscheinlich.

Das Modem ist anders als noch beim Snapdragon 865 fest im Chip integriert. Damit verringert sich der Flächenbedarf im Smartphone sowie aller Voraussicht nach auch der Energiebedarf.

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Einen Leistungsschub gibt es im Bereich der CPU, die Qualcomm jetzt "Kryo 680" nennt. Qualcomm hält auch beim Snapdragon 888 am Octa-Core-Design – also acht Prozessorkerne – fest, setzt gegenüber dem Vorgänger aber teilweise auf neue Kerne. Die Rolle des schnellsten Prime-Kerns übernimmt nun ein ARM Cortex-X1 anstelle eines Cortex-A77. Der Cortex-X1 basiert auf dem Cortex-A78, verfügt gegenüber dem aber über zwei zusätzliche Gleitkomma-Pipelines und dekodiert pro Takt fünf statt vier Instruktionen. Zudem fällt der L2-Cache mit 1 MByte doppelt so groß wie beim Cortex-A78 aus. Diese und weitere Änderungen führen laut Hersteller zu einer um 22 Prozent höheren Integer- und Gleitkommaleistung gegenüber dem Cortex-A78. Mit 2,84 GHz bleibt es jedoch bei der Taktrate des bisherigen Prime-Kerns.

Bei den Performance-Kernen setzt Qualcomm auf drei Cortex-A78-Kerne, die mit bis zu 2,4 GHz arbeiten. Damit gleicht der Takt den für diesen Bereich vorgesehenen Cortex-A77 des Snapdragon 865, verschiedene Detailverbesserungen wie ein höherer Cache-Durchsatz und eine optimierte Sprungvorhersage sollen aber zu einer um bis zu 20 Prozent höheren Leistung führen. An den Efficiency-Kernen nimmt Qualcomm hingegen keine Änderungen vor. Hier bleibt es bei vier Cortex-A55-Kernen, die bis zu 1,8 GHz erreichen.

Insgesamt soll das CPU-Leistungsplus gegenüber dem Kryo 585 des Snapdragon 865 bei bis zu 25 Prozent liegen. Bei gleicher Leistung soll das neue SoC 25 Prozent sparsamer als sein Vorgänger arbeiten.

Die Renderleistung der Grafikeinheit Adreno 660 steigt ebenfalls, Qualcomm beziffert den Leistungsschub im Vergleich mit der Adreno 650 des Snapdragon 865 auf bis zu 35 Prozent. Eine weitere Änderung betrifft die verbesserte Ansteuerung von OLED-Displays, die eine homogenere Darstellung ermöglicht. Die Grafik-API Vulkan 1.1 unterstützt die Adreno 660 ebenso wie DirectX 12, OpenGL ES 3.2 und OpenCL 2.0 FP. Zudem erlaubt sie die Wiedergabe von Inhalten mit erhöhtem Dynamikumfang (HDR, High Dynamic Range) und berücksichtigt dabei außer dem statischen HDR10 und HLG auch die dynamischen Standards HDR 10+ und Dolby Vision. Displays kann der Snapdragon 888 maximal mit Ultra-HD-Auflösung und 60 Bildern pro Sekunde (4K60) oder in QHD+-Auflösung mit 144 Bildern pro Sekunde ansteuern. Von letztgenannter Bildwiederholrate sollen vor allem Smartphone-Spieler profitieren.

An die richtet sich auch das von Qualcomm erstmals aufgegriffene Variable Rate Shading (VRS), das Bestandteile des Funktionspakets Snapdragon Elite Gaming ist. Dabei berechnet die Grafikeinheit nicht mehr die Farbabstufungen jedes einzelnen Pixels, sondern fasst mehrere zu Blöcken zusammen. Das erhöht die Leistung, ohne die Render-Auflösung zu verringern. Der Betrachter bekommt dabei im Idealfall kaum etwas mit, da sich VRS vor allem auf Bereiche abseits der Bildmitte oder unscharfe Bildelemente konzentrieren soll. Vom Snapdragon 865 übernimmt das neue SoC Desktop Forward Rendering, das zulasten der Anzahl an Shading-Optionen die Bildrate erhöhen und Ladezeiten verkürzen kann, sowie über den Google Play Store und vergleichbare Portale aktualisierbare Grafiktreiber.

An Smartphone-Spieler richten sich gleich mehrere Funktionen des Snapdragon 888. Variable Rate Shading und Desktop Forward Rendering sollen höhere Bildwiederholraten ermöglichen, die Unterstützung von 144 Hz schnellen Displays hingegen eine flüssigere Darstellung.

(Bild: Qualcomm)

Einfluss auf das tatsächliche Leistungsplus hat der Arbeitsspeicher. Smartphone-Hersteller können zwischen den Speichertypen LPDDR4X-4266 (2133 MHz) und LPDDR5-6400 (3200 MHz) wählen – maximal möglich sind in beiden Fällen 16 GByte.

Die Smartphone-Kameras profitieren vom neuen Bildprozessor (ISP, Image Signal Processor) Spectra 580. Dabei handelt es sich laut Qualcomm um einen "dreifachen ISP" – was sich auf die wesentliche Änderung gegenüber dem Spectra 480 des Snapdragon 865 bezieht. Denn das neue Modell ermöglicht drei gleichzeitige Kameraaufnahmen: Entweder drei 4K-HDR-Videos oder drei 28-Megapixel-Fotos ohne Auslöseverzögerung. Möglich wird das durch eine Steigerung der Leistung um 35 Prozent auf nun 2,7 Gigapixel pro Sekunde.

Weitere Neuerungen sind ein Burst-Modus mit 120 12-Megapixel-Fotos innerhalb einer Sekunde sowie die SoC-seitige Vorbereitungen für verbesserte Nachtaufnahmen. Mit Blick auf Video-Auflösungen und -Bildwiederholraten ändert sich nichts gegenüber dem Snapdragon 865. Es bliebt in der Spitze bei 4K120 (Ultra HD mit 120 Bildern pro Sekunde), 8K30 sowie im Zeitlupenmodus bei 720p960. Auf Wunsch können die Aufnahmen einen hohen Dynamikumfang festhalten, unterstützt werden diesbezüglich HLG, HDR10, HDR10+ und Dolby Vision. Immer vorausgesetzt, dass die weiteren Kamerakomponenten sowie die Software ihrerseits die Voraussetzungen erfüllen.

Bei bestimmten Effekten, beispielsweise dem Bokeh bei Porträtaufnahmen, kann der neue KI-Beschleuniger zum Einsatz kommen. Der besteht im Wesentlichen aus CPU, Grafikeinheit und dem neuen Digital Signal Processor (DSP) Hexagon 780. Im Zusammenspiel aller Beteiligter liegt die Leistung bei 26 TOPS – beim Snapdragon 865 waren es noch 15 TOPS. Allerdings verzichtet Qualcomm auf Details zur Berechnungsgrundlage. Das erschwert Vergleiche mit SoCs anderer Hersteller. Der Hexagon 780 selbst ist für Tensor, Vektor- und Skalar-Berechnungen ausgelegt und soll pro Watt eine bis zu dreimal so hohe Leistung wie sein Vorgänger erreichen.

Vor allem für Smartphones, die beruflich zum Einsatz kommen, bringt der Snapdragon 888 verbesserte Sicherheitsfunktionen mit. Ein neuer Typ-1-Hypervisor soll den Datenaustausch zwischen Programmen, Nutzerkonten und installierten Betriebssystemen zuverlässiger überwachen und einschränken. Zusätzlich unterstützt das neue SoC Qualcomms Cloud-Dienst Wireless Edge Service, der auf Wunsch Datenübertragungen und das Verhalten von Apps auf Sicherheitsprobleme hin untersucht. Ebenso erfüllt der Chip alle Voraussetzungen, um Fotos aufzunehmen, die dem von Adobe, der New York Times und Twitter entwickelten Content-Authenticity-Initiative-Standard entsprechen. Dabei sollen spezielle Metadaten sicherstellen, dass sich Angaben zum Urheber und anderes nicht entfernen lassen.

Abseits des 5G-Modems bietet der Snapdragon 888 die gleichen Kommunikationsmöglichkeiten wie schon der schon im Juli 2020 vorgestellte Snapdragon 865 Plus. Wie dort setzt Qualcomm auch beim neuen Modell auf das externe Modul FastConnect 6900. Das unterstützt Wi-Fi 6E (802.11ax mitsamt 6-GHz-Backbone) mitsamt 2-Stream-MIMO auch Bluetooth 5.2 inklusive den Audio-Lösungen aptX Adaptive und LE Audio.

[Update, 02.12.2020 18:30 Uhr]

Die von Qualcomm genannten 26 TOPS für den KI-Beschleuniger beziehen sich auf das Zusammenspiel von CPU, GPU und DSP bei 8-Bit-Inferenzberechnungen.

(pbe)