Richterliche Empathie

In zwei Petitionen wird gefordert, dass sich die deutsche Rechtsprechung zu "Trennungstötungen" ändert. Auch der Juristinnenbund ist dafür.

Meldungen aus den ersten beiden Januarwochen wie "Schwangere in S-Bahn mit Messer attackiert", "Mann sticht 23-jähriger Frau mit Messer ins Gesicht" oder "Tod im Keller: Nachbarschaft trauert um Viktoria L. (20)" gab es in Deutschland auch vor der Coronakrise, die nach ersten Studien zu einem Anstieg der Gewalt gegen Frauen und Kinder geführt hat. Letzteres vor allem, wenn Paare oder Familien unter Quarantäne gestellt worden waren oder finanzielle Sorgen hatten.

Zurückweisung als Motiv

Tötungsdelikte oder potentiell tödliche Angriffe auf Frauen stehen oft Zusammenhang mit Trennungen oder - wie nach ersten Ermittlungen im Fall von Viktoria L. aus Hamburg - dem einseitigen Wunsch des Täters nach einer Beziehung.

Die abschließende Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) zur Partnerschaftsgewalt im "Coronajahr" 2020 wird wohl erst im zweiten Halbjahr 2021 vorliegen - üblicherweise gibt die Behörde die Vorjahreszahlen im November heraus. In den letzten Jahren hat im Durchschnitt rund drei Mal pro Woche ein Mann in Deutschland "seine" Frau oder Exfrau, Partnerin oder Expartnerin getötet. Hinzu kamen etwa doppelt so viele Versuche, dies zu tun. Die Zahl der Gewalttaten innerhalb von Paarbeziehungen insgesamt steigt seit 2015 - im Berichtsjahr 2019 um 0,74 Prozent.

Tötet ein Stalker eine Frau, mit der er nie eine Beziehung geführt hat, kann er nach deutscher Rechtsprechung leichter wegen Mordes verurteilt werden als ein Ex- oder Noch-Ehemann oder ein ehemaliger Partner, der die Trennung nicht akzeptieren will. Dessen Chancen, nur wegen Totschlags verurteilt zu werden und so an einer lebenslangen Haftstrafe vorbeizukommen, wären deutlich höher.

In zwei zur Zeit laufenden Petitionen werden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beziehungsweise Justizministerin Christine Lambrecht und Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD) aufgefordert, gesetzgeberisch einzugreifen. "Die vermeintlichen Besitzansprüche an Frauen dürfen nicht durch die deutsche Rechtsprechung legitimiert werden, indem sie sich strafmildernd auswirken", heißt es in der von Charlotte Schmitz gestarteten Online-Petition "Femizide in Deutschland stoppen" der Kampagnen-Organisation Campact, die bislang mehr als 116.000 Menschen unterzeichnet haben.

Besitzdenken nicht als Problem erkannt

Hintergrund sind die Tatmerkmale im Mordparagraphen 211 StGB und ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2008. Demnach sind bei "Trennungstötungen" eingebildete Eigentumsrechte am Opfer nicht zwangsläufig "niedrige Beweggründe", von denen im Mordparagraphen die Rede ist.

Das Besitzdenken als solches wird in dem BGH-Urteil nicht problematisiert, sondern menschlich nachvollzogen. Nach den Worten der Karlsruher Richter können in solchen Fällen "Gefühle der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit tatauslösend und tatbestimmend sein". Deren Bewertung als "niedrig" könne dann fraglich erscheinen, "wenn die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und sich daher der Angeklagte durch die Tat gerade dessen selbst beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will".

In den höheren deutschen Gerichtsinstanzen gebe es in solchen Fällen "Empathie und Verständnis für den Täter", sagt die Theaterregisseurin Christiane Mudra, die das Thema in ihrem Stück "The Holy Bitch Project" aufgreift und bereits für "Kein Kläger" zu den dunklen Seiten der deutschen Justizgeschichte recherchiert hat.

Wie Campact, der Deutsche Juristinnenbund und Kristina Wolff, die ebenfalls eine Petition gestartet hat, hält auch Mudra die aktuelle Rechtsprechung für unvereinbar mit der Istanbul-Konvention der Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Deutschland hat diese Übereinkunft 2011 unterzeichnet und 2018 ratifiziert. In den Köpfen mancher Richter seien aber zur Zeit noch "alte Überzeugungen" stärker, so Mudra am Freitag gegenüber Telepolis.

Der jetzige Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte in der vergangenen Legislaturperiode Pläne für eine Reform des Mordparagraphen bekanntgegeben, der sich auch beim Tatmerkmal "Heimtücke" zum Nachteil von Frauen auswirkt und körperlich starke Täter begünstigt. Im Gegensatz zum klassischen "Haustyrannenmord", bei dem das bisherige Gewaltopfer aufgrund seiner Schwäche zu einer tödlichen List greift, hat der Haustyrann selbst keine "Heimtücke" nötig.

Allerdings stellten sich die Unionsparteien damals gegen die Reformpläne, die von Bundesjustizministerin Lambrecht in dieser Legislaturperiode nicht mehr aktiv aufgegriffen wurden.