Nach dem Tod einer Zehnjährigen in Italien: Wie gefährlich sind Tiktok & Co.?

Die Video-App TikTok steht in Italien heftig in der Kritik, ein Millionenbußgeld droht. Die Datenschutzbehörde verlangt die Sperrung unverifizierter Konten.

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(Bild: Primakov/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Petra Kaminsky
  • dpa
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Der Tod der zehnjährigen Antonella – vermutlich bei einer Internet-Mutprobe – hat in Italien einen Proteststurm ausgelöst. Doch der kommt nicht ganz aus dem Nichts, denn die Corona-Pandemie mit ihren Kontaktsperren lässt die Angst vieler vor dem Abdriften der Kinder in soziale Netzwerke wie Tiktok schon länger wachsen.

Das Mädchen aus Palermo hatte sich zu Hause mit einem Gürtel erstickt. Der Verdacht: Antonella wollte bei einer sogenannten Challenge im Netzwerk der Kurzvideo-App mitmachen. Italiens Datenschutzbehörde Garante nahm Tiktok am Wochenende wiederholt mit Drohungen ins Visier.

Der Datenschutzbeauftragte Guido Scorza sprach am Sonntag von möglichen Millionen-Bußen gegen Tiktok, wenn das Unternehmen das Alter der Nutzer nicht besser kontrolliere. Die Behörde habe der Plattform, die aus China kommt und Jugendliche rund um den Globus begeistert, ein Ultimatum bis zum 15. Februar für eine endgültige Lösung gestellt, unterstrich er in der Zeitung La Repubblica. Am Freitag hatten die Aufpasser die sofortige Sperrung aller Tiktok-Konten verlangt, bei denen das Alter der Nutzer nicht "mit Sicherheit" feststeht.

Tiktok erklärte, man prüfe den Vorgang. Sicherheit habe "oberste Priorität", zitierten Medien das Unternehmen. Zugleich hieß es, die Plattform habe keine Aufforderungen zu den Mutproben, also "Challenges", bei sich gefunden, die im Fall Antonellas eine Rolle spielen sollen.

Das Mädchen aus Sizilien hatte nach Berichten vergangene Woche an einer "Blackout Challenge" oder "Hanging Challenge" mitmachen wollen. Das habe eine Schwester erzählt. Dabei strangulieren sich Teilnehmer, filmen das und laden die Bilder mit dem Smartphone hoch. Die Ermittlungen der Polizei, die auch die Handydaten prüfen wollte, liefen noch.

Zur Möglichkeit, dass der Anstoß zu dem tödlichen Vorfall aus anderen sozialen Netzwerken stammen könnte, sagte Datenschützer Scorza: "Bei Tiktok ist bereits ein anderes Verfahren wegen mangelnder Beachtung des Schutzes und der Privatsphäre von Minderjährigen anhängig." Es ging am 22. Dezember 2020 an die Betreiber. Italiens Datenschützer wiesen die Betreiber darauf hin, dass unter 14-Jährige das Okay der Eltern für die Netzwerke brauchten. Tiktok schreibt ein Mindestalter von 13 Jahren vor.

Fachleute stritten am Wochenende, wie und ob die Alterskontrollen überhaupt funktionieren sollen. Viele Kinder machen sich bei der Anmeldung älter. Einige Experten argumentierten, die Anbieter könnten am Verhalten der Nutzer das Alter ermitteln – wenn sie es wollten.

Parallel zur Debatte um Tiktok kam ein Karussell von Schuldzuweisen und Erklärungsversuchen in Gang. Wen trifft Verantwortung? Eltern? Das soziale Umfeld? Den Gesetzgeber? Lehrerin Loredana Saieva erzählte, sie habe der Klasse Antonellas erklärt, dass "die Technologie, die wir seit fast einem Jahr so oft für Fernunterricht verwenden, nur dann gut ist, wenn sie mithilfe von Erwachsenen zum Lernen verwendet wird." Leider dürfen die Kinder sich wegen Corona nicht umarmen, sagte sie La Repubblica. "Wir haben zusammen geweint."

Der Vater der Toten gab ebenfalls Interviews. Er sagte, seine Tochter habe die Welt von Tiktok, Youtube & Co. geliebt. Er habe ihr vertraut, und sie habe davon erzählt. "Meine Tochter liebte es, zu tanzen und zu singen. Sie war auf der Suche nach Likes und Followern, und ich hätte nie gedacht, dass sie so ein Spiel mitmachen würde."

Der Jugend-Psychiater Stefano Vicari aus Rom mahnte, dass es gute Gründe gebe, dass Kinder unter zwölf Handys nicht alleine nutzen sollten. Netzwerke für sich genommen seien aber nicht an Aggressionen gegen den eigenen Körper Schuld.

"Tiktok wird in Italien nach meinen Analysen jeden Monat von etwa zehn Millionen Menschen verwendet. Es ist ein Ausdrucksmittel besonders für die Jüngsten", erläuterte der Sozial-Media-Experte Vincenzo Cosenza der Deutschen Presse-Agentur. "Die Tiktok-Videokamera repräsentiert so etwas wie den Spiegel ihres Zimmers, einen Bildschirm, um sich auszudrücken und mit der Welt in Austausch zu kommen."

Das Unternehmen suche mit digitalen Methoden und mit Menschen nach gefährlichen Inhalten. Aber man finde nicht alles. Auch wenn der Zusammenhang zwischen dem Tod des Kindes und Tiktok erst noch nachzuweisen sei: "Social Media ist leicht zu beschuldigen", urteilte er. Cosenza mahnte, "das Problem ohne Alarmismus" anzugehen. "Die Technologieunternehmen müssen sich bemühen, aber die Schulung zum richtigen Umgang mit dem Netz muss in der Familie beginnen."

(tiw)