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Wer meint, Tagebuchschreiben sei Privatsache, ist nicht auf der Höhe der Zeit. Weblogs machen die Texte nicht nur öffentlich zugänglich, sondern erlauben auch den Aufbau inhaltlicher Netze.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Kai König

Weblogs wurden ursprünglich als Online-Tagebücher von Privatpersonen bekannt, die darin Berichte von selbst Erlebtem, verschiedene News sowie Listen von kommentierten Links zu anderen Websites veröffentlicht haben. Ein Streifzug durch die seit Anfang 1999 von 23 bekannten Blogs in die Breite gewachsene Community - allein der Urvater hatte im Sommer 2002 deutlich über 500 000 registrierte Nutzer - fördert neben Unmengen an Alltagserlebnissen der Online-Schreiber zuweilen erstaunliche Dinge zu Tage.

Wer sich im Detail für die Entstehungshistorie der Weblogs interessiert, fängt am besten im Blog von Rebecca Blood an und liest ihr Essay über Geschichte und Zukunft der Blogs. Dort führen Verweise direkt zu Blog-Portalen, die das Herz eines jeden Wild-durch-die-Blogwelt-Surfenden höher hüpfen lassen. Eatonweb, auch ein solches, beispielsweise kategorisiert Blogs nach Interessensgebieten, Sprachen, Herkunftsländern und vielem mehr. Oftmals bieten diese Portale gleichzeitig eine Liste der gerade vom jeweiligen Blogger aktualisierten Weblogs. RSS-Datenfeeds auf XML-Basis machens möglich.

Wie an so viele Dinge, kann man auch an das Bloggen naiv - wie wohl viele der Blogger im Web - oder hochwissenschaftlich herangehen. Die UC Berkeley Graduate School of Journalism bot im Wintersemeter 2002 sogar ein zwei Wochenstunden umfassendes Seminar zum Thema Weblogs an. Selbst in Schulen hält das Thema inzwischen Einzug. Eine schulrelevante Site beschäftigt sich ausführlich damit, wie sich die Blog-Technik im Unterricht als Medium und in der Schulverwaltung als elektronisches Klassenbuch einsetzen lässt. Um Einträge der Form „Diane stört häufig und massiv den Kunstunterricht“ zu vertuschen, werden die Kids der nächsten Generation kein Klassenbuch mehr verbrennen, sondern eben schnell das vom Lehrer auf dem Server nur unzureichend gesicherte eKlassenBlog hacken. Na ja! ...

Zurück zu den Blogs von heute. Schaut man sich mal auf Eatonweb im Bereich der deutschsprachigen Blogs um, stößt man schnell auf die Seiten von Marlene- man findet in Blogs oft nur Vornamen oder Nicknames von Autoren - die sich für eine Uni-Hausarbeit mit Blogs beschäftigen muss und mal eben schnell eines gestartet hat. Von dort geht es direkt weiter zum Schockwellenreiter, dem Klassiker der deutschen Blog-Szene, der einen Querschnitt durch die wunderbare und große Welt des Internet bietet, eben „die tägliche Ration Wahnsinn“.

Eine Eigenschaft der Blogs ist es, sich und andere Seiten über unzählige Querverbindungen zu verlinken. Dummerweise geht beim Surfer und Lesen hin und wieder ein einzelner Eintrag im Rauschen des Blog-Waldes unter, sodass man nach einigen Klicks kaum nachvollziehen kann, wo und wie man auf die aktuelle Seite gelangt ist und wo man eigentlich hin wollte. In eine solche Verstrickung getappt, ist der nächste Punkt des Rundgangs die Deutsche Weblog Community Bloghaus (www.blogworld.de). Hier findet man eine Karte deutscher Blogs und ihrer Autoren, die hilfreich ist, um andere Blogger aus dem geographischen Umfeld kennen zu lernen.

Blogger decken zahlreiche Interessengebiete ab. Besonders stark sind die Blogs oder leichte Abwandlungen in der IT-Welt vertreten. Ein guter Startpunkt sind die Weblogs von O’Reilly, in denen über vierzig Mitarbeiter und Autoren des Verlags zu einer Vielzahl von Themen der Softwareentwicklung oder Serveradministration bloggen. Neben Sujets wie Java, .Net oder Administration eines Apache-HTTP-Servers gibt es hier allerdings auch thematische Blogs zu eher gesellschaftlichen Interessenfeldern wie Bioinformatik, Information Warfare, Patentrecht et cetera.

Viele Weblogs findet man in der Szene der Webdesigner und -programmierer. Jesse Warden, der unter dem Nickname JesterXL in der Welt der Blogs umherstreift, berichtet in seinem Blog aus der Welt von Flash MX und dem Flashcom-Server und stellt dazu eine Vielzahl selbst entwickelter Tools, GUI-Komponenten sowie Tipps und Tricks für die ambitionierten Flash-Programmierer zur Verfügung.

Von JesterXL aus gelangt man schnell auch auf „den Goog“, ein Blog-Aggregator, der die wichtigsten englishsprachigen Blogs der Webprogrammierung zusammenfasst und übersichtlich darstellt. An dieser Stelle sei der Verweis auf das Blog in Black erlaubt. Hier erdreistet sich der Autor dieses Artikels, seine Erfahrungen mit den Webtechniken Coldfusion und J2EE zum Besten zu geben.

Bislang ging es nur um einzelne Blogs, aber wie kann der zukünftige Blogger konkret loslegen? Im Prinzip reicht es, sich bei einer der Blogger-Communities zu registrieren und über die dann in der Regel verfügbare Weboberfläche Layouts des Blogs anzupassen und Inhalte einzupflegen. Wer etwas mehr Komfort möchte, kann mehr oder weniger native Tools zur Pflege seiner Inhalte verwenden, die sich über RSS und andere dokumentierte Protokolle mit vielen Blog-Anbietern verwenden lassen.

Angehende Tagebuchschreiber mit eigenem Webspace können dort direkt eigene Blog-Software installieren und haben somit Administration, Steuerung, Programmierung und Schriftstellertum in eigener Hand. Bekanntester Vertreter dieser Zunft ist Movable Type, ein Open-Source-Blog auf Basis von Perl-CGIs und MySQL-Datenbanken. Vorteile einer solchen Lösung sind die nahezu völlige Flexibilität im Aufbau des Blog und die Möglichkeit, Applikationsservercode - und somit auch komplexere Funktionen, die zum Beispiel in PHP, Coldfusion oder JSP realisiert sein können - in das Blog einzubetten.

Wohin geht die Reise? Weblogs und das Bloggen als Hobby sind aktuell voll im Trend. Wird bald die große Hypewelle über den Blogs zusammenbrechen, genau wie bereits bei der Homepage für jedermann zum günstigen Preis von nur 99 Cent pro Monat oder den individuellen 0700-IRGENDWAS-Telefonnummern, die die totale Unabhängigkeit von Mobiltelefon, Bürorufnummer oder Privatapperat versprechen? Die ersten Schritte zur Kommerzialisierung sind klar erkennbar. Beispielsweise bietet blogger.com kostenpflichtige Premium-Leistungen an, und das Weblog-Portal 20six erlaubt jetzt das Bloggen via GPRS und MMS. Gibt es aber einen Unterschied zur 08/15-grüngelb-auf-cyanem-Hintergrund-Homepage? Vielleicht: Blogger müssen nichts von Webdesign verstehen und wollen eine konkrete Message vermitteln. Und sei es nur die, dass es sie gibt - aber ist das wirklich ein Unterschied?

Letztendlich: Irgendwann geht jedes Blog seinen letzten Gang ... zum Friedhof der Weblogs. Have fun. (ka)