Wohnungskonzerne enteignen: Darf man das?

Auch die Otto-Suhr-Siedlung in Berlin-Kreuzberg wäre betroffen. Foto: Fridolin Freudenfett / CC BY-SA 4.0

Die Berliner können ab heute für einen Volksentscheid unterschreiben, mit dem die Vergesellschaftung von mehr als 200.000 Wohnungen angestrebt wird. Die Chancen für die Initiative stehen recht gut.

An diesem Freitag beginnt in Berlin die zweite Stufe eines Volksbegehrens, das weit über die Hauptstadt hinaus für Aufsehen und hitzige Debatten sorgt. Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" will den Senat damit verpflichten "alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art. 15 des Grundgesetzes erforderlich sind". Dabei geht es um gewinnorientierte private Wohnungsunternehmen mit einem Bestand von mehr als 3.000 Wohnungen. Laut Initiative könnte dieser Schritt rund 200.000 Wohnungen umfassen, der Senat geht von 243.000 aus. Wird diese Forderung binnen vier Monaten von mindestens 170.000 wahlberechtigten Berlinerinnen und Berlinern unterstützt, gibt es voraussichtlich am 26. September - parallel zu den Wahlen zum Bundestag und dem Berliner Landesparlament - einen Volksentscheid über die Initiative.

Gewerkschaften unterstützen das Volksbegehren

Die Chancen, dass die zweite Stufe des Volksbegehrens erfolgreich verläuft, stehen nicht schlecht. Denn längst findet die Initiative auch außerhalb von aktiven Mietergruppen und linken Organisationen breiten Zuspruch. Zu den Unterstützern zählen in Berlin große Gewerkschaften wie die IG Metall, ver.di und GEW, Sozialverbände und Kirchenkreise. Dahinter steht natürlich auch die Partei Die Linke, die mit einem Stimmenanteil von mehr als 15 Prozent ein gewichtiger Faktor in der Berliner Politik ist.

Die Grünen verhalten sich ambivalent, wollen aber eine Vergesellschaftung als "letztes Mittel" nicht ausschließen. Die SPD hat sich auf einem Landesparteitag bereits im Oktober 2019 eindeutig gegen das Volksbegehren ausgesprochen, an der Basis sieht das allerdings teilweise anders aus. Und auch in der Anhängerschaft der CDU und der AfD, die das Vorhaben vehement ablehnen, gibt es eine starke Minderheit, die dafür ist.

Grundgesetz sieht Enteignungen ausdrücklich vor

Doch wie konnte es dazu kommen? Galten doch Enteignungen jahrzehntelang gemeinhin als Relikt aus der Mottenkiste des gescheiterten DDR-Sozialismus, dessen Propagierung einigen wenigen Ewiggestrigen vorbehalten blieb. Und natürlich als propagandistische Spielwiese linksradikaler Gruppen ohne nennenswerten Einfluss auf die gesellschaftliche Meinungsbildung. Und haben wir nicht ein Grundgesetz, zu dessen Kernelementen der Schutz des Privateigentums gehört und somit Enteignungen ausschließt?

Nein, haben wir nicht: Denn die Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes erlauben ausdrücklich Enteignungen und Überführungen in Gemeineigentum im Sinne des Gemeinwohls - natürlich gegen Zahlung einer angemessenen Entschädigung. So sind Enteignungen von Grundstücken für wichtige Infrastrukturprojekte wie etwa Straßen, Bahntrassen und Flughäfen alltägliche Praxis. Natürlich wäre die Enteignung von Bestandsimmobilien in dieser Größenordnung Neuland, aber wenn man die Stabilisierung des in Berlin extrem überhitzten Wohnungsmarktes im Sinne der sozialen Daseinsvorsorge als Gemeinwohlinteresse ansieht, lässt sich das Volksbegehren durchaus aus dem Grundgesetz ableiten.

Wohnungsmarktkrise ist hausgemacht

Die Lage in Berlin ist zweifellos dramatisch. Die Angebotsmieten haben sich binnen zehn Jahren nahezu verdoppelt, auf dem Immobilienmarkt gilt die Hauptstadt immer noch als Hotspot für Investoren, die auf enorme Wertsteigerungen und weiter steigende Mieten spekulieren. Für Gering- und Normalverdiener ist es mittlerweile fast aussichtslos, eine bezahlbare Wohnung in innerstädtischen Quartieren zu finden. Befeuert wurde dieser Boom vom Wohnungsmangel - der Fehlbestand wird auf 100.000 Wohnungen geschätzt - vor allem im unteren Preissegment. Bis zu 60.000 Menschen gelten als wohnungslos. Die meisten von ihnen sind mehr oder weniger behelfsmäßig untergebracht, darunter zunehmend Familien.

Das ist vor allem auf das eklatante Versagen der Landesregierungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten zurückzuführen, die die Wohnungsbauförderung phasenweise faktisch einstellten und auch jetzt noch viel zu zögerlich wieder ankurbeln. Und zu allem Überfluss hat ausgerechnet die von 2002 bis 2011 regierende "rot-rote" Koalition mehr als 100.000 Wohnungen aus kommunalen Beständen an private Investoren verscherbelt, was auch zum Geburtshelfer der "Deutsche Wohnen" wurde, dem in Berlin mit mehr als 110.000 Wohnungen mit Abstand größten Immobilienkonzern. Und der agiert eben nicht gemeinwohl- sondern renditeorientiert, um die Erwartungen der Aktionäre zu erfüllen.

Kein Platz für Illusionen

Das Mantra vom "Markt, der alles richten wird" hat sich (nicht nur) in diesem Fall als hohle Floskel der wirtschaftsliberalen Ideologie entpuppt. Und so geht es bei diesem Volksbegehren um eine Kernfrage: Ist die ausreichende Wohnraumversorgung für alle Schichten der Bevölkerung eine gesamtstaatliche Aufgabe der sozialen Daseinsvorsorge, oder nicht? Beantworten die Berliner diese Frage in dem Volksbegehren und später in einem Volksentscheid mehrheitlich mit Ja, wird anschließend darüber zu streiten sein, wie die Vergesellschaftung großer privater Immobilienbestände umgesetzt werden soll - etwa die Höhe der Entschädigung betreffend.

Illusionen sollte man sich allerdings nicht machen. Derzeit ist keine politische Konstellation nach dem Wahlen am 24. September denkbar, die eine tatsächliche zwangsweise Überführung der Konzernbestände an Immobilien umsetzen wird. SPD und auch Grüne favorisieren eher verstärkte punktuelle Rückkäufe dieser Bestände, ergänzt durch Vereinbarungen mit den Konzernen, die sich in Bezug auf Miethöhen, Umwandlungsschutz und Sozialklauseln an das "Mietenbündnis" des Senats mit den sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften anlehnen. Und Die Linke wird das von der Initiative geforderte, aber im Volksbegehren nicht explizit festgeschriebene Enteignungsgesetz nicht zur unverhandelbaren Bedingung einer erneuten "rot-rot-grünen" Koalition machen.

Denn für SPD und Grüne stehen zur künftigen Regierungsbildung auch noch andere Partner zur Verfügung: Die CDU und eventuell auch die FDP. Und wie die zu einer Enteignung stehen, braucht hier wohl nicht weiter erläutert zu werden. Ferner sollte man sich darüber im Klaren sein, dass Vergesellschaftung und anschließend sozialverträgliche Bewirtschaftung von Beständen das Problem des Wohnungsmangels nicht alleine lösen kann. Neben dem Schutz von Bestandsmietern ist dafür ein ambitioniertes Neubauprogramm in kommunaler Trägerschaft notwendig.

Doch erst mal geht es darum, diesem Volksbegehren mit allen Kräften zum Erfolg zu verhelfen. Denn noch nie in der jüngeren Geschichte Deutschlands wurde die Eigentumsfrage so erfolgreich und vergleichsweise radikal in den Fokus der politischen Auseinandersetzung gerückt. Egal wie gut oder auch schlecht ein anschließender Kompromiss ausfallen wird: Mit einem erfolgreichen Volksentscheid für die Enteignung großer Konzerne in einem zentralen Wirtschaftssegment würde eine politische Tür geöffnet werden, die niemand so schnell wieder zu bekommen kann.

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