StPO: Experten sehen Kfz-Scanning und E-Mail-Beschlagnahme skeptisch

Das geplante "Pizza-mit-allem-Gesetz" zur StPO-Reform steht mit dem Einsatz von Kennzeichenlesern und dem heimlichen Zugriff auf E-Beweise in der Kritik.

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(Bild: In Green/Shutterstock.com)

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Rechtsanwälte ließen bei einer Anhörung im Bundestag am Mittwoch kaum ein gutes Haar am Gesetzentwurf der Bundesregierung zur "Fortentwicklung der Strafprozessordnung" (StPO). Die Initiative schieße in Teilbereichen weit über das Ziel hinaus, lasse andererseits aber den nötigen "großen Wurf" vermissen, lautete ihr Urteil. Staatsanwälte kritisierten das Vorhaben ebenfalls, aber aus der entgegengesetzten Richtung: Ihnen gehen die vorgesehenen neuen Befugnisse nicht weit genug.

Stefan Conen vom Deutschen Anwaltverein (DAV) regte an, den geplanten Paragrafen 163g StPO zum bundesweiten Kfz-Kennzeichen-Scanning zu streichen. Laut der Norm sollen die Polizei und andere Fahnder bei Hinweisen auf erhebliche Straftaten "örtlich begrenzt im öffentlichen Verkehrsraum" ohne das Wissen der betroffenen Personen Nummernschilder "von Kraftfahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung durch den Einsatz technischer Mittel automatisch" erheben und mit bestehenden Registern abgleichen dürfen.

Der Reiz für die Ordnungshüter wäre es hier, "ohne Beschuldigte erst mal Indizien zu sammeln", erläuterte Conen. Das Bundesverfassungsgericht habe hier Zurückhaltung verlangt. Die vorgesehene Norm solle nun offenbar als "Einstieg in Technik" dienen und später ausgeweitet werden.

Das Instrument zum Kennzeichen-Scanning sei "nahezu unbrauchbar", wetterte Alexander Ecker von der Generalstaatsanwaltschaft München. Er plädierte mit dem Bundesrat dafür, die mit den Lesegeräten erhobenen Informationen für einige Zeit aufzubewahren und auch für Ermittlungszwecke verwenden zu dürfen. Ein Aufnahmemodus sei nötig, um etwa mit einem Fahrzeug flüchtenden Terroristen oder Einbrechern auf die Spur zu kommen. Im Gegenzug könnte ein Richtervorbehalt wie bei der Funkzellenabfrage eingeführt werden.

Er begrüße die vorgesehene Kennzeichenerfassung sehr, unterstrich Axel Isak von der Staatsanwaltschaft Baden-Baden. Sie helfe aber nur dann, "wenn ich schon Erkenntnisse habe, mit welchen Fahrzeugen Täter unterwegs sind". Er hielt es für möglich, eine begrenzte Speicherzeit bei schweren Straftaten für Abgleiche mit späteren Erkenntnissen verfassungskonform zu regeln.

Bernard Südbeck von der Staatsanwaltschaft Osnabrück mahnte ebenfalls an, das Instrument zusätzlich für Ermittlungszwecke zulassen. Beim Einsatz zur Fahndung habe er keine rechtlichen Bedenken, ergänzte Gerwin Moldenhauer, Oberstaatsanwalt am Bundesgerichtshof. "Wenn man aufzeichnen wollte", wäre dies aber ein "wesentlich schwerwiegender Eingriff".

Dass Strafverfolger künftig auf elektronische Beweismittel wie beim Provider gespeicherte E-Mails oder Chats, Inhalte eines Nutzerkontos eines sozialen Netzwerks sowie Daten in der Cloud zudem auch heimlich zugreifen dürfen sollen, lehnte Conen im Namen des DAV ab. In den betroffenen Systemen lagerten schier unermessliche Datenschätze. Diese stellten einen "vollen Teich an potenziellen Zufallsfunden" dar. Es würde aber zu weit führen, wenn der gläserne Bürger dann "nach sehr langer Zurückstellung" eine Art strafrechtliche Gesamtabrechnung für seine Online-Tätigkeiten bekäme.

Mit diesem neuen Paragrafen 95a würden auch die vergleichsweise strengen Regeln an heimliche Online-Durchsuchungen ausgehebelt, monierte Christoph Knauer von der Bundesrechtsanwaltskammer. Bedenklich stimmte den Professor auch die vorgesehene erneute Ausweitung des Straftatenkatalogs für den Einsatz von Staatstrojaner zum Ausspähen etwa von Festplatten und für den großen Lauschangriff. Insgesamt drohe die StPO mit dem weiteren "Flickwerk" ihren Charakter als "Magna Charta des Beschuldigten" zu verlieren.

Moldenhauer erinnerte dagegen daran, dass schon ein verdeckter Zugriff auf "ruhende E-Mails" bei aktuell inaktiven Konten "als Beifang" möglich sei. 95a schließe daher eine noch bestehende Lücke und sorge "minimal invasiv" für einen "Gleichklang" mit den existierenden Beschlagnahmevorschriften. Nötig sei dieser Ansatz etwa, um gegen bandenmäßigen Betrug wie den "Enkeltrick" vorzugehen. Täter löschten hier oft weitere E-Mail-Konten und sprächen sich mit anderen Gang-Mitgliedern ab, wenn ihnen ein Zugriff bekannt gemacht werde.

Alle Staatsanwälte lobten das Regierungsvorhaben, wonach Ermittler künftig auch Auskunft von Postdienstleistern über Sendungen von oder an beschuldigte Personen verlangen können, die bereits ausgeliefert sind oder sich noch nicht beim Serviceanbieter befinden. Diese Bestimmung sei "immens wichtig", meinte Moldenhauer. Nur damit könnten Strafverfolger etwa herausfinden, an wen übers Internet Chemikalien geliefert würden, "die zum Herstellen von Sprengstoff geeignet sind".

Die Vorgaben für die Postbeschlagnahme seien aber nicht ausreichend, warb Oberstaatsanwalt Ecker für Verschärfungen. Der abfragbare Datenkatalog müsse ausgeweitet werden, damit sich Täter nicht länger "in der Anonymität des Netzes" verschanzen könnten. Die Strafverfolger bräuchten Informationen etwa auch über übergeordnete Geschäftsverhältnisse mit Kunden, Bankdaten sowie zum Sendungsverlauf mit hinterlegten Telefonnummern und E-Mail-Adressen. Nachnahmesendungen sollten eingeschlossen sein, da damit oft Zahlungsflüsse verschleiert würden.

Südbeck drängte auf Durchsuchungsmöglichkeiten auch zu Nachtzeiten, um vor allem besser gegen Computerkriminalität wie im Fall Cyberbunker vorgehen zu können. Der DAV-Strafrechtler Ali Norouzi unterstellte der Exekutive dagegen "Hyperaktivität" mit dem nächsten Stückwerk zur StPO-Reform. Er warnte vor einem "Pizza-mit-allem-Gesetz", das "Rechtsstaatpessimismus" wecken dürfte.

(mho)