Forscher: Tesla-Werbung mit "Autopilot" ist "geradezu fahrlässig"

Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich autonome Fahrfunktionen nur langsam in Spezialbereichen durchsetzen. Tödliche Unfälle werfen die Branche zurück.

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(Bild: Jonathan Weiss/Shutterstock.com)

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Experten warnen erneut vor zu großen Erwartungen beim "autonomen Fahren". Vor allem Tesla mache "viele Versprechungen", die "meist nicht eingehalten werden können", moniert Philipp Slusallek, Wissenschaftlicher Direktor Agenten und Simulierte Realität am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Der von dem kalifornischen E-Autobauer Tesla genutzte Begriff "Autopilot and Full Self-Driving Capability" sei dabei "als geradezu fahrlässig anzusehen, da er eine Automatisierung des Fahrens vorgibt, die nicht erreicht wird".

Am Wochenende ist ein Tesla Model S in den USA bei einen tödlichen Unfall zerstört worden. Das Elektrofahrzeug krachte mit leerem Fahrersitz in einen Baum, wobei zwei Insassen auf dem Beifahrer- und Rücksitz getötet wurden. Für Slusallek war bereits vor dem Crash klar: Die größte technische Herausforderung liege bei selbstfahrenden Autos aktuell darin, dass keines der eingesetzten Systeme für Künstliche Intelligenz bisher in der Lage sei, "Garantien über ihr korrektes Verhalten" oder deren Grenzen abzugeben.

Diese Situation führt laut dem DFKI-Direktor dazu, dass Hersteller zwar theoretisch bereits autonomes Fahren anbieten könnte, diese aber "hohe Risiken in Kauf nehmen müssten, wenn dann doch Unfälle passieren". Die Gefahr bestehe, dass schnell die ganze Branche in Verruf gerate. Schon nach dem vielbeachteten ersten tödlichen Uber-Unfall 2018 sei die Einführung automoer Funktionen teils "drastisch nach hinten geschoben" worden. Etliche Firmen in diesem Bereich seien bankrottgegangen.

Die Google-Schwester Waymo scheine aktuell "technisch die Nase vorne zu haben", meint Slusallek. "Wir sollten hier aber auch die deutschen Automobilfirmen nicht vergessen." Die testeten zwar deutlich zurückhaltender. Sie hätten aber "auch durch große Forschungsprogramme und Kooperationen ein großes Know-how und breite Erfahrungen aufgebaut".

Der Fokus europäischer Hersteller liege auf dem hochautomatisierten Fahren (Level 3), wohingegen Waymo und andere US-Konzerne ein Level-4-System für Robo-Autos ohne Fahrer anstrebe, erläutert Markus Lienkamp vom Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik an der TU München. Das aktuelle Sensor-Setup von Tesla eigne sich nach Einschätzung der Fachwelt dagegen nur für Level 2. Dabei kann ein "Autopilot" unter definierten Bedingungen etwa auf der Autobahn oder beim Parken Fahrmanöver ohne menschliches Zutun ausführen.

Die unterschiedlichen Ziele der Hersteller begründen sich nach Ansicht von Lienkamp nicht nur in deren Unternehmensphilosophien, sondern auch in den unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Lienkamp unterstützt daher prinzipiell die laufende Gesetzesinitiative der Bundesregierung, womit diese den Einsatz und damit die Entwicklung autonomer Fahrzeuge in Deutschland ermöglichen will. Ein wichtiger Aspekt sei nicht nur die Interaktion selbstfahrender Autos mit verschiedenen Verkehrsteilnehmern, sondern auch die Berücksichtigung ethischer Grundsätze im Umgang mit diesen.

Mehrere Forscher, die das Science Media Center Germany befragt hat, sind sich einig, dass automatisches Fahren der Level 4 und 5 in den kommenden Jahren nur in vielen, kleinen Einzelschritten eingeführt werden dürfte. Sie gehen davon aus, dass diese Entwicklung von speziellen Geschäftsmodellen getrieben werde. Autonome Fahrfunktionen dürften in diesem Jahrzehnt für die meisten Nutzer kein Argument beim Pkw-Kauf sein. Die Technik verbreite sich zunächst dort, wo damit Geld zu verdienen sei, etwa durch das Einsparen von Fahrern in Lkws oder Roboter-Taxen.

Für die Entwicklung von Prüfverfahren halten die Sachverständigen es für sinnvoll, herstellerübergreifend relevante Fahrdaten auszuwerten. Dies könne der europäischen Industrie einen Vorsprung gegenüber bislang führenden Entwicklern aus den USA und China verschaffen. Echtzeitdaten und Live-Verifizierungen könnten auch beim Erkennen und Umfahren von Hindernissen möglicherweise Abhilfe schaffen.

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"Die zentrale Herausforderung liegt im Nachweis hinreichender Sicherheit", unterstreicht Christoph Stiller, Leiter des Instituts für Mess- und Regelungstechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Diese muss für alle Komponenten von der Lenkung bis zur Software und für das gesamte Fahrzeug nachgewiesen werden. Dafür sei es nötig, die "Zuverlässigkeit in der Wahrnehmung" der Umwelt durch die Systeme zu steigern: "Das Wesentliche in Verkehrssituationen muss – über die bloße Vermessung von Objekten hinaus – verstanden werden". Nur so könnten kritische Situationen vorherberechnet und frühzeitig durch vorsichtige Fahrweise entschärft werden.

Gerade im Umgang mit anderen automatischen Fahrzeugen kann die Abstimmung von Fahrmanövern durch Kommunikation zwischen Fahrzeugen und eventuell der zugehörigen Infrastruktur Stiller zufolge "erheblichen Nutzen hinsichtlich Verkehrsfluss und -sicherheit schaffen". Auch Tobias Hesse, Abteilungsleiter am Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterstreicht: "Erst wenn die Fahrzeuge alle anderen Verkehrsteilnehmer und Hindernisse sicher erkennen können, dürfen sie auf die Straße." Die nächsten wichtigen Schritte bestünden darin, aus vielen automatisierten Einzelfahrzeugen sowie unter Einbindung von Verkehrsinfrastruktur und -managementdiensten ein "kooperatives System" zu schaffen.

(olb)