75 Jahre Sony: Tonband statt Sojasoße

Jahrzehnte war der Ruf von Sony legendär – nicht nur Apple-Gründer Steve Jobs nahm sich den Unterhaltungselektronikpionier zum Vorbild. Nun wird das Haus 75.​

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(Bild: Ned Snowman/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Karl-Gerhard Haas
Inhaltsverzeichnis

Ob’s an der Seuche liegt oder höflicher Zurückhaltung – Fakt ist: Der Sony-Konzern feiert den 75. Geburtstag des Hauses wie den 70ten, also praktisch gar nicht. An leeren Kassen kann es nicht liegen: Gerade erst vermeldeten die Japaner einen Rekordumsatz. Geld für die Party sollte also da sein.

Aber auch ohne Brimborium: Am 7. Mai 1946 gründeten Masaru Ibuka und Akio Morita "Tokyo Tsushin Kogyo" (kurz: Totsuko, etwa: Tokioter Firma für Telekommunikationsentwicklung), seit 1958 trägt das Unternehmen den Namen Sony, ein Kunstwort aus dem amerikanischen "sonny" (für kleiner Junge) und dem lateinischen Sonus, also Klang. Wäre es nach Moritas Eltern gegangen, hätte der Filius deren profitables Geschäft mit Sake, Miso und Sojasoße fortgeführt. Morita aber war von elektronischen Geräten fasziniert, überzeugte seine Eltern, dass sein jüngerer Bruder deren Betrieb übernehmen sollte und studierte Physik an der Kaiserlichen Universität Osakas. Während des Zweiten Weltkriegs landete er im Forschungszentrum der Marine, dort lernte er seinen späteren Kompagnon Ibuka kennen.

Zwei Technologien dominierten in den Anfangsjahren des Unternehmens und sollten sich über Jahrzehnte als weitsichtig und gewinnbringend erweisen: Magnetband samt der passenden Aufnahmegeräte – zunächst für Ton – sowie Transistoren. Bevor Festplatten und Halbleiterspeicher für Bild und Ton ausreichend groß und günstig wurden, war Magnetband für alle Arten elektronischer Signale das Speichermedium der Wahl – bis weit in die Nuller-Jahre des 21. Jahrhunderts. Der Weg dorthin war mühsam: Als Sony 1949 beschloss, ein Tonbandgerät für den japanischen Markt zu bauen, brauchte man auch Tonband, ohne das ein Aufnahmegerät kaum verkäuflich wäre. Zu der Zeit war die Technik Neuland.

Für die ersten Versuche zerrieb man einen Magneten zu Pulver, das man mit Reiskleber auf Papier-Fernschreiberstreifen fixierte. Richtiges Prinzip, falsches Material: Eisenoxid entpuppte sich als geeigneter. Bis man es gleichmäßig und zuverlässig aufs Trägermaterial gießen konnte, hieß es: Versuch und Irrtum. Aber bis 1950 hatte Sony den Dreh raus und konnte sich endlich auch ums passende Aufnahmegerät kümmern, den Type G. Wirklich brauchbar war der noch nicht. Der damalige Musikstudent und spätere Sony-Chef Norio Ohga hatte an Totsukos Erstling viel auszusetzen, aber er spornte Ibuka und Morita mit seinen Verbesserungsvorschlägen an. Und, ja: Die Folgemodelle taugten.

Das zweite Standbein der frühen Sony-Jahre, den Transistor, hatten William Shockley, John Bardeen und Walter Brattain bei den Bell Labs entwickelt, der Forschungseinrichtung des damaligen US-Telefonmonopolisten AT&T. Bells Konzernmutter, Western Electric, vergab zwar Lizenzen zur Nutzung der revolutionären Halbleiter – was bis dahin nur glühbirnengroße, empfindliche und träge Elektronenröhren konnten, erledigte nun ein erdnusskleines, effizientes und viel haltbareres Bauteil. Aber wie man es fertigen konnte, mussten die Lizenznehmer selbst herausfinden.

Zum ersten Mal funkt´s: Das TR-55 war Sonys Transistorradio-Premiere. Für dessen Bau entwickelte der Hersteller eigens Hochfrequenz-Halbleiter.

(Bild: Sony)

Das Potenzial des Bauteils erkannte Ibuka schnell: Ihm schwebte ein Transistorradio vor. Dumm nur: Die bis dahin produzierten Versionen der Technik waren für Hochfrequenz nicht geeignet. Sony musste es also nicht nur hinkriegen, überhaupt eigene Transistoren zu fertigen, sondern auch welche, die vorher noch niemand produziert hatte. Mit dem 1955 erschienenen TR-55 schaffte es Sony. Aber bei diesem Wettlauf wurde Sony nur Zweiter: Das erste Transistorradio der Welt war das Regency TR-1 von Texas Instruments.

Umso konsequenter nutzte Sony die Technologie, um als nächstes Fernseher zu miniaturisieren und zuverlässiger zu machen, auch in die ersten Videorekorder des Hauses zogen die Bauteile ein. Und 1965 schaffte man mit dem TA-1120 eine Weltpremiere: Es war der erste volltransistorisierte Hi-Fi-Stereo-Verstärker.

Der nächste Sony-Meilenstein kam 1967 auf den Markt: die Trinitron-Bildröhre. Bis Flachbildschirme übernahmen, war sie nicht nur eine der besten TV-Displays, sie steckte auch in zahllosen Computermonitoren. Während Sony die TV-Varianten bis zum Schluss exklusiv in den eigenen Geräten verwendete, lieferte man die PC-Modelle bereitwillig an andere Monitorhersteller.

Nicht digital, aber elektronisch: Der Mavica-Prototyp (kurz für Magnetic Video Camera) speicherte 1981 analoge TV-Einzelbilder auf Diskette. Später hieß so eine Sony-Digitalkamera-Reihe, die Fotos auf Floppys sicherte.

(Bild: Sony)

Ein knappes Jahrzehnt später nahm das größte Fiasko der Firmengeschichte seinen Lauf: Der Betamax-Videorekorder verlor, obwohl technisch überlegen, gegen das rivalisierende VHS-System. Unterm Strich schlug sich Sony im Videogeschäft aber mehr als respektabel: Zuerst mit U-matic, später mit Betacam und seinen Folgeformaten dominierte man Jahrzehnte den Profimarkt. Es gab kaum ein TV-Studio dieser Welt, das nicht eines dieser Systeme nutzte. Und man entwickelte auch Kameras, zunächst für Bewegtbilder. Die entsprechenden Sensoren konnten aber auch Standbilder einfangen, also in klassischen Fotoapparaten arbeiten. Der erste "Mavica"-Prototyp war die Kreuzung aus Videokamera und analoger Diskette.

Ebenso früh und konsequent ging Sony die Digitalisierung der Unterhaltungselektronik an: Schon Ende der 1970er forschte Sony an Digitalaudio und verkaufte ab 1982 die gemeinsam mit Philips entwickelte Compact Disc. 1986 erschienen mit den D-1-Maschinen die ersten digitalen Studio-Videorekorder. Damaliger Preis: rund 250.000 D-Mark. 1995 wurden dann auch Camcorder für Konsumenten digital: Diesmal in Absprache mit allen wichtigen Herstellern erschien MiniDV, im Jahr 2005 dessen HD-Variante HDV.

Prestigeträchtiger Verlustbringer: Der 2008 vorgestellte OLED-TV XEL 1 sollte Sonys Technologieführerschaft dokumentieren. Das gelang nur bedingt: Die Panel in den aktuellen OLED-TVs des Hauses stammen von LG.

(Bild: Sony)

Auch bei Computertechnik engagierte sich Sony früh: Modelle auf Basis der MSX-Plattform gab’s von Sony in den frühen 1980ern, Mitte des Jahrzehnts die 8,9-cm-Diskette, von 1996 bis 2014 vermarktete man IBM-kompatible PCs unter dem Markennamen Vaio. Passend dazu lieferten die Japaner optische PC-Laufwerke in allen Varianten. Aus dieser Zeit stammt auch die erste Generation des Roboterhunds Aibo, der von 1999 bis 2006 produziert wurde und sich bei Studenten großer Beliebtheit erfreute. 2017 legte Sony ihn in mit neuer Technik wieder auf.

Norio Ohga wurde 1968 geschäftsführender Direktor von CBS/Sony Records ("Columbia") in Japan, 1982 Präsident der gesamten Firma. Unter ihm übernahm Sony sowohl CBS, also die Musiksparte, wie auch Columbia Pictures, also die TV-/Kinosparte, komplett. Eine zweigleisige Strategie: Einerseits hatte der Konzern dadurch Zugriff auf Inhalte für die Geräte des Hauses – für den Durchschnittsverbraucher ist die Technik nur Mittel zum Zweck der Unterhaltung. Zudem machte man sich so unabhängiger vom technischen Fortschritt. Und das Haus erschloss sich damit neue Geschäftsfelder, auch wenn Ohga kaum vorhergesehen haben dürfte, wie überflüssig moderne Computer und Smartphones die Unterhaltungselektronik machen würden.

Kleinster Standard-PC der Welt: Mit dem Vaio UX zeigte Sony Anfang 2007, wie kompakt man einen vollwertigen Windows-Computer bauen kann. Mit 2700 Euro war der Benjamin allerdings kein Schnäppchen.

(Bild: Sony)

Aber die Interessen der Film- und Musikleute kollidierten oft mit denen der Techniker: Die Hardware-Abteilung wollte CD- und DVD-Brenner und -Rekorder verkaufen, die Programmleute sahen wegen der damit möglichen Kopien ihre Umsätze schwinden. Zu der Zeit, als die MiniDisc – nach zähem Start – um die Jahrtausendwende endlich populär wurde, verhinderte Sony Music, dass diese auch direkt Musik im aufkommenden MP3-Format speichern konnte. Zu schlechter Letzt hielten es die Musik-Leute für eine gute Idee, mit Un-CDs Windows-PCs angreifbar zu machen – $(LB1617369:das .

Anders als viele andere ehemals klangvolle Namen aus der japanischen Unterhaltungselektronik scheint Sony den Wandel zur Digitaltechnik gemeistert zu haben. Die Film- und Fotokameras des Hauses sind mehr als konkurrenzfähig, ebenso die TV-Geräte und das verbliebene Audio-Equipment. Die 1994 erstmals vorgestellte Playstation ist auch in der aktuellen Generation ein Erfolg. Sony Music machte im Steuerjahr 2019 vor Steuern einen Gewinn von 1,31 Milliarden US-Dollar, Sony Pictures 628 Millionen US-Dollar. Eigentlich hätte Sony also Grund zum Feiern...

(dahe)