Kommentar: AstraZeneca für alle und ganz schnell ist keine gute Idee

Den Abstand zwischen erster und zweiter Impfung zu verkürzen, ist kurz gesprungen – für die Einzelnen und die gesamte Impfstrategie.

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(Bild: Markus Winkler / Unsplash)

Lesezeit: 4 Min.

In den vergangenen Tagen ist kräftig Bewegung in die Impferei gegen Covid-19 geraten. Alle über 18 Jahren können sich jetzt nach ärztlicher Aufklärung mit den Impfstoffen von AstraZeneca oder Johnson & Johnson impfen lassen. Der Ansturm ist erwartet groß, denn gleichzeitig lockt die Freiheit. Vollständig Durchgeimpfte und nachweislich von der Infektion Genesene genießen die ersten Freiheiten, auf die wir so begierig warten.

Zusätzlich macht sich mit den ersten warmen Tagen die Sehnsucht nach unbeschwerten Sommerferien breit und die Unsicherheiten nehmen zu: Wer darf Urlaub machen und wo? Können sich die einen frei bewegen und die anderen müssen zum täglichen Test antreten und sich ihren ganzen Urlaub lang rechtfertigen? Zumindest für möglich hält Wirtschaftsminister Peter Altmaier Sommerurlaub für alle – auch für „nur“ negativ Getestete. „Ansonsten sei das Ungleichbehandlung“, sagte er laut Tagesschau. Aber sichere Freiheiten gibt es bislang nur für Durchgeimpfte.

Aber gönnen wir den Geimpften und Genesenen doch ganz ohne Neid die Freiheiten! Das im Brustton der Überzeugung zu sagen, wäre bis vor wenigen Tagen ein Leichtes gewesen, denn die Impfpriorisierung hat ganz klar festgelegt, dass die bisher Geimpften über 60 Jahre alt sind oder schwer gesundheitlich belastet. Ja, gut, Ausnahmen und Mogler gibt es immer, aber deswegen gleich neidisch werden und eine Zweiklassen-Gesellschaft proklamieren? Ach nö.

Aber jetzt ist alles irgendwie anders. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gibt den ungeliebten Impfstoff von AstraZeneca (und Johnson & Johnson) nicht nur frei, sondern um ihn attraktiver zu machen, lockt er mehr oder weniger subtil mit mehr Freiheiten für Durchgeimpfte. Man könne ja auch den Abstand zwischen den Impfungen verkürzen.

Natürlich ist es nicht akzeptabel, wenn in einer tobenden Pandemie Impfstoffdosen unverimpft bleiben. Dann lieber freigeben. Aber Spahn sagte gegenüber dem Deutschlandfunk, dass noch fünf bis sechs Millionen Über-60-Jährige in den kommenden Wochen geimpft werden müssen – weshalb dann jetzt bereits die Freigabe? Immerhin empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) sowohl den AstraZeneca als auch den Johnson & Johnson Impfstoff explizit für über 60-Jährige, da erst ab diesem Alter der Nutzen durch den Schutz vor einer Covid-19-Erkrankung das Risiko für die zwar sehr seltenen, aber schwerwiegenden Nebenwirkungen der Thrombosen überwiegt.

Wer auf diese Frage keine Antwort findet, aber Rätsel mag, kann sich gleich dem nächsten stellen: Weshalb können Ärztinnen und Ärzte jetzt den Abstand zwischen den zwei nötigen Impfdosen des AstraZeneca-Impfstoffes auf vier Wochen statt den empfohlenen zwölf Wochen verkürzen? Dieser kurze Impfabstand ist zwar von der europäischen Zulassung gedeckt, allerdings hat der Abstand von zwölf Wochen nachgewiesenermaßen einen positiven Effekt auf die Wirksamkeit des Immunschutzes.

Klare Worte findet Carsten Watzl, Leiter des Forschungsbereichs Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund: „Studien haben klar gezeigt, dass die Effektivität bei einem Abstand von weniger als sechs Wochen nur 55 Prozent beträgt und erst bei einem Abstand von zwölf Wochen bei über 80 Prozent liegt! Das ist schon ein gewaltiger Unterschied. Daher muss man den Menschen klar sagen: Wenn Sie Ihren Impfabstand bei AstraZeneca verkürzen, um damit schneller in den Genuss von Lockerungen zu kommen, machen Sie das auf Kosten ihres Immunschutzes!“

Ein Kommentar von Jo Schilling

Jo Schilling ist TR-Redakteurin. Sie hat nie ganz aufgehört, Naturwissenschaftlerin zu sein und ist überzeugt, dass komplizierte Zusammenhänge meist nur kompliziert sind, weil noch die richtigen Worte für sie fehlen.

Also zwar frisch durchgeimpft aber nur halb geschützt in die Ferien? Lieber frei als gesund und der Impfstoff muss halt weg? Das ist noch in weiterer Hinsicht kurz gesprungen: Auch die erste Impfung schützt bereits gut vor schweren Verläufen – werden jedoch viele Dosen an Ungeduldige vergeben, die lieber ohne Tests Ferien machen, als wirklich gut geschützt zu sein, bekommen auch weniger Personen einen frühen Immunschutz durch die erste Impfung.

Die ist aber nötig, um die dritte Welle dauerhaft in den Griff zu bekommen. Im Sommer wäre dann genügend Zeit, das zweite Mal zu impfen und alle profitieren von den Lockerungen und nicht nur die wenigen, die durch einen kurzen Impfabstand vollständig geimpft und – auf dem Papier – geschützt wären.

(jsc)