Kommentar: Europas Fehlstarts in der Raumfahrt

Ewige Verzögerungen, wie nun wieder bei der Ariane 6, zeigen: Europa braucht – nicht nur in der Raumfahrt – mehr Wettbewerb und weniger politischen Einfluss.

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(Bild: ESA / David Ducros)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Alexander Stirn

Jetzt wird es also Sommer 2022. Frühestens. Dabei hätte die Ariane 6, Europas neue Vorzeigerakete, eigentlich schon am 16. Juli 2020 abheben sollen. Doch immer neue Probleme und Verzögerungen kamen dazwischen.

Corona ist nur zu einem kleinen Teil daran schuld. Europas Forschungspolitik hat ein anderes Problem: Es geht bei ihr primär um Arbeitsplätze, Industrieförderung und nationale Egoismen. Ohne Wettbewerb und Privatisierung wird Europa den Anschluss verlieren.

Das Dilemma der Ariane 6 lässt sich an zwei Zahlen festmachen: Mehr als 600 Unternehmen aus 13 Ländern müssen für sie koordiniert werden. Schlimmer noch: Die Auswahl ist von der Politik vorgegeben. Voraussetzung für die deutsche Zustimmung zur Ariane 6 war etwa, dass deren Feststoff-Booster nicht nur in Italien, sondern auch hierzulande gefertigt werden. Doch die Deutschen bekamen das raffinierte und angeblich günstigere Carbonfaser-Verfahren nicht in den Griff. Das Vorhaben wurde alsbald rückgängig gemacht – nicht ohne Deutschland andere Aufträge zuzuschustern.

Bei Nasa-Projekten wie dem Space Launch System, wo ebenfalls geografischer Proporz herrscht, kommt es genauso zu immensen Verzögerungen und Teuerungen. Die Privatfirma SpaceX hingegen fertigt bewusst so viel wie möglich selbst, um weniger abhängig von Zulieferern zu sein.

Als Vorbild gilt in Europa Airbus. In der Flugzeugsparte funktioniert die Arbeitsteilung mittlerweile auch – nach enormen Startschwierigkeiten. Aber schon im Rüstungsbereich, wo jedes EU-Land sehr nationale Vorstellungen hat, sieht es anders aus. Beim Militärtransporter Airbus A400M waren daher Mehrkosten, Verzögerungen und Mängel an der Tagesordnung (siehe TR 9/2009, S. 52). Auch der Raketenmarkt funktioniert sehr speziell: Einerseits dominieren noch immer staatliche Akteure, die Starts und Neuentwicklungen subventionieren, um sich einen souveränen Zugang zum All zu sichern. Andererseits drängen verstärkt Privatfirmen auf den Markt, oft mit kleineren Raketen.

Ein Kommentar von Alexander Stirn

Alexander Stirn, Raumfahrtjournalist, vermisst zunehmend den gemeinsamen Geist in Europas Raumfahrt.

Die Ariane 6 ist gefangen zwischen diesen beiden Welten: Politische Unabhängigkeit und kommerzieller Erfolg. Doch beides zugleich geht bei diesen politischen Vorgaben nicht. Europa bleiben zwei Optionen: Es könnte sich endlich eingestehen, dass es die Ariane 6 zwar für seine Souveränität benötigt, auf dem Weltmarkt damit aber keine Chance hat. Teure Entwicklungen wie die Wiederverwendbarkeit, wie sie zur Industrieförderung geplant sind, verbieten sich dann allerdings. Das Geld wäre besser in zukunftsweisende Projekte investiert, bei denen Europa gerade in Führung geht, etwa bei der Beseitigung von Weltraumschrott.

Oder es wagt mehr Wettbewerb. Johann-Dietrich Wörner, der im Februar als Chef der Europäischen Raumfahrtagentur abgetreten ist, hat eine Lösung skizziert: Europas Politik sollte nur noch die nötigen Anforderungen an eine Rakete vorgeben und die Zahl der benötigten Starts. Den Rest darf die Industrie unter sich ausmachen – mit innovativen Konzepten und knallharter Kalkulation.

Die Reaktionen auf den Vorschlag? Keine. Solch ein Vorgehen würde Europas Raumfahrtbranche – und die Politiker, die nur an ihr eigenes Land denken – in ihrer Ehre treffen. Denn die Industrie klagt zwar gerne, hat sich mit dem Status Quo aber gut eingerichtet. Irgendwie ist das Geld schließlich immer geflossen.

(bsc)