Metall- und Elektro-Industrie: Lohnsenkung trotz Corona-Prämie?

Betrieb der Maschinentechnik. Bild: Arbeitgeberverband Gesamtmetall, CC BY 2.0

Pilot-Tarifverträge wurden wegen Sonderzahlungen in der Pandemie gefeiert. Am Ende könnte es für die Beschäftigten aber ein Minus geben. Wie kann das sein?

Im Juni erhalten die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen eine einmalige Corona-Beihilfe von 500 Euro. So sieht es der neue Tarifvertrag der IG Metall vor. Was den wenigsten bekannt ist: Die Metall- und Elektro-Tarifverträge beinhalten Öffnungsklauseln, deren Auswirkungen auf die Belegschaften noch unklar sind.

Neu ist eine variable Gestaltung des Weihnachtsgelds. "Es kann bei schlechter Wirtschaftslage halbiert werden und so zu einer weiteren Kostenentlastung des Betriebs beitragen", meldete die Stuttgarter Zeitung Ende März. Die Kennzahl, an der ein Ab- oder Zuschlag festgemacht wird, soll zwischen Betriebsrat und Unternehmen festgelegt werden.

Aber das ist nicht alles. Vereinbarte Tariferhöhungen mehrerer Monate werden zusammengerechnet und als "Transformationsgeld" bezeichnet. Dieses Geld "können Betriebe je nach wirtschaftlicher Lage einsetzen. Betriebe, denen es gut geht, zahlen das Geld an die Beschäftigten aus. Betriebe, denen es schlecht geht, wandeln das Geld in mehr Freizeit für die Beschäftigten um, verkürzen dadurch die Arbeitszeit und sichern damit Arbeitsplätze", meldet die IG Metall. Das sogenannte Transformationsgeld muss also nicht ausbezahlt werden.

Tabubrüche, damit Gewinne steigen

"Dies sind nicht hinzunehmende Tabubrüche, wenn mühsam erkämpfte Errungenschaften vom Kapital kassiert werden können, wenn die Gewinne nicht stimmen. Das Geschäftsrisiko wird somit auf die Beschäftigten verlagert", kritisiert die "Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften" (VKG).

Denn so finden in der Praxis Nachverhandlungen zu tariflichen Abschlüssen statt - in denen nicht die Gewerkschaft, sondern der Betriebsrat verhandelt und entscheidet. Betriebsrat und Management können regeln, dass die Arbeitszeit abgesenkt wird und somit das "Transformationsgeld" Ausgleich für die Unternehmen ist.

Der Unterschied zwischen den Akteuren ist jedoch nicht nur rechtlich bedeutsam. Der gravierende Unterschied betrifft die Durchsetzungsmöglichkeiten:

  • Der Betriebsrat ist gemäß § 2 Betriebsverfassungsgesetz zu "vertrauensvoller Zusammenarbeit" mit der Unternehmensleitung verpflichtet. "Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind unzulässig", zeigen die begrenzten Möglichkeiten der Mitbestimmung auf. Letztendlich geht es für das Gremium darum, auf Basis der Unternehmensentscheidung, beim "wie" mitzureden.
  • Die Gewerkschaft hat da andere Möglichkeiten - wenn sie sie denn nutzen will. Für einen Tarifvertrag kann gestreikt werden, der Kampf für den Tarifvertrag kann zur Mobilisierung der Beschäftigten genutzt werden. Der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit kann klar benannt werden.

Tariföffnung im Sinne der Unternehmen

Damit folgt die IG Metall einem Trend, der seit den 1990er Jahren zu verzeichnen ist: die Öffnung von Tarifverträgen im Sinne der Unternehmen.

Eigentlich ist ein Tarifvertrag eine verbindliche Regelung, die nicht durch Betriebsvereinbarungen unterlaufen werden darf. Er setzt Mindeststandards im Betrieb. Der Gesetzgeber hat dabei – im Interesse des Funktionierens der Tarifautonomie - der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien den Vorrang eingeräumt. Die Befugnis der Tarifparteien zur Regelung der Arbeitsbedingungen soll nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass "Arbeitgeber und Betriebsrat" abweichende Regelungen vereinbaren.

Eine Ausnahme sieht jedoch das Betriebsverfassungsgesetz vor, "wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt". In diesem Fall darf ein Tarifvertrag verschlechtert werden - dank Öffnungsklausel über eine Betriebsvereinbarung. Die Betriebsvereinbarung schließt der Betriebsrat ab, der keinerlei Streikrecht hat.

Diese Art der Tariföffnung hat eine lange Geschichte. Die Rezession 1992/1993 wird von Beobachtern als Auslöser für tarifliche "Standortpakte" in vielen Unternehmen gesehen. Die Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells beim Volkswagenwerk, das "Vier-Tage-Modell" der kollektiven Arbeitszeitverkürzung zwischen VW-Management und IG Metall 1993, gilt als bahnbrechende Vereinbarung in Richtung Öffnung von Tarifverträgen. Häufig fällt bei Tariföffnungen der Begriff "betriebliche Bündnisse".

Der damalige Vorsitzende der IG Metall, Klaus Zwickel, unterbreitete 1996 Unternehmensverbänden und der Bundesregierung unter Helmut Kohl den Vorschlag, ein "Bündnis für Arbeit" zu schließen. Die Gewerkschaft werde sich bei Forderungen in den Tarifrunden zurückhalten, die Unternehmen sollten dafür Arbeitsplätze sichern und die Bundesregierung die politischen Rahmenbedingungen zur Beschäftigungsförderung schaffen.

Zu einem politischen Bündnis kam es zwar nicht. Für die Unternehmen war dies jedoch ein Startschuss für weitgehende Forderungen - so wurden "betriebliche Bündnisse" ein Thema.