KI-Filter und Menschenrechte: Europarat will Meinungsfreiheit besser schützen

Automatisierte Filter und gesteuerte Nachrichtenangebote können Meinungsfreiheit und Grundrechte bedrohen. Der Europarat hält mit mehreren Maßnahmen dagegen.

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(Bild: kb-photodesign/Shutterstock.com)

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Von
  • Monika Ermert
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Ohne geeignete regulatorische Schritte bedrohen auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Filter ebenso wie auf Microtargeting basierende Nachrichtenangebote die Meinungs- und Informationsfreiheit der Bürger in den 47 Mitgliedsstaaten des Europarates. Der Ministerrat der Organisation verabschiedete bei seiner Konferenz in Nikosia auf Zypern am Freitag Entschließungen zu KI-Filtern und zum Schutz der Meinungsfreiheit unter den Bedingungen des Medienwandels, der zunehmenden Angriffe auf Journalisten und der häufig als Vorwand für Einschränkungen der Berichterstattung missbrauchten Pandemie Situation.

Seit mehreren Jahren mahnt der Europarat in Straßburg in immer kürzeren Abständen, dass Meinungs- und Medienfreiheit ernsthaft bedroht sind. Mit den vier Entschließungen verpflichten sich die Mitglieder, zu denen auch Staaten wie die für Journalistenverfolgung bekannte Türkei oder Aserbaidschan gehören, der Verschlechterung der Situation entgegenzutreten. Nur eines der 47 Mitgliedsländer, Russland, legte den Beschlüssen eine abweichende Erklärung bei.

In der Erklärung "Künstliche Intelligenz – intelligente Politik: Herausforderungen und Chancen für Medien und Demokratie" geben die Europaratsstaaten ihrer Besorgnis Ausdruck, dass "die bestehenden Ansätze zur Moderation von Inhalten nicht immer den Anforderungen in Bezug auf Rechtmässigkeit, Legitimität und Verhältnismäßigkeit des Artikels 10.2 der Europäischen Menschenrechtskonvention genügen." Overblocking müsse der Gesetzgeber verhindern, genauso wie den Einbau von Vorurteilen und Befangenheit in die KI-Routinen.

Außerdem auferlegen sich die Mitgliedsländer selbst, Einspruchsmöglichkeiten gegen ungerechtfertigte Takedowns vorzusehen. Gemeinsam mit denen, die KI zur Produktion, zur Moderation und zur Distribution digitaler Inhalte entwickeln und einsetzen, werde man nach „kooperativen oder Ko-Regulierungsverfahren“ suchen, um die Verletzung von Meinungs- und Informationsfreiheit zu verhindern. Die Unternehmen selbst seien zugleich gefordert, ihre Designs schon bei der Entwicklung auf mögliche Gefahren für die Grundrechte zu prüfen.

Es gehe nicht um einen generellen Bann automatisierter Filterung, sagte Christos Giakoumopoulos, Director General of Human Rights and the Rule of Law beim Europarat bei der Pressekonferenz am Freitagnachmittag. "Wir brauchen im Internet Content Moderation. Aber sie muss kontrolliert sein", sagte er gegenüber heise online und anerkannte, man sei angesichts der bereits aus dem Boden sprießenden Filterauflagen für Plattformen und Provider in vielen Mitgliedsländern schon etwas spät dran, Schranken für Grundrechte einzuziehen.

Stärkere gesetzgeberische Maßnahmen konzedieren die Mitgliedsstaaten in einer eigenen Erklärung für den Schutz von Journalisten. Aufgrund einer verheerenden Bilanz der Europaratsplattform zum Schutz der Sicherheit von Journalisten im Europaratsgebiet, seien nationale Aktionspläne dringlich, verkünden die Minister gestern.

Laut der Europaratsplattform haben die Angriffe auf Medienschaffende 2020 in den Mitgliedsstaaten um 40 Prozent zugenommen, bei einer Rekordzahl von 52 Fällen handele es sich um physische Attacken. Von den 27 Morden an Journalistinnen und Journalisten im Europaratsgebiet seit 2015 sind bis heute 22 unaufgeklärt, konzedieren die Minister in ihrer Erklärung.

Andere Werkzeuge gegen unbequeme Journalisten sind auch millionenschwere Schadenersatzklagen, sogenannte Strategic legal lawsuits against public participation (SLAPP), oder im Coronajahr die Verabschiedung von einschüchternden Fake News-Gesetzen in mehreren Mitgliedsländern. Zur Gefahr für die Medienfreiheit dadurch gab es eine eigene Erklärung. SLAPPs stehen in den nächsten Monaten auf dem Programm des Europarats, versicherte Giakoumopoulos im Pressegespräch.

Der Generaldirektor des Bereichs Menschenrechte räumte zugleich ein, klare Zeitpläne, etwa für neue Gesetze zur Einhegung von KI oder zum Schutz von Journalisten in den Mitgliedsstaaten gebe es nicht. "Unsere Stärke ist, dass wir unsere Mitgliedsstaaten gemeinsam davon überzeugen – oder sie sich gegenseitig –, dass Demokratie, Rechsstaatlichkeit und Menschenrechte die besten Garantien für Frieden und Wohlstand auf dem Kontinent sind," sagte Giakoumopoulos.

Ganz offen nicht überzeugt von den gestrigen Beschlüssen zeigte sich Europaratsmitglied Russland. Der Schutz "anderer Medienakteure" sei entbehrlich. Die Aufnahme anderer Geschlechtsbezeichnungen als Mann und Frau im Dokument lehnt die Russische Föderation ab und übrigens seien Frauen und Männer gleich betroffen von Angriffen auf Journalisten. Die Schuldigen dafür sind übrigens aus russischer Sicht private Unternehmen, daher empfiehlt Russland in seinem länglichen Sondervotum auch international verbindliche Regeln, um digitale Intermediäre besser zu regulieren. Der Aktionsplan für Russland zum Schutz für Journalisten sei in Russland wirklich unnötig, so die Erklärung.

Auf der Rangliste zur Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt das Land mit acht inhaftierten Journalisten und Bloggern aktuell auf Rang 150. Nur zwei Europaratsmitglieder liegen noch weiter hinten, die Türkei (153) und Aserbaidschan (167). Die beiden unterstützen die Beschlüsse zur Pressefreiheit aber voll.

(tiw)