Warum Chinas Generation Z mit dem Aussteigertum liebäugelt

Freiheit und Glück statt Karriere- und Konsum – im Wachstumswunderland Volksrepublik geht der Begriff "sich hinlegen" viral. Forscher suchen nach Gründen.

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Junge Frau in China.

(Bild: Lau keith / Unsplash)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Martin Kölling
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Chinas Generation Z mag zwar hinter der Großen Firewall, mit der die Zensoren missliebige Internet-Seiten im Ausland blocken, vor allem im eigenen Online-Saft schmoren. Aber Hype-Mechanismen der Kurznachrichtenwelt wirken universell: Binnen weniger Wochen wurde dieses Jahr der Begriff "sich hinlegen" für die zwischen 1995 und 2010 geborenen Menschen zum Megatrend – und zu einem kontrovers diskutierten sozialen Phänomen.

Unter dem Begriff wird der Versuch einer von Digital- und Karrierestress getriebenen Jugend beschrieben, durch Konsumverzicht aus der harten Konkurrenz auszubrechen und so Freiheit und Glück zu gewinnen. Zugeschrieben wird der Begriff einem Internet-Blogger namens "gutmütiger Reisender", der beschrieb, wie er durch die Selbstbeschränkung auf zwei Mahlzeiten pro Tag seine Kosten so niedrig hält, dass er nur ein bis zwei Monate im Jahr arbeiten muss.

"Flachliegen ist die einzige objektive Wahrheit im Universum", philosophiert der Konsumverweigerer, der sich auf einem Foto als junger Mann auf einem Bett präsentiert. Er hasse die Vorstellung, "ein Leben lang für Beton und Stahl und das 'traditionelle Familienkonzept' hart zu arbeiten." Das sollten Menschen nicht tun.

Sein Gegenentwurf: "In der Rast, im Schlaf oder im Tod, der Moment, in dem ein Lebewesen, das voll von Hoffnung und Aufregung steckt, anhält und vergeht – das ist die Verkörperung dessen, wie es wirklich sein sollte. Ich wähle, mich hinzulegen, ich fürchte mich nicht mehr."

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Die Idee vom Aussteigertum in der von Erfolgsdruck und Materialismus geprägten chinesischen Gesellschaft ging prompt viral. Im ganzen Land diskutieren seither junge Leute in Gruppen, wie sie sich diesen Lebensweg wenigstens zeitweise zu eigen machen können. Das Phänomen wurde sogar derart prominent, dass die staatliche Nachrichtenagentur "Xinhua" das Thema aufgriff, mit kritischen Kommentaren über die gesellschaftlich schädliche Wirkung von Müßiggang.

Die "Global Times", ein englischsprachiges Organ der kommunistischen Partei Chinas, posaunte die Diskussion sogar in die Welt hinaus. Viele Millennials und Generation Zler beklagten sich der "Global Times" zufolge, dass Belastungen wie Arbeitsstress, Familienstreitigkeiten und finanzielle Lasten sie "an die Wand gedrückt haben". Stattdessen wollen sie lieber etwas aufgeben, "als in einem endlosen Wettbewerb mit Gleichaltrigen gefangen zu sein."

Das Leben der Generation Z, der ersten demographischen Kohorte der "Digital Natives", ist in China durch extremen Konkurrenzdruck gekennzeichnet. Von klein auf wird die Jugend geistig, musikalisch und teilweise sportlich gedrillt, um die "Gaokao", die Aufnahmeprüfung für Universitäten zu bestehen. Denn nur, wer eine gute Universität besucht, hat Chancen auf einen gutbezahlten Job.

Die "Global Times" nennt einen Maßstab für Erfolg beim Englisch lernen: Welches Kind im Alter von sechs Jahren Harry Potter im Original lesen könne, gelte als schlau und talentiert. Den Kindern Hühnerblut einflößen, nennt der Ökonom Li Jingkui in der chinesischen Zeitschrift Caixin dieses Verfahren.

Das Problem für den Professor für Finanzen und Wirtschaft an der Zhejiang Universität ist, dass die frühere Karriere vom Bauern oder Arbeiter zum Millionär immer härter wird. Er war noch der erste aus seiner Gemeinde, der es an eine Universität schaffte. "In den nächsten 20 Jahren wurde ich Zeuge einer Ära des rasanten Fortschritts in der chinesischen Gesellschaft, aber die soziale Mobilität wurde viel schwieriger als zuvor."

Die Eltern sorgen sich inzwischen, dass ihre Kinder sozial abrutschen. Denn wer es nicht auf die Universität schafft, findet zwar auch Arbeit. "Aber diese Jobs würden sich nicht von denen unterscheiden, die andere junge Leute von außerhalb der Stadt finden können", meint Li. Es wäre äußerst schwierig, in einer Stadt zu leben, eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen, ein Auto zu besitzen oder eine Familie zu gründen, wenn man auf das magere Einkommen solcher Jobs angewiesen sei.

Im Arbeitsleben werden die jungen Leute dann oft weiter geschlaucht. "996" heißt in vielen Firmen der Arbeitsalltag, von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends, sechs Tage die Woche. Nicht alle fühlen sich diesem Leben gewachsen. Das ist ein idealer Nährboden für die Theorie der Konsumverweigerung und des Ausspannens.

Es darf aber bezweifelt werden, dass sich ein großer Teil der jungen Chinesen dauerhaft auf die faule Haut legen wird. Denn Chinas Generation Z ist extrem konsumfreudig. In einer internationalen Vergleichsstudie zum Kaufverhalten stellt das Beratungsunternehmen McKinsey fest, dass fast die Hälfte der chinesischen Generation Z zu Impulskäufen neigt, deutlich mehr als ihre Altersgenossen in anderen Ländern der Welt.

Dabei wetten die meisten auf hohe Einkommen, so die Autoren. "Chinas Generation Z verbrachte ihre Kindheit während der schnellsten anhaltenden Expansion einer großen Volkswirtschaft in der Geschichte und ist daher an schnelle Verbesserungen ihres Lebensstandards gewöhnt."

Als erste Generation von Digital Natives sind sie zudem damit aufgewachsen, mit dem Smartphone zu kommunizieren, sich zu unterhalten und bargeldlos einzukaufen. Viele lösen daher den Wechsel auf die Zukunft sogar im Hier und Jetzt ein, mit ein paar simplen Klicks. 36 Prozent der Befragten würden mehr Geld ausgeben als sie haben, so McKinsey.

Es wird ihnen einfach gemacht. "In China haben sogar Universitätsstudenten ohne Kreditwürdigkeit Zugang zu Finanzprodukten, die es ihnen ermöglichen, Anschaffungen zu tätigen, die sie sich sonst nicht leisten könnten", erklären die Unternehmensberater. Die "Jing Daily", eine Digitalpublikation über Chinas Luxusmarkt, fragt daher bereits: "Wird die Teenager-Verschuldung den Luxusmarkt lähmen?"

Angesichts dieser Konsumtrends werden sich wahrscheinlich viele, die sich nun "hinlegen", doch wieder aufstehen, um weiter nach Karriere und Konsum zu jagen. Aber vielleicht wird die junge Generation wenigstens nach etwas mehr Gleichgewicht zwischen Arbeit und Leben suchen als die Generationen vor ihnen. Die Sehnsucht danach gibt es offensichtlich auch in China.

(bsc)