Wie Japan seine Energieinfrastruktur unter die Erde verlegt

Lange leisteten Stromkonzerne Widerstand gegen unterirdische Stromkabel. Nun bricht Nippons Regierung den Widerstand – aus ästhetischen wie praktischen Gründen.

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Stromleitungen vor dem Berg Fuji.

(Bild: Susann Schuster / Unsplash)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Martin Kölling
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Japans Regierung will dem Land eine Tradition des Städtebaus rauben: Freilandleitungen. Bisher ist das Leitungswirrwar oberirdischer Stromkabel über Nippons Straßen und Gassen eine Attraktion der eigenen Art. Während in vielen deutschen Städten nahezu alle Kabel unterirdisch verlegt werden, sind es in der Megacity Tokio weniger als zehn Prozent.

Besonders in den Gassen der Wohngebiete werden den Häusern Strom- und Telefonleitungen oberirdisch zugeführt. Selbst enge Straßen müssen daher Betonmasten Platz einräumen, an denen in mehreren Schichten dicke Kabelbäume hängen. Doch nun will die Regierung diesem beeindruckenden Kabelsalat wenigstens teilweise "beerdigen".

Bis 2025 will das Ministerium für Land, Infrastruktur, Transport und Tourismus 4.000 Kilometer dieser Freilandleitungen unterirdisch verlegen. Zuerst konzentrieren sich die Planer dabei auf Straßen, die im Falle von Erdbebenkatastrophen dem Transport von Rettungskräften und Waren dienen. Aber auch an beliebten touristischen Zielen soll das Kabelchaos vergraben werden.

Das Ministerium begründete diese – erneute – Initiative mit einer Verbesserung der Katastrophenabwehr und einer Verschönerung der Landschaft. So haben mehrere Megabeben gezeigt, dass unterirdische Stromkabel durch die Erschütterung weit weniger zerstört werden als oberirdische, bei denen die Masten arg ins Schwingen geraten und oft umstürzen.

Und Erdbeben sind nur eine Naturgewalt, mit denen Japan leben muss. Der Expertenausschuss untermalte die Notwendigkeit der Entmastung in seiner letzten Sitzung mit beeindruckenden Bildern vom Taifun 15 aus dem Jahr 2019. Der fällte in Tokios Nachbarpräfektur Chiba nicht nur Bäume, sondern auch Strommasten für die Energieversorgung.

Große Teile der Präfektur mussten danach tagelang ohne Strom auskommen. Ein Grund für die langsamen Aufbaumaßnahmen war, dass umgestürzte Masten die Straßen blockierten. Besonders bei Erdbebenkatastrophen ist dies ein Horrorszenario der Planer, weil Feuerwehren dann noch schlechter Zufahrt zu Brandherden haben. Zudem versuchten die Experten mit Bildern von touristischen Attraktionen wie dem Nationalmonument Berg Fuji oder dem mehr als 600 Meter hohen Fernsehturm Tokyo Skytree zu demonstrieren, wie sehr die Kabel die Ansicht (und die Fotos von dieser) verschandeln.

Neu sind diese Erkenntnisse nicht. Bereits in den 1960er Jahren begann die Initiative, unterirdische Kabel zu verlegen. Doch seither wurden pro Jahr nur zwischen 200 und 450 Kilometer verbuddelt. Denn die Stromkonzerne scheuten die höheren Kosten beim Verlegen der Kabel. Außerdem argumentierten sie, dass die Mitarbeiter beispielsweise bei Erdrutschen und Überschwemmungsarbeiten schneller defekte Stellen identifizieren können.

Doch seit kurzem beschleunigt das Ministerium die Initiative gewaltig, um Japans Städte erdbebenresistenter und hübscher zu machen. Ein weiterer Katalysator ist, dass die Kosten durch neue Technologien und nationale Standards gesenkt wurden. Im laufenden Fünfjahresplan sind weitere Einsparungen von 20 Prozent geplant.

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Allerdings bleibt der Widerstand gegen unterirdische Stromnetze offenbar stark. So appelliert der Ausschuss an die Gemeinden, bei Straßenneubauten grundsätzlich keine Strommasten mehr zu nutzen – und an das Ministerium, sich überzeugende Argumente gegen die Verweigerer zu überlegen.

Japans Reise bis zu europäischen Stadtbildern ist daher noch lang. Durch den neuen Plan wird der Anteil von Notfallstraßen ohne Strommastalleen nur von 38 auf 52 Prozent erhöht. Und in vielen Wohnbezirken hat die Beerdigung der Stromversorgung noch nicht einmal begonnen.

(bsc)