Parteienrechtler: Anträge auf Ausschluss von Wagenknecht und Lafontaine chancenlos

Lafontaine und Wagenknecht, hier bei der Berlinale 2017. Bild: Maximilian Bühn, CC-BY-SA 4.0

Jurist Morlok prüfte für Telepolis zwei Gesuche gegen die beiden Polit-Promis. Zentrale Argumente demnach nicht belastbar. Vertreter der Partei hatten Initiativen zuvor kritisiert

Neue Anträge auf Ausschluss der ehemaligen Linken-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Sahra Wagenknecht, und des amtierenden Vorsitzenden der Fraktion im Saarland, Oskar Lafontaine, haben nach Einschätzung des Parteienrechtsexperten Martin Morlok keine Aussicht auf Erfolg. "Bei der Lektüre habe ich den Eindruck, dass es sich bei den Verfassern zwar um engagierte Leute handelt, denen aber die Gäule durchgegangen sind", sagte der emeritierte Jurist und Experte für Parteienrecht gegenüber Telepolis.

Am Mittwoch hatte Telepolis berichtet, dass den Landesverbänden der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland zwei neue Anträge auf Ausschluss von Wagenknecht und Lafontaine vorliegen. Erstmals hatte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel vor knapp zwei Wochen über einen ersten Antrag gegen Wagenknecht berichtet.

Darin und in den neuen Eingaben wird vor allem mit Aussagen im jüngsten Sachbuch der Politikerin argumentiert. Unter dem Titel Die Selbstgerechten hatte Wagenknecht identitätspolitische Positionen linker Gruppen und Bewegungen kritisiert und eine Rückbesinnung auf die soziale Frage gefordert.

In einem weiteren Papier legen die Autoren Oskar Lafontaine zur Last, im Zuge eines Konfliktes mit dem Bundestagsabgeordneten Thomas Lutze "zur Nichtwahl der eigenen Partei" aufgerufen zu haben. Morlok prüfte auf Bitte von Telepolis beide Papiere.

Experte sieht keinen Aufruf, die Linke nicht zu wählen

In dem angeführten Zitat werde nach seinem Textverständnis jedoch nicht dazu aufgerufen, die Partei DIE LINKE bei der kommenden Bundestagswahl nicht zu wählen, so Morlok nach Durchsicht des Antrags gegenüber Telepolis: "Vielmehr macht Oskar Lafontaine deutlich, dass er aus einer Reihe von Gründen keine Möglichkeit sieht, den Linken-Kandidaten Thomas Lutze zu wählen und gegen eine Wahl dieses Kandidaten plädiert." Eine solche begründete Haltung müsse in einer Partei möglich sein, so Morlok weiter, "und das bietet keinen Anlass zum Ausschluss".

In dem Antrag gegen Sahra Wagenknecht wird der Politikerin zunächst vorgeworfen, 2014 an einer friedenspolitischen Kundgebung teilgenommen zu haben, an der sogenannte Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger anwesend gewesen sein sollen. "Unabhängig vom konkreten Sachverhalt ist eine solche Argumentation nach dem Motto "Mitgefangen-mitgehangen" in einem Ausschlussantrag problematisch", sagte Morlok: "Ich würde das jedenfalls nicht aus Ausschlussgrund akzeptieren."

Auch die Aussage Wagenknechts "Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt" diene nicht als hinreichender Grund für eine Aberkennung der Mitgliedschaft, so die Einschätzung des Parteienrechtsexperten. Gleiches gelte für Wagenknechts Positionierung gegen die generelle Öffnung von Grenzen. "Eine solche Forderung zu problematisieren, muss auch einer Linken-Politikerin möglich sein", bekräftigte der Jurist.

Kontaktverbote besser in der Pandemie als in der Politik

Widerspruch kommt aber auch von Akteuren, die im jüngsten Antrag gegen Wagenknecht persönlich angeführt werden. So widerspricht der Attac-Aktivist Pedram Shahyar der Darstellung, Wagenknecht habe mit ihrer Teilnahme an einer Kundgebung mit dem Motto "Friedenswinter" Mitte Dezember 2014 mit Verschwörungstheoretikern und Rechten paktiert.

"Die Antragsteller setzen die Mahnwachen für den Frieden, die damals stattgefunden haben, mit der Kampagne Friedenswinter gleich und versuchen daraus einen Vorwurf gegen Sahra Wagenknecht zu konstruieren", so Shahyar gegenüber Telepolis. Dem liege aber eine entscheidende Fehleinschätzung zugrunde:

Die Kampagne Friedenswinter hatte einen sehr breiten Aufrufer- und Unterstützerkreis, darunter viele linke Aktivisten und Politiker, Vertreter der Friedensbewegung und Künstler. Wenn nun als vermeintlicher Ausschlussgrund angeführt wird, dass Wagenknecht auch dabei war, dann ist das völlig absurd, politisch und formaljuristisch, denn es gab nie einen Parteibeschluss der ihr eine Teilnahme an dieser politisch breiten Kampagne untersagt hätte.

Pedram Shahyar

Martin Morloks Resümee jedenfalls lässt erwarten, dass die Anträge von den zuständigen Kommissionen zurückgewiesen werden:

Alles in allem habe ich den Eindruck, dass die in den vorliegenden Anträgen aufgeführten Argumente nicht richtig greifbar sind und daher nicht für einen Ausschluss dienen können. Kontaktverbote, wie sie in dem Antrag gegen Wagenknecht mehrfach gefordert werden, mögen in der Pandemie geboten sein; in der Politik verbieten sie sich.

Martin Morlok

Morlok war Inhaber des Lehrstuhls für "Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie" und Direktor des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRuF) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Er hat sich wiederholt zu Ausschlussverfahren verschiedener Parteien geäußert und 2001 im Auftrag der Parteifinanzierungskommission des Bundespräsidenten in einem Gutachten Vorschläge für die Neuregelung des Rechts der Parteienfinanzierung verfasst.

Telepolis hatte am Mittwoch erstmals über das neue Ausschlussgesuch gegen Wagenknecht und einen entsprechenden Vorstoß gegen Lafontaine berichtet. Wagenknecht kritisierte die Initiativen gegenüber dieser Redaktion.

Die Reaktion auf mein Buch bestätigt leider meine These von der zunehmenden Intoleranz in Teilen des linken Spektrums und der zunehmenden Unfähigkeit, andere Meinungen zu respektieren und sich mit ihnen sachlich auseinanderzusetzen.

Sahra Wagenknecht

"Grundsätzlich halte ich Ausschlussanträge für nicht geeignet, um politische Kontroversen auszutragen", bekräftigte auch der Bundesgeschäftsführer der Linken, Jörg Schindler. Daher lehne auch er den Ausschlussantrag gegen Wagenknecht ab.

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