Schäuble: Bundestag hat sich als "sehr krisenfest" erwiesen

Auf die Corona-Pandemie war auch der Bundestag nicht gefasst. Wie ist das Parlament durch die Krise gekommen? Präsident Wolfgang Schäuble zieht Bilanz.

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Wolfgang Schäuble

(Bild: CDU-Bundesgeschäftsstelle)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Ulrich Steinkohl
  • dpa

Der Bundestag ist zwar auch von der Corona-Pandemie überrascht worden, hat die Herausforderung aber gemeistert – zu dieser Einschätzung gelangt sein Präsident Wolfgang Schäuble (CDU). Das Parlament tagte am Freitag offiziell zum letzten Mal in dieser Wahlperiode.

Herr Schäuble, jede Legislaturperiode hat ihre ganz eigenen Herausforderungen. In der einen fällt die Mauer und Deutschland wird wiedervereint, in der anderen stürzt die Welt in eine Finanz- und Bankenkrise. Wie sah es diesmal aus?

Na ja, zumindest die zweite Hälfte dieser Legislaturperiode ist durch die weltweite Pandemie von einer ganz neuen Erfahrung mit enormen Herausforderungen geprägt gewesen. Das hatten wir so nicht erwartet und die Folgen werden uns gesellschaftlich und wirtschaftlich noch lange beschäftigen. Wie die Pandemie in das Leben von uns allen eingegriffen hat, lag außerhalb meiner Vorstellungskraft.

Sie waren in der Pandemie sehr um die Arbeitsfähigkeit des Parlaments besorgt. Als wie krisenfest hat sich der Bundestag erwiesen?

Als sehr krisenfest. Das Parlament war zu jedem Zeitpunkt arbeits- und entscheidungsfähig. Ich habe von Anfang an darauf gedrängt, dass der Bundestag auch in Krisenzeiten seine Rolle und seine Verantwortung als das höchste demokratisch legitimierte Organ in unserer Verfassung voll wahrnimmt. In einer solchen Notstandssituation durfte die Demokratie, das Grundgesetz oder das Parlament nicht außer Kraft gesetzt werden.

Das ist uns gelungen, auch weil sich alle ihrer Verantwortung bewusst waren und an einem Strang zogen. Selbstverständlich ist das nicht. Deswegen habe ich ja auch früh angeregt, man sollte sich mit der Frage beschäftigen, ob wir nicht für zukünftige unvorhersehbare Notlagen im Grundgesetz Vorkehrungen treffen müssen, um jederzeit die Arbeitsfähigkeit aufrechterhalten zu können. Denn es ist klar: Die Regelungen, die wir im Grundgesetz haben, reichen für eine pandemische Notlage nicht.

Zur Person

Wolfgang Schäuble ist seit Oktober 2017 Präsident des Deutschen Bundestags und damit protokollarisch zweiter Mann im Staat. Der 78-Jährige gehört dem Parlament seit 1972 ohne Unterbrechung an. Von 1984 bis 1989 war er unter Helmut Kohl Chef des Kanzleramts, von 1989 bis 1991 Bundesinnenminister. In dieser Funktion arbeitete er maßgeblich den deutschen Einigungsvertrag mit aus. Anschließend wechselte Schäuble bis 2000 an die Spitze der CDU/CSU-Fraktion, von 1998 bis 2000 war er auch CDU-Vorsitzender. 2005 übernahm er wieder das Innenministerium, von 2009 bis 2017 war er dann Finanzminister. Im September kandidiert er erneut für den Bundestag.

Sie haben dazu vorgeschlagen, Regelungen für eine Art Notparlament zu schaffen. Das fand aber keine Zustimmung.

Zunächst war die Reaktion in den Fraktionen: Das sollten wir jetzt mitten in der Krise nicht machen. Wir haben es ja auch bis jetzt nicht gebraucht. Aber was, wenn es doch noch mal viel schwieriger kommt? Inzwischen höre ich aus vielen Fraktionen, dass man nach der Krise schon überlegen sollte, ob man für solche Situationen nicht eine Regelung schaffen sollte, die die Arbeitsfähigkeit des Bundestages zu jeder Zeit sicherstellt. Das ist eine Aufgabe für die nächste Legislaturperiode.

Eine Möglichkeit wären ja auch Online-Plenarsitzungen gewesen.

Die Ausschüsse, Fraktionen und Arbeitsgruppen haben in vielfältiger Weise digital, auch hybrid getagt. Davon wird sicher manches in der Zukunft bleiben. Man muss nicht für jede Besprechung aus den Wahlkreisen anreisen. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Parlamenten haben wir die Plenarsitzungen mit Abstands- und Hygieneregeln immer real durchgeführt.

Warum war und ist Ihnen das wichtig?

Antwort: Das Parlament hat als Forum der Nation insbesondere über die Debatte im Plenum die Aufgabe, die unterschiedlichen Meinungen und Interessen, die es in einer freiheitlichen Gesellschaft gibt, transparent, das Pro und Contra, das mühsame Ringen um Kompromiss und Konsens öffentlich sichtbar zu machen. Und das geht eben nicht digital, sondern nur in echter Debatte, in richtigen Sitzungen mit Zwischenrufen und Applaus. Das ist uns – alles in allem – gut gelungen.

Es gibt seit langem die Kritik, viele Entscheidungen würden in Gremien fallen, die gar nicht durch Wahlen legitimiert sind. Etwa in Koalitionsausschüssen. Nun kam noch die Ministerpräsidentenkonferenz dazu, die in rascher Folge Beschlüsse gefasst hat. Hat das den Bundestag geschwächt?

Diese Kritik halte ich nicht für berechtigt. Koalitionsausschüsse sind demokratisch legitimiert. Der Gesetzgeber schafft im Übrigen den gesetzlichen Rahmen, ausführen muss aber die Exekutive – und zwar die, die im föderalen Staat zuständig ist. Und das ist nach dem Grundgesetz überwiegend die Länderebene. Dafür braucht es Absprachen zwischen den Ländern. Der Föderalismus hat sich bei aller Kritik im Grundsatz bewährt. Die Franzosen haben uns jedenfalls in der Krise um unser föderales System beneidet.

Die Opposition hätte es am liebsten gesehen, dass die Entscheidungen über den Kurs in der Pandemie im Parlament getroffen werden und nicht in Bund-Länder-Runden.

Das sollte man auch nicht überbewerten. Die Regierung und die sie parlamentarisch tragenden Koalitionsfraktionen haben – unter der Kritik der Opposition und von Teilen der Öffentlichkeit – immer wieder ihre Entscheidungen getroffen. Die kann man für falsch oder richtig halten, aber man darf nicht sagen, sie seien nicht demokratisch legitimiert.

Sie haben 2017 als frisch gewählter Bundestagspräsident gesagt, man müsse das Vertrauen in das repräsentative Prinzip wieder stärken. Corona-Leugner und Querdenker haben dieses Vertrauen jedenfalls nicht. Hat die Demokratie in der Pandemie Schaden genommen?

Das glaube ich nicht. Unser demokratisches System hat gezeigt, dass es auch mit einer so schwierigen Pandemiesituation, in der niemand alles voraussehen kann, umgehen kann. Aber natürlich gibt es bedenkliche Entwicklungen, die wir schon vor der Pandemie gesehen haben. Überall in den westlichen repräsentativen Demokratien stehen wir vor ähnlichen Herausforderungen: teils sinkende Wahlbeteiligungen, die Stärkung von Extremen an beiden Rändern des politischen Spektrums und populistische Strömungen.

Umso wichtiger war es, dass wir als Abgeordnete unsere Aufgabe im repräsentativen System wahrgenommen haben. Wenn heute nach allen Umfragen eine stärkere Rolle des Bundestags erwartet wird, dann spricht das doch dafür, dass das repräsentative Prinzip eher gestärkt worden ist.

Erstmals saß in dieser Wahlperiode die AfD im Bundestag. Wie hat diese Partei das Parlament verändert?

Die anderen Fraktionen hat sie relativ wenig verändert. Und der Bundestag als Ganzes wurde eben damit konfrontiert, dass es in unserer Bevölkerung, also beim Souverän, ein nicht unerhebliches Spektrum von Meinungen gibt, das sich auch durch die gewählten Repräsentanten dieser Partei parlamentarisch abbildet. Das muss man respektieren. Im Übrigen habe ich als Bundestagspräsident stets darauf Wert gelegt, dass alle Abgeordneten dieselben Rechte und Pflichten haben.

Aber man hat den Eindruck, dass der Umgang im Parlament ruppiger geworden ist. Es gab so viele Ordnungsrufe wie seit langem nicht mehr. Wie sehen Sie das?

Na ja, in anderen Parlamenten prügelt man sich schon mal. Das geht natürlich gar nicht. Aber denken Sie auch mal an frühere Zeiten, an Herbert Wehner, Franz Josef Strauß, Helmut Schmidt und viele andere. Die Zwischenrufe von Wehner waren so bösartig – und zugleich geistreich, dass man schon wieder lachen musste. Das ist Parlament "at it's best". Zwischenrufe gehören dazu, aber ein gewisses Niveau ist schon wünschenswert. Unsere gemeinsame Linie im Präsidium war immer, eine streitige Debatte zu ermöglichen und auf die Einhaltung der Regeln zu achten, die sich die Abgeordneten selbst gegeben haben. Und damit sind wir ganz gut gefahren.

Die AfD selbst hat nicht das Gefühl, gleiche Rechte zu haben. So hat sie vier Jahre lang mit sechs Kandidaten vergeblich versucht, einen Bundestag-Vizepräsidenten zu bekommen. War das richtig?

Die geltenden Regeln sind eindeutig: Es gibt einen Präsidenten oder eine Präsidentin des Bundestags, das steht im Grundgesetz. Dazu gibt es Stellvertreter. Wie viele, das entscheidet jeder Bundestag am Beginn der Legislaturperiode. Es gibt keineswegs ein Prinzip, wonach jede Fraktion einen Anspruch hätte, ein Mitglied im Präsidium zu stellen. Alle Präsidiumsmitglieder müssen in geheimer Wahl von der Mehrheit des Parlaments gewählt werden. Und wenn eine Fraktion für ihre Personalvorschläge nicht diese Zustimmung bekommt, dann ist das so.

Ich bin mir ganz sicher, dass dies einer rechtlichen Überprüfung standhält, weil die Mitglieder im Präsidium nicht Vertreter der Fraktionen sind. Im Ältestenrat, der über die inneren Angelegenheiten des Bundestages berät, ist die AfD vertreten. Im Übrigen: Im Laufe der Legislaturperiode ist das Vertrauen der anderen Abgeordneten gegenüber der AfD nach meiner Beobachtung nicht gewachsen. Woran das liegt, muss sich die AfD selber fragen.

Ein Thema, das den Bundestag auch in der kommenden Wahlperiode beschäftigen wird, ist die Wahlrechtsreform. Welche Erwartungen haben Sie an die Kommission, die dazu jetzt eingesetzt wurde?

Ich bin sehr unglücklich, dass es den Fraktionen nicht gelungen ist, zu einer echten Lösung zu kommen. Ich habe mich in dieser Legislaturperiode von der ersten Woche an darum bemüht. Trotz der Investition von viel Mühe und Geduld und noch mehr Zeit und Kraft sind alle Versuche, eine wirksame Reform zu erreichen, gescheitert. Das gehört für mich zu den größten Enttäuschungen dieser Legislaturperiode. Das Problem bleibt die Quadratur des Kreises, und das wird auch die neue Kommission nicht lösen können. Also wird sich der nächste Bundestag dieser Aufgabe wieder stellen müssen.

(mho)