Biontech: Der Streit um die dritte Corona-Impfung

Die Biotechfirma plädiert zusammen mit Partner Pfizer dafür, im Kampf gegen Mutanten bald Auffrischungsimpfungen zu verabreichen. Experten sind sich uneins.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 605 Kommentare lesen

(Bild: Seda Yalova/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Cassandra Willyard

Ist es an der Zeit, an Auffrischungsimpfungen gegen das Coronavirus zu denken? Bei Biontech und seinem Pharma-Partner Pfizer ist man davon bereits überzeugt. So sprachen sich Pfizer-Vertreter bei einem privaten Treffen mit hochrangigen US-Wissenschaftlern und den zuständigen Regulierungsbehörden in der vergangenen Woche dafür aus, dass das Land eine dritte Impfung genehmigt. In der Woche davor gaben Pfizer und sein deutscher Partner bekannt, dass sie eine nachlassende Immunität bei geimpften Personen beobachtet hätten und eine Notfallzulassung für eine Auffrischungsimpfung ("Booster Shot") im August beantragen wollen. Eine dritte Impfung "könnte von Vorteil sein, um das höchste Schutzniveau aufrechtzuerhalten", so die Unternehmen.

Trotzdem sollte man nicht damit rechnen, schnell seine dritte Spritze zu bekommen. Beispiel USA: Nach der Ankündigung von Pfizer gaben die Seuchenschutzbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und die Arzneimittelbehörde FDA sogleich eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie betonten, dass vollständig geimpfte US-Bürger zu diesem Zeitpunkt keine Auffrischungsimpfung benötigen. Kurz darauf schloss sich das Gesundheitsministerium in Washington dieser Haltung an. "Es war ein interessantes Treffen. Die Firmen zeigten uns ihre Daten. Es gab aber nichts, was einer Entscheidung gleichkommen würde", so der oberste Corona-Berater des US-Präsidenten Joe Biden gegenüber der "New York Times".

Das liegt auch daran, dass die Ergebnisse von Biontech nicht unumstritten sind. Denn Daten aus Laborstudien sowie reale Infektionsdaten zeigen, dass der Damm auch ohne Auffrischungsimpfungen hält, wie John Wherry, Immunologe an der Universität von Pennsylvania, meint. "Schwere Infektionen, Krankenhausaufenthalte und Todesfälle werden fast ausschließlich bei ungeimpften Populationen beobachtet, sogar für die Delta-Variante." Und wenn Infektionen bei geimpften Menschen auftreten, seien die Symptome eher mild. "Das ist kein Versagen des Impfstoffs – das ist ein Erfolg des Impfstoffs", sagt Wherry.

Die Haltung von Biontech und Pfizer stützt sich wiederum auf aktuelle Daten des israelischen Gesundheitsministeriums. Diese zeigten, dass der Schutz gegen symptomatische Infektionen sechs Monate nach der Impfung abnehme, obwohl der Impfstoff immer noch einen guten Schutz gegen schwere Erkrankungen biete. Diese Informationen stimmten mit den Ergebnissen aus ihren eigenen Phase-3-Studien überein. Eine dritte Dosis innerhalb von sechs bis 12 Monaten nach der vollständigen Impfung sei deshalb erforderlich. Und: Daten aus einer Booster-Studie der Partner deuteten darauf hin, dass eine dritte Dosis die Konzentration der neutralisierenden Antikörper um den Faktor fünf bis zehn erhöhen kann.

Biontech und Pfizer arbeiten zudem an einer Auffrischungsimpfung, die spezifisch auf die Delta-Variante abzielt, die sich derzeit mehr und mehr durchsetzt. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO haben mindestens vier Länder Booster-Programme angekündigt, darunter Israel, das mit einem Delta-Ausbruch kämpft. Das Land begann bereits letzte Woche damit, Menschen mit geschwächtem Immunsystem, darunter Krebspatienten und Empfänger von Organtransplantaten, eine dritte Impfung zu verabreichen. Auch in Deutschland zeigte man sich bereit für einen möglichen Booster Shot.

Etwa ein halbes Dutzend weiterer Länder erwägt diese Idee ebenfalls. Wenn diese Länder damit beginnen, Auffrischungsimpfungen anzubieten, "wird dies zusätzliche 800 Millionen Dosen Impfstoff erfordern", sagte WHO-Chefwissenschaftlerin Soumya Swaminathan bei einer Pressekonferenz. Diese Dosen sollten eigentlich in Länder gehen, die bisher kaum Zugang zu den Impfstoffen hatten, so WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Er verurteilte reiche Länder und solche mit mittlerem Einkommen dafür, dass sie eine dritte Dosis in Erwägung ziehen, während Personen aus dem Gesundheitssystem und ältere Erwachsene in armen Ländern noch nicht einmal ihre erste Dosis erhalten haben. Einige Länder haben noch gar keine Massenimpfkampagnen gestartet. "Derzeit zeigen uns die Daten, dass die Impfung eine lang anhaltende Immunität gegen das einen schweren und tödlichen COVID-19-Verlauf bietet", sagte er. "Die Priorität muss jetzt sein, diejenigen zu impfen, die bislang gar keine Dosis und damit keinen Schutz erhalten haben."

Craig Spencer, Direktor für globale Gesundheit in der Notfallmedizin am NewYork-Presbyterian/Columbia University Medical Center, drückt es noch deutlicher aus. "Egal, was Ihnen die Pharmafirmen erzählen, Sie brauchen eine COVID-19-Auffrischung nicht dringender als all die Mitarbeiter im Gesundheitswesen im Rest der Welt, die noch gar keinen Zugang zu einem Impfstoff haben", twitterte er. Das dürfte aber nicht heißen, dass wir nicht doch irgendwann Booster brauchen werden. "Es kann durchaus sein, dass man nach einem Jahr oder zwei Jahren Auffrischungen braucht", sagte Swaminathan von der WHO. Wherry merkt an, dass es gut sei, vorbereitet zu sein. Aber er hat keine Daten gesehen, die ihn davon überzeugen, dass Auffrischungsimpfungen in diesem Moment gerechtfertigt sind. "Die einlaufenden Daten zeigen, dass die Immunität stark ist", sagt er.

(bsc)