Antisemitismus: Facebook & Co sind auf dem rechten Auge blind

84 Prozent bereits gemeldeter Judenhetze ist auf fünf großen Sozialen Netzwerken weiter online. Das zeigt eine Analyse des Center for Countering Digital Hate.

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YouTube-Logo über Hakrenkreuz

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.
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Facebook, Twitter, Instagram, YouTube und TikTok versagen weitgehend im Kampf gegen Hass und Hetze gegenüber Juden. Diesen Vorwurf erhebt das Center for Countering Digital Hate (CCDH). Laut dessen Studie "Schutzversagen" haben die fünf Betreiber durchschnittlich bei 84 Prozent der ihnen gemeldeten Beiträge mit antisemitischen Verschwörungen, Extremismus und Beschimpfungen nichts unternommen.

Dies widerspreche ihren Behauptungen, hart gegen antijüdischen Hass vorzugehen. Forscher der gemeinnützigen Organisation mit Büros in London und Washington haben laut der Studie im Mai und Juni 724 antisemitische Beiträge auf den Plattformen über das jeweils vorgesehene Verfahren an die Konzerne gemeldet. Diese Postings sollen insgesamt auf 7,3 Millionen Abrufe gekommen sein. Nach den jeweiligen Hausregeln der Online-Gemeinschaften hätten die Inhalte gelöscht werden müssen.

Facebook hat laut Studie aber nur 14 von 129 gemeldeten Beiträgen entfernt (10,9%). Twitter löschte 15 von 137 Postings (11%). TikTok nahm 22 von 119 Beiträgen herunter (18,5%), Instagram 52 von 277 (18,8%). YouTube zog 11 der 52 beanstandeten Videos zurück und erreicht so die höchste Löschquote von 21,2 Prozent.

Selbst bei besonders extremistischen antisemitischen Äußerungen reagierten die Betreiber laut Analyse meist nicht. Durchschnittlich 80 Prozent dieser Postings, in denen der Holocaust geleugnet wurde, blieben online. Wurden Juden Ritualmorde angedichtet, blieben 74 Prozent der Beiträge bestehen. Weiter abrufbar sind zudem 70 Prozent der gemeldeten rassistischen Karikaturen jüdischer Menschen und genauso viele der "Neonazi-Postings".

Antisemitische Verschwörungstheorien über die Anschläge vom 11. September 2001 (9/11), die Coronavirus-Pandemie und die jüdische Weltherrschaft blieben sogar zu 89 Prozent unangetastet. Bereits im März hatte das CCDH herausgefunden, dass zeitweise nur ein Dutzend Nutzer für die Verbreitung Tausender Anti-Impf-Beiträgen auf Facebook und Twitter verantwortlich gewesen sein dürften.

Instagram, TikTok und Twitter erlaubten zudem antisemitische Hashtags wie #rothschild, #fakejews und #killthejews, heißt es in dem Bericht. Solche Schlagwörter hätten im Untersuchungszeitraum zu mehr als 3,3 Millionen Aufrufe erzielt. TikTok habe zudem nur fünf Prozent jener gemeldeten Konten gesperrt, über die Mitglieder jüdischen Nutzern grausliche Direktnachrichten geschickt hatten, beispielsweise mit der Auschwitzlüge.

Dass gerade Facebook im Kern am schlechtesten abschneidet, überrascht. Konzernchef Mark Zuckerberg, der selbst jüdisch ist, hatte im Oktober nach langem Überlegen angekündigt, Holocaust-Leugnern auf dem Netzwerk keine Plattform mehr bieten zu wollen. Er verwies dabei auf Daten, die eine Zunahme antisemitischer Gewalt zeigten. Zuvor hatte Facebook bereits antisemitische Stereotype untersagt, die Juden kollektive Macht andichten und sie als Weltherrscher darstellen.

Man habe und werde weiterhin erhebliche Maßnahmen ergreifen, um antisemitische Beiträge zu entfernen "und gleichzeitig die Menschen mit maßgeblichen Informationen darüber aufklären", erklärte ein Facebook-Sprecher gegenüber dem Online-Magazin "Axios". Die Studie berücksichtige nicht, "dass wir seit 2017 gegen 15-mal mehr Hassbeiträge vorgegangen sind" und das Problem auf der Plattform abnehme. 97 Prozent der entfernten Hassinhalte würden automatisiert gefunden und gelöscht, bevor ein Mensch sie wahrnehmen und melden könne.

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YouTube verwies auf seine umfangreiche Richtlinie zum Umgang mit Hass und Hetze, auf deren Grundlage im ersten Quartal 2021 85.000 Videos gelöscht worden. Twitter nimmt die Durchsetzung der Community-Regeln nach eigenen Angaben sehr ernst, gesteht aber Verbesserungspotenzial ein.

Das CCDH fordert gesetzgeberische Schritte. Den Netzwerkbetreibern müssten finanzielle Sanktionen drohen, wenn sie die Inhaltemoderation nicht verbesserten. Die Betreiber profitieren derzeit, wenn sie Hass und Desinformation verbreiteten. Speziell antisemitische Gruppen müssten rasch entfernt, einschlägige Hashtags verhindert werden.

(ds)