Die Rentenlegenden

Von der Altersvorsorge als Generationenvertrag und den Problemen des demografischen Wandels

Renten und Rentenreform sind ein Dauerthema in der Öffentlichkeit. Zwar hat bereits ein Arbeitsminister Norbert Blüm in den 1980er-Jahren die Renten für sicher erklärt, aber die ständigen Reformen und Reformvorschläge sprechen demgegenüber Hohn. Politiker, Wissenschaftler und Journalisten tun sich hervor mit Reformüberlegungen, wobei die verschiedenen Vorschläge oft mit Begründungen und Erklärungen daherkommen, die wenig mit der Wahrheit, aber viel mit Legenden zu tun haben. Diese gilt es zu durchleuchten.

Die Sozialleistung

Die Rente firmiert als eine Sozialleistung:

Sozialleistungen sind alle Leistungen, die für die soziale Sicherung erbracht werden. Dazu gehören z.B. Kindergeld, Sozialhilfe, Wohngeld, die der Staat aus Steuermitteln finanziert. Etwa 70 Prozent der Sozialleistungen entfallen auf die Sozialversicherungen.

Das Zitat spricht aus, wozu Sozialleistungen vom Staat erbracht werden. Sie sollen der sozialen Sicherung dienen, also dazu, dass bedürftige Bürger mit ihrer Armut irgendwie zurechtkommen. Denn wozu braucht es Kindergeld, Sozialhilfe oder Wohngeld, wenn man über ausreichend Mittel verfügen würde? Ohne diese Zahlungen kämen viele Menschen offenbar nicht über die Runden und für den Staat hieße dies mehr Kriminalität oder Unruhen. Schon der Erfinder der Sozialversicherungen hat gewusst, wozu die Sozialleistungen gut sind1:

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc., thun kund und fügen hiermit zu wissen: (…) Schon im Februar dieses Jahres haben Wir Unsere Überzeugung aussprechen lassen, dass die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde.

Bericht über die Verhandlungen des Reichtages, Berlin 1882

"Sozialdemokratische Umtriebe" finden heute allerdings vorwiegend in Parlamenten und Regierungen statt. Sie zielen auf den "sozialen Frieden", der nicht nur durch Repression zu sichern ist. Auch fast 140 Jahre nach Kaiser Wilhelm hat sich an dem Bedarf nach Sozialleistungen nichts geändert: Menschen, die durch ihre Arbeit eigentlich ihren Lebensunterhalt verdienen sollen, benötigen zusätzlich staatliche Unterstützung.

Der Verweis auf die 70 Prozent der staatlichen Sozialleistungen für die Sozialversicherungen mag zwar stimmen, ist aber irreführend. Denn die Einzahlungen für die Rente, für die Zeiten der Arbeitslosigkeit oder Krankheit, werden ja nicht vom Staat erbracht, sondern von den Arbeitnehmern selber. Es ist schon eine seltsame Leistung des Staates, bei der diejenigen, die in den Genuss dieser Leistung kommen, diese selber bezahlen müssen.

Formal werden die Beiträge zu den Sozialversicherungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern je zur Hälfte erbracht. Schaut man jedoch auf die Kostenrechnung von Unternehmen, so gelten die Beiträge zu den Sozialversicherungen als Bestandteil der Lohnkosten, sind also Teil des Lohns oder Gehalts der Arbeitnehmer, die diese nie zu Gesicht bekommen, weil dieser Teil wie die Steuern gleich an der Quelle vom Staat kassiert werden.

Dieser bringt so sein Misstrauen gegenüber der Einkommensquelle der Lohnabhängigen zum Ausdruck. Der Lohn lässt offenbar neben den nötigen Aufwendungen des täglichen Lebens nicht genug übrig, um auf einen Teil freiwillig zu verzichten und genügend zurückzulegen. Die "Leistung" des Staates besteht darin, sie aber genau dazu zu verpflichten.

Die Höhe der erzwungenen Beiträge ist aus staatlicher Sicht nicht aber in erster Linie ein Problem der arbeitenden Einzahler. Nicht deren Armut verbietet es, sie stärker zu belasten, sondern die Tatsache, dass die Höhe der Beiträge auch in die Kostenrechnung der Unternehmen eingeht und deren Profitkalkulation beschränkt.

Damit die Beiträge niedrig und die Leistungen dennoch ausreichend sind, dafür steht der staatliche Zuschuss zu diesen Kassen. So sorgt der Staat dafür, dass ein Leben von Lohn und Gehalt überhaupt geht. Er kümmert sich so um die Nützlichkeit seiner Bürger, die ihm dafür gefälligst dankbar sein sollen.

Sozialversicherung

Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung und berufliche Unfallversicherung gelten als Sozialversicherungen:

Sozialversicherung - gesetzliche Pflichtversicherung für breite Bevölkerungsschichten gegen Schäden, welche die soziale Existenzgrundlage der Versicherungsmitglieder und der Versicherungsgemeinschaft gefährden (Solidargemeinschaft auf der Basis des Solidaritätsprinzips im Unterschied zur freiwilligen Individualversicherung). Sie ist als Teil der staatlichen Sozialpolitik eine Versicherung gegen Risiken des Einkommensausfalles wegen verminderter Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Unfall, aufgrund von Arbeitslosigkeit, Alter und Invalidität sowie zum Ausgleich von Risiken infolge von Schwangerschaft oder Tod.

Die Existenzgrundlage breiter Bevölkerungsschichten erweist sich demnach als eine sehr unsichere Angelegenheit, ist sie doch daran gebunden, dass man sich für andere nützlich machen kann und dafür bezahlt wird. Wer nicht gebraucht wird, weil die Anwendung nicht lohnend ist, oder nicht arbeiten kann wegen Krankheit, Schwangerschaft oder aus Altersgründen, verliert sein Einkommen. Und das eigene Einkommen reicht auch nicht, um für diese Notlagen Vorsorge zu treffen.

Es ist schon eine eigenartige Versicherung, bei der man gar nicht gefragt wird und es auch keinen Versicherungsvertrag gibt. Der Abschluss dieser Versicherung erfolgt ganz ohne Zustimmung der Betroffenen zwangsweise durch den Staat. Dass es sich dabei um eine Solidargemeinschaft handelt, ist eine der bekannten Legenden. Solidarität ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Menschen zur Vertretung gemeinsamer Interessen.

Ein solcher Zusammenschluss existiert bei den Sozialversicherungen nicht, der Beitrag zur Versicherung wird ungefragt einbehalten. Dass es sich dabei um das Solidaritätsprinzip handeln würde, wo jeder für den anderen einsteht, ist auch so ein Märchen. Wer dazugehört, für wen da wie eingestanden werden muss, alles das liegt außerhalb derer, die zu dieser Gemeinschaft zusammengeschlossen werden.

In Selbstverwaltung

Dass es sich um eine Solidargemeinschaft handelt, die sich selbst verwaltet, ist ein weiteres Märchen über die Sozialversicherungen:

Beitragszahler, also Versicherte und Arbeitgeber, regierten auch damals schon ihren Rentenversicherer selbst. Dieses Prinzip der Selbstverwaltung funktioniert bis heute in der gesamten deutschen Sozialversicherung und ist in dieser Form einzigartig.

Einzigartig mag diese Organisationsform schon sein, doch handelt es sich um eine eigenartige Form der Selbstverwaltung. Über deren Einnahmen entscheidet sie so wenig wie über ihre Ausgaben. Wer welche Leistungen erhält oder auch nicht, liegt auch außerhalb ihrer Entscheidungssphäre. Abnicken dürfen die Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern den auf den Vorgaben der Politik beruhenden Haushalt und dürfen ihn nachrechnen. Zu entscheiden gibt es da nichts Wesentliches.

Beweisen soll diese Organisationsform, dass es sich bei diesen Versicherungen um Einrichtungen getrennt vom staatlichen Haushalt handelt. Im Prinzip handelt es sich aber um eine Unterabteilung staatlicher Sozialpolitik, die alles Entscheidende dieses Unterhaushaltes bestimmt: Die Höhe des Beitrags, wann wer welche Zahlungen aus diesem Haushalt erhält. Die Besonderheit dieses Unterhaushaltes besteht lediglich darin, dass er überwiegend aus Löhnen finanziert wird und andere Wirtschaftssubjekte von dieser Finanzierung verschont werden.