Digitalisierung und Energiebedarf

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Digitale Wettbewerbsfähigkeit: Deutschland auf dem vorletzten Platz in Europa. Politik drängt auf schnellere Digitalisierung, hat aber den steigenden Energiebedarf nicht im Fokus

Anfang September machte die Nachricht die Runde, dass Deutschland in Europa bei der Digitalisierung auf den vorletzten Platz gefallen ist. Nur in Albanien soll die Situation noch schlechter sein. Und unter den Industriestaaten scheint nur das technikverliebte Japan noch langsamer zu sein.

Um das Thema Digitalisierung in der Öffentlichkeit weiter zu forcieren, veröffentliche die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Anfang des Monats die u.a. vom Öko-Institut erarbeitete Studie mit dem Titel "Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität: Welche Chancen und Risiken ergeben sich durch die Digitalisierung?"

Die Datengrundlage findet sich in der Studie "Entwicklung des IKT-bedingten Strombedarfs in Deutschland des Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration in Berlin.

Hinsichtlich des für die Digitalisierung benötigten Energiebedarfs wird wohl zutreffend festgestellt, dass man bei den Endgeräten mit einer steigenden Energieeffizienz rechnen kann. Das gilt jedoch nur, wenn der Gerätebestand kontinuierlich auf dem neusten technischen Stand gehalten wird und selbst dann bringen zusätzliche Features schnell einen gesteigerten Strombedarf. Festgestellt wird ein steigender Strombedarf jedoch sowohl für Rechenzentren als auch für die Netzinfrastruktur.

Während vor 30 Jahren noch mehr als die Hälfte aller Bewohner dieser Erde noch nie ein Telefon in Händen hielt, waren mit 3,7 Milliarden Internetnutzern 2017 schon gut die Hälfte der Weltbevölkerung online. Bei der Netzverfügbarkeit sind heute viele sogenannten Schwellenländer deutlich besser aufgestellt als Industriestaaten wie Deutschland, wo es noch immer Regionen gibt, in denen man mangels Netzverfügbarkeit nicht einmal einen Notruf absetzen kann.

Der eindeutige Vorteil vieler Schwellenländer bei der Digitalisierung und der digitalen Kommunikation besteht darin, dass man direkt in die digitale Welt einsteigen kann und die Daten nicht erst aus der analogen Welt in die digitale migrieren muss. In Deutschland muss man da auch heute noch "Mediensprünge" durchführen, die ziemlich anachronistisch erscheinen. So muss ein Kostenübernahmeantrag bei einer Krankenkasse als Fax eingereicht werden, dort dann optomechanisch eingescannt werden, damit er im papierlosen internen System zur Entscheidung gebracht werden kann.

Noch immer sind auch viele historischen Daten nicht digital verfügbar. Werden sie digitalisiert, müssen sie in der Regel auch aufwendig mit den Originalen abgeglichen werden. So mancher eingescannte Archivbestand erinnert an ein ausgefuchstes Ratespiel und kann nicht unbearbeitet weiterbenutzt werden. Konnte man analoge Archive, wenn sie nicht auf säurehaltigem Papier gedruckt waren, über viele Jahrzehnte sicher aufbewahren und musste im Zweifelsfalle noch für die Klimatisierung des Archivs sorgen, wird die digitale Speicherung energieaufwendiger.

Digitale Archive benötigen Energie, auch wenn sie nicht aktiv genutzt werden

Die digitalen Archive wachsen einerseits durch die Digitalisierung der analogen historischen Bestände, andererseits mit einer zunehmenden Zahl von Bewegtbildern. Kann man Bücher und sonstige Drucksachen für das Langzeitarchiv auf Magnetband oder Mikrofilm speichern, benötigen alle Videos üblicherweise Festplatten.

Diese benötigen auch im Ruhezustand Strom, auch wenn hier die Energieeffizienz in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Was gerne auch übersehen wird, ist die Tatsache, dass digitale Daten mehrfach redundant gespeichert werden sollten. Was passiert, wenn man aus Kostengründen auf die Spiegelung der Daten verzichtet, konnte man deutlich sehen, als im März in Straßburg ein Rechenzentrum in Flammen aufging.

Mehrfache Speicherung bedeutet aber mehrfachen Energiebedarf über denjenigen für die Netzinfrastruktur hinaus. Strategisch sinnvoll ist es, die redundante Speicherung räumlich soweit zu trennen, dass die Speicher in getrennten Stromnetzen betrieben werden, so dass bei einem eventuellen Blackout im Stromnetz zumindest ein Notbetrieb möglich sein könnte.

Dass die Struktur des Stromnetzes zusehends die Option eines Schwarzstarts verliert, muss ebenfalls bei der Digitalisierung mitbedacht werden. Wer angesichts der ungelösten Probleme aber resigniert auf eine weitere Digitalisierung verzichtet, muss dann auch damit rechnen, dass Deutschland in kürzester Zeit den Anschluss verpasst und nicht mehr wettbewerbsfähig ist.