Nato-Gottheit und Menschenzukunft

Wir haben die Wahl: Angesichts des zivilisatorischen Ernstfalls gehören Anhänger der militärischen "Heilslehre" in die Geschichtsbücher, aber nicht auf eine Regierungsbank. Ein Einwurf

Wer vom "Klima" spricht, darf vom Krieg nicht schweigen. Ohne einen Abschied vom militärischen Weltanschauungs- und Weltordnungs-Komplex wird es der menschlichen Gattung nicht gelingen, die von ihr verursachte ökologische Krise auf dem Planeten gemeinsam zu meistern bzw. zumindest abzuschwächen. Aus naheliegenden Gründen ist es jedoch unerwünscht, dass diese überlebenswichtige Einsicht hierzulande in Polit-Spektakeln mit hohen Zuschauerzahlen auch nur zur Sprache kommt.

Je drastischer der Bankrott der Heilslehre des Militärischen ausfällt, desto rigoroser müssen pazifistische Sichtweisen im politischen Wohlfühl-Marketing ausgeblendet oder "exkommuniziert" werden. Es geht hierbei nicht um rationale Diskurse, sondern um kirchenähnliche Phänomene. Wer kein Glaubensbekenntnis zum exklusiven Interessensbündnis Nato ablegt, ist ein Ketzer und gehört vor das Inquisitionstribunal.

Die noch verbliebenen Friedenspolitiker:innen brauchen somit viel Selbstbewusstsein, Angstfreiheit und ein neues Instrumentarium der Religionskritik, um die Mauer des Schweigens zu durchbrechen.

Die Militärreligion als machtvoller Fundamentalismus

Die Charta der Vereinten Nationen (1945) sollte der menschlichen Zivilisation nach zwei Vernichtungsorgien, die sich schon in quantitativer Hinsicht gar nicht mehr angemessen beschreiben lassen, eine Perspektive jenseits von Totmach-Industrien und Massenmord-Technologien eröffnen. Doch Vernunft (Geist) und Macht gehen in der Weltgeschichte getrennte Wege.

Unverdrossen wurden der Kriegsgottheit ab 1950 weitere Millionen und wiederum Millionen Menschen zum Schlachtopfer dargebracht. Schon 1961 hatte sich die westliche Hegemonialmacht so durchgreifend verändert, dass US-Präsident Dwight D. Eisenhower sein eigenes Land nicht wiedererkannte.

Der durchaus bürgerlich geprägte Politiker Gregor Gysi hat die Basis der nicht enden wollenden Leichenstraße einmal sehr knapp demaskiert: Solange Militärproduktionen (und kriegsabhängige Wirtschaftskomplexe) mit horrenden Profiten einhergehen, wird es für die Menschheit keinen Frieden geben.

Die Nutznießer des Programms "Krieg" bilden eine verschwindend winzige Minderheit, während alle übrigen Mitglieder der menschlichen Familie - zu allen Zeiten, über Generationen - die Zeche mit astronomischen Summen und unermesslichen Leiden bezahlen müssen. Indessen bleiben die Widersprüche des kriegerischen Zivilisationskomplexes im öffentlichen Diskurs unsichtbar. Das führt uns vor Augen, wie groß und wirkmächtig der Bannkreis der fundamentalistischen Heilslehre des Militärischen ist.

Wenn Kriegsinterventionen der "eigenen Seite" in Katastrophen führen, lautet die "kriegstheologische" Konsequenz: Wir müssen noch viel mehr Milliarden in die Kriegsapparatur investieren. Damit man dieser "Logik", die wahrlich alles menschliche Begreifen übersteigt, noch besser folgen kann, wäre eine Monokultur der Nato-Bekennenden im deutschen Parlament die beste Voraussetzung. Wie angenehm - fern von allen Beunruhigungen - könnten sich dann die Plenardebatten entwickeln: ganz ohne die Belästigungen einer Friedenspartei im Bundestag, deren wissenschaftliche Mitarbeiter:innen gründliche Anfragen vorbereiten.

Weil das Thema "Krieg" in den Wahlsendungen so gut wie gar nicht vorkommt, beten es inzwischen sogar viele sogenannte "Linksliberale" nach: "Diesmal geht es um einen ganz tollen deutschen Zukunftsaufbruch, nicht um Friedenspolitik." ("Zukunft" ohne Friedenspolitik, das wird garantiert ganz toll!) Immerhin kommt die "Linke" als Antikriegspartei auch unter solchem Vorzeichen im campact-Klimacheck zur Wahl auf Platz Zwei der Empfehlungsliste.

Zusammenhänge von Klimafrage und Kriegs-Friedens-Diskursen

Die von den Rechtsextremen im Parlament verleugnete und von den anderen Wirtschaftsliberalen bagatellisierte ökologische Bedrohung des Lebensraums Erde lässt sich nicht durch Grenzen aufhalten. Sie betrifft den homo sapiens - ungeteilt - als Gattung. Seit Jahrzehnten trägt der Brasilianer Leonardo Boff sachgerecht zur Einen Menschheit vor: Entweder es finden alle in einem dialogischen, kooperativen und solidarischen Verbundnetz auf dem Globus gemeinsame Lösungen oder es gehen alle gemeinsam unter.

Anders gesagt: Intelligenz, Erfahrungsschätze und Einfallsreichtum von sieben Milliarden Menschen sind gefragt. Verheißungsvolle Lösungsstrategien in ungezählten Kleinräumen an entgegengesetzten Enden der Welt oder in wirtschaftlich besonders starken Ländern müssen allen - ohne jegliche Patentansprüche - kommuniziert und synchron allüberall vor Ort weiterentwickelt werden.

Wenn das Bewusstsein einer Schicksalsgemeinschaft aller Mitglieder der menschlichen Gattung zum Vorschein kommt, zeigt es sich, dass globale Solidarität ein neuer Name für Vernunft ist und nur ein Gemeinsam-Gewinnspiel (ohne Verlierer) Auswege angesichts des zivilisatorischen Ernstfalls ermöglicht. Das extreme Gegenteil eines lokal-global vernetzten Gemeinsam-Gewinnspiels von Milliarden Liebhaber:innen des Lebens sind partielle Bündnisse zur militärisch betriebenen Interessenspolitik wie - an erster Stelle - die Nato, deren Beibehaltung zwangsläufig das "Abenteuer Mensch" auf diesem Planeten zu einem traurigen Ende führen wird.

(a) Weltinnenpolitik oder deutscher Schrebergarten-Horizont?

In Talkrunden zur Wahl bekommt man freilich leicht den Eindruck, die Favoriten wollten eine Klimapolitik im deutschen Heimatformat auf den Weg bringen. Ausgerechnet dem abdankenden Hegemon, der Supermacht unter den "Klimakillern", traut man hierbei die hohe Schirmherrschaft zu.

Die in Wirklichkeit gar nicht existente "Solidargemeinschaft Europa" wird allen Ernstes als globales Modell phantasiert. Dem Rest der Welt muss womöglich dereinst die deutsche Marine den richtigen Weg weisen? - Doch nur, wenn die Vision von Vereinten Nationen jetzt - ohne permanente Sabotage durch Hegemonialmächte - endlich wahr werden darf, kann die Kriegslogik der Konkurrenz durch eine Überlebenslogik der Zusammenarbeit ersetzt werden.

Der deutsche Kleinbürger wünscht freilich überschaubare Schrebergarten-Horizonte und wird diesbezüglich von der politischen Klasse gerne bedient. Die jungen Leute sorgen sich zu Recht. Wenn sie in den Spuren Gandhis bis hin zum Hungerstreik gehen, sollte wir es endlich verstehen: Das "zu spät" hat längst begonnen.

(b) Astronomische Totmacher-Budgets oder Lebens-Haushalte?

Nach wie vor gilt, dass Hochrüstung stets schon vor dem Kriegsfall tötet, denn sie entzieht der Weltgesellschaft die nötigen Mittel für Erhalt und Schutz menschlichen Lebens. Der erschreckenden Explosion der Militärausgaben, die wie ein Mantra von den Kirchgängern der Nato-Religion verteidigt wird, stehen riesige "Folgekosten" der Kriegsaktivitäten zur Seite, die sogar in den Berechnungen der Kritiker nur selten Berücksichtigung finden.

Wir müssen uns entscheiden: Entweder wir mästen weiterhin die Budgets für Tötungs- und Beherrschungstechnologien oder wir beginnen mit einem neuen globalen Haushalten für den Lebensraum Erde. Das eine schließt das andere aus - Investitionen in durchgreifende, global vernetzte Antworten auf den Klimawandel sind heute selbstredend ein Hauptgebot vorausschauender Friedenspolitik, denn die Folgen der ökologischen Krise verschärfen überall auf dem Planeten die Konfliktlagen.

(c) Die Umweltzerstörung infolge der Militärreligion

Die ökologischen Verwerfungen durch militärische Produktionen, Infrastrukturen und Operationen (u.a. Zerstörung ganzer Lebensräume) sowie namentlich auch der Zusammenhang "Klima-Krieg" sind schon sehr weitreichend beschrieben.

Wer zu diesem destruktiven Militärkomplex in politischen Klimadebatten keine Alternativen anbietet oder das Problem einfach verschweigt, verdient es nicht, als seriöser Akteur einer Politik im Dienste künftiger Generationen betrachtet zu werden.

(d) Bekehrung einer ökologischen Partei zur Militärreligion

Viele Jahre hat gerade auch die ökologische Partei den mit dem Klimawandel verbundenen "Ernstfall der Zivilisation" nur am Rande bedacht, bis eine junge Protestgeneration einen Sinneswandel geradezu erzwungen hat. Ich halte es für nicht unwahrscheinlich, dass hierzulande die Konversion zur militärischen Heilslehre ein entscheidender Hintergrund für diese traurigen Jahre der Grünen ist. Lässt sich ein "grüner Kriegskurs" in irgendeiner Weise zusammenreimen mit dem Anspruch, eine neue Politik für die nach uns Kommenden auf den Weg zu bringen?

(e) Transatlantische Dogmatik

Für das deutsche "Militärkirchentum" gehört der transatlantische Treue-Eid zum obersten Dogma. Nach Ende der Trump-Jahre soll dies nunmehr auch wieder Lackmustest für das Einhalten einer humanistisch-hochkarätigen Wertebasis sein. Doch was ist das für ein "Humanismus", der zur Aufrechterhaltung seines Wunschbildes die letzten sieben Jahrzehnte und Millionen Opfer der transatlantischen "Philanthropie" aus seiner Erinnerung herausstreichen muss?

Die Hegemonial- und Kriegspolitik der westlichen Führungsmacht auch nach Ende des sogenannten "Kalten Krieges" hat in globalem Maßstab eine ökologische Kursänderung sabotiert, als die Forschungsinstitute längst S.O.S. funkten. - P.S. Noch immer werden linke Kritiker jeglicher Imperial-Politik mit rechten "Antiamerikanisten" in einen Topf geworfen. Wer sich Eleanor Roosevelt oder Martin Luther King zum Vorbild nimmt und die historische US-Friedensbewegung für eine wichtige Lehrmeisterin der Weltgesellschaft hält, sollte sich gegen solchen Unfug einfach nicht mehr verteidigen.

(f) Die Atombombe als Fetisch der Kriegsreligion

Vor gut einem Jahrzehnt gab es im Bundestag noch eine breite Mehrheit für den Abzug aller Nuklearwaffen aus diesem Land. Eine große Koalition der NATO-Bekenner ist verantwortlich dafür, dass Deutschland beim bahnbrechenden UN-Atomwaffenverbotsvertrag fehlt und gegen eine Mehrheit der Völkergemeinschaft die Interessen der Bombenbesitzer verficht. Die Partei mit "Christen-C" verteidigt stolz Milliarden-Investitionen für den Erhalt der deutschen Bomben-Teilhabe.

Überzeugende Nonkonformisten in der SPD kamen nicht zum Zuge. Anfang dieses Jahres sorgte die grünen-nahe Böll-Stiftung mit einem atombombenfreundlichen Votum für Irritationen.

Rot-grüne Kontroversen erledigen sich, wenn die Sender weiterhin das Thema bei Kandidatenbefragungen ausklammern oder Abzugsentscheidungen um drei Legislaturperioden auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben werden. Wer hier aber keine Farbe bekennt, kann wohl kaum glaubwürdig eine neue Zivilisationsrichtung mitgestalten, in der es einzig um die Proliferation von Technologien zur Beförderung des menschlichen Lebens gehen soll.

(g) Die Militärreligion als systemische Verweigerung von Verantwortung

Ein großes Raunen ist zu erwarten, wenn vielleicht schon im Verlauf der nächsten Monate die wahren Gesamtkosten allein des 20jährigen Afghanistankrieges für einzelne Länder und sämtliche Akteure ansichtig werden - unter Einbeziehung der von nicht-militärischen "Dienstleistern" eingefahrenen Profite.

Die Operation zur Schaffung "Andauernder Freiheit" hinterlässt allein bezogen auf diesen Schauplatz Hunderttausende Tote, lebenslang traumatisierte Soldaten sowie zerstörte Familien in vielen Ländern, eine Opiat-Schwemme auf dem Weltmarkt, Brunnenbau-Märchenbücher in den Archiven und ein mit westlichen Waffendepots ultimativ hochgerüstetes Taliban-Regime. Doch keiner will Verantwortung übernehmen für diese - mit astronomischen Ausgaben bewerkstelligte - Verschlimmerung der Welt.

Die verweigerte Verantwortungsübernahme ist jedoch ein systemischer Bestandteil der Militärreligion, weshalb deren Gläubige bei einer Verantwortungsübernahme für die Lebensbedingungen kommender Generationen als geeignete Akteure wohl kaum in Betracht kommen.

(h) Die militärische Heilsdoktrin als Praxis der unterlassenen Hilfeleistung

Noch immer muss die militärische Heilsdoktrin in vielen Gesellschaften menschenfreundliche Überschriften für ihre Programme erfinden, um eine ausreichende Zustimmung zu erzielen. Im Fakten-Check kommt freilich hinterher stets das gleiche Ergebnis heraus: Es gibt keine altruistischen Kriegsakteure.

Im gleichen Atemzug werden Milliardengeschäfte auf dem Rüstungssektor getätigt und Einzahlungen in Fonds zur Bekämpfung vermeidbaren Massensterbens aufgrund von Hunger verweigert. "Ruanda", so betet uns ein ehedem ranghoher Militärgeistlicher vor, habe ihn vom Pazifismus abgebracht. Solche Phrasen gehen in den Medien leicht durch. Niemand fragt genau nach.

Seit Ruanda haben die Anwälte der Militärkomplexe die Diskurse über eine "Schutzverantwortung" (R2P) stets nur instrumentell herangezogen, wenn es für ihre Argumentation gerade nützlich erschien. Doch in drei Jahrzehnten ist nichts geschehen, um für die Völkerwelt eine taugliche (also nicht-militärische) Infrastruktur zur Vorbeugung von Völkermorden zu schaffen. Niemand sollte erwarten, dass die Praxis der unterlassenen Hilfeleistung sich ändert, wenn die Urheber von Militärdoktrinen auch zum Klimawandel eigene Kapitel verfassen.

(i) Geschichtsgedächtnis und Zukunft

Zum Komplex der Militärreligion gehört die Verdrängung vergangener Leiden der menschlichen Gemeinschaft. Damit Friedenspolitik im Wahljahr 2021 als öffentliches Thema ausgeblendet werden konnte, war es wichtig, das 80. Jahresgedenken des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion mit 27 Millionen Toten möglichst leise vorüberziehen zu lassen.

Regie führten hierbei die Anhänger des Nato-Glaubensbekenntnisses. Von solchen Akteuren einer instrumentellen Geschichtspolitik sollte aber niemand erwarten, dass sie die heute produzierten Leiden zukünftiger Generationen zum maßgeblichen Orientierungspunkt ihrer Politik nehmen. (Im übrigen dürfen wir uns angesichts der besagten geschichtspolitischen Agenda im öffentlichen Raum nicht wundern, wenn rechts-esoterische Infodienste z.B. erfolgreich den Mythos von einem Völkermord an deutschen Kriegsgefangenen in den Rheinwiesenlagern verbreiten.)

(j) Todesmauern statt Änderung des Zivilisationskurses

Wenn neuere Prognosen zum Verlauf des Klimawandels zutreffen, könnte es sein, dass die Szenarien einer Klimaflucht von vielen Millionen Menschen dramatische Ausmaße jenseits unserer Vorstellungskraft annehmen, vielleicht noch zu unseren Lebzeiten.

Die Antwort aus den Schulen der militärischen Heilslehre ist schon heute bekannt: Militärtechnologische Grenzregime, die gegenüber der Öffentlichkeit zwecks Aufrechterhaltung eines hohen ethischen Selbstbildes unsichtbar gehalten werden, sorgen für eine Abschottung privilegierter Zonen und Wohlstandskomplexe ("Töten statt Teilen").

Die Militärreligion sieht sich nicht motiviert zu einer durchgreifenden Änderung des Zivilisationskurses, weil ihre Anhänger sich selbst zu Lebzeiten durch Waffen das Elend anderer Menschen vom Hals halten wollen. Von solchen Kämpfern für eigene Interessen sollte niemand erwarten, dass sie auch nur das Wohl der eigenen Kinder und Kindeskinder in ihren Ideologien berücksichtigen.