Olaf Scholz: Selbstinszenierung als Opfer statt Aufklärung

Beliebtester Kanzlerkandidat durch kapitale Fehler der Konkurrenz: Olaf Scholz. Bild: © Bernhard Ludewig / FinnishGovernment / CC-BY-2.0

War die Durchsuchung des Finanzministeriums nur eine Wahlkampfunterstützung für Armin Laschet? Ganz so einfach ist es nicht

Am 9. September 2021 erhielt das Bundesfinanzministerium ungewöhnlichen Besuch: Vor der Tür standen laut ARD-tagesschau "drei Polizisten in Zivil, eine Staatsanwältin und ein Staatsanwalt". Im Gepäck hatte die illustre Runde einen Durchsuchungsbefehl. Staatssekretär Werner Gatzer soll sie höflich empfangen, sich mit ihnen beraten und sie in zwei Abteilungen begleitet haben: "… in Abteilung drei, das Fachreferat für die FIU (Financial Intelligence Unit), und ein Referat in Abteilung sieben des Ministeriums. Hier kümmert man sich um Fragen der internationalen Geldwäsche."

Dass in einem Ministerium Staatsanwältinnen zur Vollstreckung eines Durchsuchungsbefehls vorstellig werden, scheint doch eher Vorlage eines schlechten Krimis als Realität im politischen Berlin. Doch es handelt sich um Real Crime, entsprechend aufgeregt reagierten Medien, Opposition und auch die CDU, deren Vorsitzender Armin Laschet um das Bundeskanzleramt kämpft. Denn besagtes Ministerium wird von niemand Geringerem geleitet als von Olaf Scholz, dem SPD-Kanzlerkandidaten und Kontrahenten von Laschet - der ihn auf der Beliebtheitsskala längst weit überholt hat. Ein handfester Skandal kurz vor der Bundestagswahl am kommenden Sonntag könnte das Ruder womöglich noch zugunsten der CDU herumreißen.

Fallen Finanzstraftaten unter den Tisch?

Die Durchsuchung beschränkte sich nicht auf das Bundesfinanzministerium, betroffen war zudem das Bundesjustizministerium, geführt von Scholz' Genossin Christine Lambrecht. Allerdings geriet das Justizministerium nicht gleichermaßen ins Visier wie das Finanzministerium, denn schließlich ist nicht Christine Lambrecht Spitzenkandidatin ihrer Partei, sondern Olaf Scholz. Außerdem hat auch das von Lambrecht geführte Haus Kritik an der von der im Financial Intelligence Unit (FIU) etablierten Praxis, einer Art Rangliste bei der Bearbeitung von Fällen von Wirtschaftskriminalität zu folgen. Die Befürchtung: Kenntnisse über Finanzstraftaten könnten nicht an das Justizministerium weitergleitet werden, da diese nicht dringlich erscheinen.

Genau das war zufolge Anlass der Aktion: Hinweise auf Geldwäsche sollen möglicherweise nicht weitergegeben worden sein. Das ist ein heftiger Vorwurf, der einen Kanzlerkandidaten tatsächlich kurz vor Toresschluss noch zu Fall bringen könnte. Olaf Scholz, einst Bürgermeister mit offenem Ohr für die Nöte von steuersündigen Bankern, eigenem Bekunden zufolge von temporärer Amnesie geplagt, nun auch noch Kumpan der Organisierten Kriminalität (OK), deren Spuren im "Geldwäscheparadies Deutschland" er verwischen hilft?

Ganz so ist es nicht. Olaf Scholz hat das Ministerium bekanntermaßen im März 2018 von Wolfgang Schäuble (CDU) geerbt. Der leitete es von Oktober 2009 bis Oktober 2017, davor war das Haus mehr als zehn Jahre unter SPD-, davor wiederum 16 Jahre unter CDU- beziehungsweise CSU-Führung. Es ist viel schiefgelaufen in dieser Zeit, aber das haben die beiden großen Parteien, bzw. die von ihnen gestellten Finanzminister, zusammen verbockt.

Nur hat Scholz zu wenig getan, um die Fehler der Vergangenheit zu revidieren und Geldwäsche sowie Terrorfinanzierung gezielter und wirksamer zu bekämpfen. So sieht es jedenfalls der Finanzexperte der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke, Fabio de Masi. Der zudem in einem ZDF-Interview erläuterte, dass die Bedenken, Hinweise auf Finanzstraftaten könnten in der FIU unter den Tisch fallen, ursprünglich aus dem Hause Lambrecht kamen. Fabio de Masi fordert eine "Finanzpolizei", ein unabhängiges Gremium bestehend aus "Experten vom Zoll und den Landeskriminalämtern", das aus dem Zoll ausgelagert werden müsse.

Es geht um Geldwäsche "in Millionenhöhe"

Laut Tagesschau.de basiert der Vorgang auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Osnabrück gegen Verantwortliche der beim Zoll angesiedelten Financial Intelligence Unit (FIU). Die FIU sammelt und analysiert als Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen Verdachtsmeldungen nach dem Geldwäschegesetz. Sie war in der vorigen Wahlperiode unter dem damaligen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vom Bundeskriminalamt zum Zoll verlagert worden.

Seit rund einem Jahr geht die Staatsanwaltschaft Osnabrück einem Verdacht auf Strafvereitelung im Amt durch die FIU nach. FIU-Mitarbeiter sollen Hinweise von Banken auf Geldwäsche "in Millionenhöhe" nicht an Polizei und Justiz weitergeleitet haben. Außerdem wird geprüft, weshalb seit Übernahme der Geldwäschekontrolle durch die FIU im Jahr 2017 die Zahl der Verdachtsmeldungen auf einen Bruchteil zurückgegangen sei.

Fabio De Masi erläuterte im besagten Interview, dass das Finanzministerium, dem die FIU untersteht, einen "Risiko basierten Ansatz" verfolge. Das bedeute, dass "in dieser Fülle von Verdachtsmomenten, die die FIU bekommt, Risiko-Schwerpunkte" gesetzt würden. Das sei "erst einmal völlig normal und auch in Ordnung". Problem dabei sei indes, "dass es dabei wohl häufiger dazu kommt, dass bestimmte Hinweise auf Straftaten gar nicht mehr weitergeleitet werden". Der Politiker erinnerte an den Wirecard-Skandal, bei dem die FIU Hinweise auf Bilanzmanipulationen nicht weitergeleitet habe. Das war allerdings zur Amtszeit Wolfgang Schäubles.