Macht Medienmacht mächtig?

Éric Zemmour am Mikro. Foto (2011): Lagora/CC BY-SA 3.0

Der mutmaßliche Präsidentschaftskandidat Eric Zemmour will "ausländische", insbesondere "muslimische Vornamen" verbieten. Er steht für eine Neue Rechte in Frankreich, die Le Pen Konkurrenz macht

Der Nicht-Kandidat hielt eine Nicht-Wahlkampfveranstaltung ab; es war am Samstagabend, 18. September in Nizza. Je nach Angaben kamen 800 bis 1.200 Menschen und jubelten ihm zu, dabei fügten sie seinem Familienamen den Titel des Staatsoberhaupts hinzu: "Zemmour, président! Zemmour, président!"

Aber nein, nicht doch, mit Wahlkampf hatte diese Großveranstaltung nichts zu tun. Den Unterschied erklärte der Nicht-Wahlbewerber hinterher feinsinnig, und zwar dergestalt: "Es gab keine Musik, und am Ende wurde nicht die Marseillaise gesungen." Sonst, ja sonst, hätte man durchaus von einer Wahlwerbeveranstaltung sprechen können - wäre denn gesungen worden.

Bislang allerdings hat der Noch-Nicht-Kandidat seinen Anhängern nicht die Flötentöne dafür beigebracht. Das rhythmische Klatschen für agitatorische Forderungen beherrschen sie jedoch bereits: Schluss mit der angeblichen "massenhaften Auslieferung von Aufenthaltserlaubnissen an Ausländer Jahr für Jahr", und, "ah yes!, Schluss mit dem Erwerb der Staatsbürgerschaft nach dem droit du sol (Geburtsortprinzip)" etwa.

Der Redner rechtfertigte auch eine seiner polemischsten Forderungen, die er erstmals bei einem Interview eine Woche zuvor vortrug: "ausländische", insbesondere "muslimische Vornamen" gesetzlich zu verbieten. Dazu merkte er in Nizza an, ein Individuum namens "Ayoub" habe ihn kontaktiert und ihm mitgeteilt, dass er gerne "Georges" geheißen hätte. Der Mann am Mikrophon würde eine solche Wahl gerne zur Pflicht erheben.

Unliebsame Vornamen verbieten!

Dies würde Frankreich zurückführen zu einem Gesetz von 1803, das die Verwendung christlicher Kalendernamen für neugeborene Kinder vorschrieb; theoretisch wurde die Vorschrift erst 1993 abgeschafft, zuvor fand sie jedoch faktisch seit längerem keine Beachtung mehr.

Und so hießen Kinder in Frankreich seit Jahrzehnten mitunter Mohammed oder Fatoumata oder trugen - nach wechselnden Moden - Vornamen nordamerikanischen Ursprungs wie Kevin. Nur Fantasie-Vornamen, die dem Kind beim Heranwachsen schaden könnten wie "Nutella", wurden in den letzten Jahren durch Standesämter abgelehnt. Der Redner von Nizza will dahinter zurück und eine, ethnisch und religiös motivierte, zwingende "Norm" durchsetzen. Frankreich würde dadurch in Europa eine Ausnahmestellung einnehmen.

Ein solcher Vorschlag für eine nicht geringfügige Einmischung in das Familien- und Privatleben löste in den letzten Tagen zahlreiche satirische Reaktionen aus, die eine britische Zeitung für die einzig angemessenen hält.

Ansonsten warnte der 63-jährige Eric Zemmour, denn um ihn geht es, zu Beginn der Veranstaltung: "Regen Sie sich nicht zu früh auf oder freuen Sie sich nicht zu früh. Heute Abend werde ich Ihnen nicht sagen, ob ich zur Präsidentschaftswahl antrete oder nicht." Einige Tage zuvor hatte er selbst gegenüber der Presse angemerkt: "Ich kann die Zweideutigkeit andauern lassen, solange es in meinem Interesse liegt."

Ein offen benanntes taktisches Kalkül, das in TV-Talkshows inzwischen als politischer "Zynismus" bezeichnet wird, sich jedoch gegenüber der Öffentlichkeit sicherlich nicht auf Dauer durchhalten lässt.

"Ambivalenz aufrechterhalten"

Vorläufig blieb es jedoch dabei. Also handelte es sich, offiziell jedenfalls, lediglich um eine Buchvorstellung. Auch wenn das vorgestellte Buch (unter dem Titel "Frankreich hat noch nicht sein letztes Wort gesprochen") ziemlich genau wie das Wahlprogramm eines Präsidentschaftskandidaten verfasst ist.

Und auch wenn in Umfragen seit einigen Wochen die Aussichten des Bisher-Nicht-Kandidaten für die nächste Präsidentschaftswahl in Frankreich (diese findet am 10. und 24. April 2022 statt) systematisch getestet werden - Ende voriger Woche erreichte er dabei erstmals die Zehn-Prozent-Marke.

Viele Kommentare stellen vor diesem Hintergrund die Frage, ob der Nicht-Kandidat - würde er denn zum Kandidaten - in weiteren demoskopischen Erhebungen eher die Laufbahn eines Jean-Pierre Chevènement 2001/02 oder eher jene eines Emmanuel Macron 2016/17 hinlegen könnte.

Chevènement, sozialdemokratischer Nationalist, EU-Kritiker und früherer Innenminister, legte im Laufe des Herbsts 2001 in Umfragen zu und versprach sich Wahlchancen mit dem Versprechen, die EU-Skeptiker und -Gegner auf der Linken und auf der Rechten zu bündeln. Am Ende erhielt er, nach fünfzehn Prozent in Vorwahlbefragungen, jedoch bei der Wahl im April 2002 real nur 5,3 Prozent der Stimmen und scheiterte schmählich.

Macron hingegen, der im Herbst 2016 (in etwas kürzerem Abstand zur darauffolgenden Wahl, als er jetzt noch besteht) seinerseits bei rund zehn Prozent der Stimmabsichten startete, hatte im April/Mai 2017 bekanntlich Erfolg.

Allerdings besetzte er nicht wie eben der Herr, um den sich derzeit ein bedeutender Teil der Vorwahldebatte in französischen Medien dreht, eine Extremposition im politischen Spektrum: Macron zog eher die linke Mitte und die rechte Mitte im Zentrum des etablierten Systems zusammen. (Was nicht ausschließt, dass der Wirtschaftsliberale - einmal Präsident - speziell auf sozio-ökonomischem Gebiet gesellschaftlich polarisierende Beschlüsse fasste. Und dies reichlich.)

Eric Zemmour siedelt sich eher auf einer Scharnierposition zwischen dem extremen Flügel der Konservativen und dem national-konservativen Flügel der Extremen auf der Rechten an. Nicht von ungefähr wird er auch durch die Erbin der neofaschistischen Politikfirma, Marine Le Pen, deren Dynamik vor allem seit dem Scheitern bei den Regionalparlamentswahlen im Juni dieses Jahres angeknackst erscheint, in wachsendem Ausmaß als Konkurrent wahrgenommen.

Aus ihrer Partei, dem Rassemblement National (RN, "Nationale Sammlung"), und deren Umfeld mehren sich denn auch die Hinweise an Eric Zemmour, er möge doch lieber das wahlpolitische Feld räumen, als dem eigenen politischen Lager zu schaden.

Macrons Erfolg ab 2016 beruhte zuvörderst auf dem Einsammeln von Trümmern der damals politisch desavouierten Altparteien, Sozialdemokratie und Konservative, auf beiden Seiten. Das Interesse und die Unterstützung der Massenmedien kamen mit dem Erfolg hinzu, vor allem in den Anfängen musste Macron noch um sie kämpfen.

Im Unterschied zu ihm weist Zemmour, trotz einer politisch eher als Randposition zu bezeichnenden Verortung, von Anfang an eine ungleich stärkere Medienmacht im Rücken auf. Ein massenmedialer Resonanzboden ist ihm sicher, war er doch bis vor kurzem sowohl in führenden Print- als auch audiovisuellen Medien prominent vertreten.

Hohe Einschaltquoten wies er bis dahin nicht als Politiker, sondern als Kommentator und Chronist auf. Dafür standen ihm die Spalten der Tageszeitung Le Figaro breit offen, vor allem aber die Studios des TV-Senders CNews. Bis 2019 auch jene von RTL, doch dann kündigte der Sender die Zusammenarbeit auf, nachdem Zemmour Ende September jenes Jahres bei einer Konferenz in Paris aufgetreten war, die rund um die neofaschistische Politikerin Marion Maréchal (früher Marion Maréchal-Le Pen) organisiert worden war.

Dort äußerte er unter anderem, der Nationalsozialismus sei im Vergleich zum Islam eine vergleichsweise harmlose Bedrohung gewesen.

Medienmonopolbildung und Förderung rassistischer Hetze

CNews hingegen stellte die regelmäßigen Sendungen mit Zemmour erst ein, nachdem das französische Medienaufsichtsgremium CSA (Hoher Rat der Radio- und Fernsehmedien) am 08. September dieses Jahres öffentlich moniert hatte, Zemmour könne nicht gleichzeitig politischer Chronist und - wenn auch unerklärter - Kandidat sein.

Dies, weil die Sendezeit für Präsidentschaftsbewerber gemessen wird und proportional zu jener ihrer Mitbewerberinnen und -bewerber ausfallen muss, um ein Mindestmaß an Chancengleichheit zu wahren. Bis zur jüngsten Entscheidung des CSA stand Zemmour, dessen Kandidaturpläne seit Juni d.J. öffentlich erörtert wurden, auch weiterhin auf dem Sendeprogramm von CNews.

Rassistische Hetze hatte den Sender, der zum Medienkonzern des in vielen Bereichen - historisch vor allem im neokolonialen Afrikahandel Frankreichs, wo er lange Jahre hindurch eine Monopolsituation ausnutzte - tätigen Multimilliardärs Vincent Bolloré zählt, bislang nicht gestört. Sie stört ihn übrigens auch weiterhin nicht.

Zwar sitzt Zemmour nun nicht mehr selbst in den allabendlichen Talkshows von CNEWs. Dort sieht der politische Pluralismus nun aber so aus wie im Abendprogramm am 14. September: Chefredakteur Pascal Praud verteidigte dort mit Zähnen und Klauen Zemmour gegen Kritik, die ein Studiogast (Olivier Dartigolles) geäußert hatte. Jener hatte kritisiert, Eric Zemmour habe eine "Abschiebung aller Nicht-Assimilierten" gefordert; doch Praud hielt dagegen, auch wenn sich dies an Zemmours Text nicht festmachen ließ, Zemmour sei angeblich nur für die Abschiebung von verurteilten Schwerkriminellen. Auch wenn der Nicht-Kandidat selbst Anderes und Extremeres schrieb.

Die Anwesenden erörterten dann gemeinsam Zemmours Äußerung, dank seiner Präsenz in der Vorwahldebatte würde die bevorstehende Präsidentschaftswahl "zur ersten, die sich um das Hauptthema dreht: die Einwanderung, das Verschwinden unseres Volkes".

Zu dem Zeitpunkt durfte dann Ivan Rioufol (Rechtsaußen-Kommentator bei der Tageszeitung Le Figaro) einwenden, das sei ja gut und recht, doch bearbeite eine Partei - der frühere Front National, dessen Namen inzwischen Rassemblement National lautet - dieses Thema seit vierzig Jahren, nun solle man ihre Verdienste nicht unter den Scheffel stellen. Im Übrigen sollten die rechten Kandidaturen sich nicht gegenseitig Konkurrenz bereiten.

So sieht politischer Pluralismus bei einem der stärksten privaten "Infosender" in Frankreich aus. CNews zog im Mai dieses Jahres erstmals an dem liberalen Sender BFM TV vorbei, einem seit nunmehr zwanzig Jahren rund um Uhr übertragenden Nachrichtensender.

Beide halten Marktanteile am Gesamt-Fernsehmarkt in Höhe von je rund drei Prozent, wobei sowohl CNews als auch BFM TV ausschließlich Nachrichtensendungen und Talkshows zu überwiegend politischen Themen (24 Stunden pro Tag) bieten und kein Film-, Show- und Quizprogramm.

Letzteres trägt dem 1987 privatisierten, einst ersten öffentlich-rechtlichen Sender TF1 seinen ersten Platz mit noch 19 Prozent (sein Anteil ist allerdings stark gesunken) ein. In vielen Cafés läuft entweder CNews oder BFM TV ständig im Hintergrund; diese Sender schalten viele Menschen ein, wenn man sich zu x-beliebigen Uhrzeiten über die Nachrichtenlage informieren möchte. Nur bekommt man bei CNews in Wirklichkeit oft geballte rechtsextreme Propaganda geboten.

Der dahinter stehende Bolloré-Konzern, der im vorigen Jahrzehnt die Sendergruppe Canal + übernahm (die vormals beliebte satirische Polit-Puppensendung Les Guignols de l’info wurde dort kurz darauf ersatzlos eingestellt, ist just derzeit dabei, nach weiteren Medien die Finger auszustrecken. Im Visier befinden sich derzeit die einflussreiche bürgerliche Sonntagszeitung JDD sowie das Vielfarbdruck-Magazin Paris Match. Bolloré gibt darüber hinaus eine allmorgendlich an den Métro-Ausgängen verteilte Gratiszeitung unter dem Titel CNews heraus.

Diese geballte Medienmacht im Hintergrund lässt einen Eric Zemmour nicht als marginale Figur erscheinen, viele kennen ihn längst von den TV-Bildschirmen.