Putin, der Böse?

Graffito von Wladimir Putin. Bild: MabelAmber, Pixabay

Wie sich das Verhältnis zu Russland seit der Bundestagsrede des Staatschefs im Jahr 2001 verschlechtert hat. Eine kurze Geschichte westlicher Heuchelei (Teil 1)

Wladimir Putin gilt heute als die Inkarnation des politischen Schurken, der aggressiv seinen Machtbereich erweitert, politische Gegner um die Ecke bringt und die westlichen Demokratien durch Wahleinmischung und "Desinformation" unterminiert.

Die lautesten Vorwürfe kommen dabei von denjenigen, die in den letzten Jahrzehnten über die völkerrechtswidrigen Kriege des Westens, über seine orchestrierten Staatsstreiche, Foltergefängnisse und illegalen Tötungen noch nie ein Wort verloren haben. Dies allein sollte schon zu denken geben.

Ein objektiver Blick gelingt aber wohl am besten, wenn man die Entwicklung von Anfang an betrachtet, und dieser liegt in der Rede des russischen Präsidenten vor dem Deutschen Bundestag im Jahr 2001, die sich am 25. September zum 20. Mal jährt.

Putin wurde seinerzeit von allen Parteien mit stehendem Applaus bedacht, nachdem er auf Deutsch vorgetragen und dabei an Kant, Humboldt, Goethe und Lessing sowie die gemeinsame deutsch-russische Kultur erinnert hatte, ohne die Katastrophen des 20. Jahrhunderts auszusparen.

Man kann es nur als erstaunlich bezeichnen, wie versöhnlich Putin in einem Land auftrat, das nicht nur einen Vernichtungskrieg gegen das seine begonnen hatte, sondern mit dem vorsätzlichen Aushungern von Leningrad einen Völkermord beging, der auch seine eigene Familie traf - Putins Eltern hatten im Winter 1941/42 einen ihrer Söhne verloren.

Dennoch sah Putin Deutschland als wichtigsten Partner in einer großen Vision, nach Ende der Ost-West-Konfrontation ein großes europäisches Haus aufzubauen. Kaum verborgen äußerte er dabei den Wunsch einer wirtschaftlichen Integration Russlands mit der Perspektive eines einzigen Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok.

Es hätte der Beginn einer Epoche der Friedensdividende sein können, umso mehr, als sich Putin auch gegenüber den USA kurz nach den Anschlägen vom 11. September konziliant und kooperativ zeigte.

Absichtliches Überhören

Wahrscheinlich hat er damals, knapp zwei Jahre im Amt, jedoch die weltpolitischen Rahmenbedingungen falsch eingeschätzt. Denn die Annahme, dass die einzig verbliebene Supermacht dem Aufbau eines eurasischen Machtzentrums tatenlos zusehen würde, war wohl naiv.

Anstatt einer wirtschaftlichen Vereinigung gab es militärische Keile, die durch Europa getrieben wurden: die Nato-Osterweiterung von 2002 bis 2004, die Putin klaglos geschehen ließ, obwohl der Westen dabei wortbrüchig wurde. Man hätte den Aufnahmewunsch dieser Länder auch höflich ablehnen und eine wirkliche Friedensarchitektur schaffen können, denn die Nato war im Grunde überflüssig geworden. Aber damit gab es wohl nicht viel zu verdienen.

Der Westen schlug also drei Fliegen mit einer Klappe: Die Erweiterung verstärkte das Zerrbild einer vermeintlichen Bedrohung durch Russland, torpedierte dessen Integration in ein vereinigtes Europa und erweiterte den US-Herrschaftsbereich.

Die Waffenverkäufe liefen wie geschmiert, egal ob dabei Europa wieder zum potenziellen Schlachtfeld wurde, in Washington konnte man zufrieden sein. Das politische Potenzial des Widerspruchs war in Deutschland wohl schon mit dem Widerstand gegen den Irakkrieg ausgeschöpft, dessen verlogene Rechtfertigung Joschka Fischer 2003 immerhin noch auf offener Bühne kritisieren konnte: "I am not convinced!" - heutzutage undenkbar.

In diesen Jahren durchschaute Putin wohl allmählich dieses Spiel und war berechtigterweise besorgt über die Raketensysteme in Polen und Rumänien, die nichts anderes als eine Erstschlagdrohung darstellten.

Zum ersten Mal redete er auf der legendären Münchner Sicherheitskonferenz von 2007 Klartext.

Obwohl der Inhalt seiner Rede Abrüstungsvorschläge (!) waren, wird Putin seither als "Kalter Krieger" diffamiert, denn er wagte den Angriff auf das Allerheiligste: die Heuchelei des Westens, sich als Verbreiter von Demokratie und Menschenrechten zu inszenieren, während man unter Missachtung des Völkerrechts einfach nur nach der monopolaren Weltherrschaft strebte.