Vom Solidarprinzip zum "Selber schuld": Wenn Ungeimpfte nur die ersten sind

Werden demnächst auch Raucher für ihre Krankheiten haftbar gemacht? Foto: Free-Photos auf Pixabay (Public Domain)

Das Ende der Lohnfortzahlung für Ungeimpfte in Quarantäne ist ein Dammbruch, der demnächst auch Menschen mit Vorerkrankungen treffen könnte

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) reagierte wieder einmal mit seiner stärksten Waffe, der Presseerklärung, auf den Beschluss der Gesundheitsminister, die Lohnfortzahlung für Ungeimpfte in Quarantäne abzuschaffen.

Kritik gibt es auch von der Stiftung für Patientenschutz, die daran erinnert, dass die Gesundheitsminister der Länder mit ihren Beschluss einen ethischen Kontext verlassen haben. Weder Impfstatus, Alter, Pflegebedürftigkeit, Krankheiten, Essgewohnheiten noch Hobbys seien bisher Kriterien für Solidarleistungen gewesen, betont Eugen Brysch von der Stiftung für Patientenschutz.

Damit hat er den Kern getroffen. Solidarleistungen sollen kein Almosen und keine Gnade sein, die für ein bestimmtes Verhalten gewährt oder verweigert werden können. Sie sind ein Recht, das allen Betroffenen zusteht. Zudem soll daran erinnert werden, dass die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in einen langwierigen, erbittert geführten Streik 1957 von den Lohnabhängigen erstritten wurde.

Der Kapitalseite waren die erkämpften Rechte immer ein Dorn im Auge. Es gab viele Versuche, sie wieder abzuschaffen, die aber oft gescheitert sind. Mit dem Beschluss, die Lohnfortzahlung für Ungeimpfte in Quarantäne abzuschaffen, ist ein Dammbruch erreicht. Es ist kein Zufall, dass an diesen Punkt angesetzt wurde.

Ungeimpfte gleich "Querdenker"?

Schließlich wurde ein Bild gezeichnet, dass Ungeimpfte automatisch mit der "Querdenker"-Bewegung in Verbindung bringt und "Querdenker" wiederum werden als schädigend für die Gesellschaft dargestellt. Und für solche Leute soll die Solidargemeinschaft noch zahlen? Diese Assoziation wurde auch von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in einer Pressekonferenz bewusst geweckt, als er den Beschluss der Gesundheitsminister erklärte und verteidigte.

Dort bezeichnete es Spahn als Frage der Fairness, wenn dann Ungeimpfte die finanziellen Folgen zu tragen hätten. Er nannte es eine freie persönliche Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen. Dann müssen die Betroffenen für diese Entscheidung auch die Folgen in Form von höheren Kosten tragen. Spahn nannte neben dem Ende der Lohnfortzahlung auch die Änderungen bei den Tests, die bald nicht mehr kostenfrei sein werden.

Da aber die Vorlage des Testergebnisses Voraussetzung von Besuchen in Kultureinrichtungen, Restaurants und vielen anderen Lokalitäten ist, kommen auf Ungeimpfte beträchtliche Mehrkosten zu. Wer sich die nicht leisten kann oder will, ist dann von Teilen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. Die Entscheidung wird dadurch auch zur Frage des Einkommens.

Hier wird ganz bewusst eine Politik der Entsolidarisierung betrieben, die als Einfallstor für ähnliche Regelungen auch über den Corona-Komplex hinaus dienen kann. Es gibt schon lange bisher nicht mehrheitsfähige Überlegungen, Menschen mit einen als ungesund geltenden Lebensstil von bestimmten Solidarleistungen auszuschließen. Dass könnte Raucher genauso betreffen wie Betreiber von Sportarten mit einer gewissen Verletzungsgefahr. Bisher konnten Versicherungen dann Aufschläge nehmen, wenn es bestimmte Risikomomente in der Biographie des Kunden gab.

Dammbruch hin zu weiterer Entsolidarisierung der Gesellschaft

Aber die gesetzlichen Solidarleistungen waren daran mit guten Grund nicht gekoppelt, weil sie eben kein Almosen, sondern garantierte Rechte sind. Wenn genau von diesen Grundsatz jetzt an einer Stelle abgewichen wird, ist dies ein Dammbruch in Hinblick auf eine weitere Entsolidarisierung der Gesellschaft. Hier wird auch die ganze Absurdität der Impfdebatte deutlich. Auch Spahn betont immer wieder, dass Impfen doch freiwillig sei und bleiben solle. Doch allein die jetzt beschlossenen Regelungen zeigen, dass man sich diese individuelle Entscheidung leisten können muss.

Da wäre sogar eine allgemeine Impfpflicht, wenn sie wirklich für alle mit rein medizinisch intendierten Ausnahmen gilt, eine sozialere Lösung gewesen. Denn ihr hätten sich eben alle unterziehen müssen. Die jetzigen Regelungen werden aber für einkommensschwächere Teile der Bevölkerung Probleme und Schwierigkeiten bringen. Das ist den verantwortlichen Politikern bekannt und gerade deshalb wurde die Regelung auch beschlossen.

Doch das könnte ein Pilotprojekt sein. Weitere als "fair" bezeichnete Regelungen dürften folgen. Hier geht es um die Abwälzung der Kosten der Pandemie auf Teile der Lohnabhängigen, die schon mal moralisch ausgesondert wurden. Andere Bevölkerungsgruppen dürften dann folgen, wenn es darum geht, den Gürtel enger zu schnallen. Zumindest so lange die Proteste dagegen sich im wesentlichen auf Presseerklärungen vom DGB- beschränken.