Das Virus und die neue "exekutiv-autoritäre" Herrschaft

Wie das Virus die Welt verengt (Teil 3 und Schluss)

In der Corona-Krise, so kann zusammenfassend gesagt werden, ist der Kampf gegen das Virus untrennbar mit dem Kampf gegen Verschwörungstheorien verbunden. Die Angst vor dem Virus ermöglicht politische Maßnahmen, die vorher undenkbar gewesen wären - und die von dem Bürgerrechtler Rolf Gössner völlig zurecht als "exekutiv-autoritäre Verordnungen" bezeichnet werden. Die Maßnahmen wiederum wirken auf das gesellschaftliche Klima zurück, erzeugen zusätzlich Angst und verengen die Diskussionsräume. Mit den Worten Gössners:

Denn auch die gesellschaftliche Debatte hat - nicht zuletzt in den Medien - allzu lange unter Angst, Einseitigkeit und Konformitätsdruck gelitten, auch unter Diffamierung und Ausgrenzung. Diskussionskultur und Meinungsvielfalt haben in der Corona-Krise jedenfalls gehörig gelitten und sie leiden noch immer - auch wenn Zweifel, Kritik und Gegenstimmen längst lauter geworden sind, sich aber mitunter auch skurril bis gefährlich verirren.

Im Zuge der Corona-Pandemie tauchten einige Verschwörungstheorien auf, die zu Recht als Gefahr für die Demokratie gelten können. Andere Verschwörungstheorien zum Corona-Virus hingegen sind Ausdruck der Sorge um die Demokratie angesichts einer Krisensituation und von politisch erzeugten Ausnahmezuständen.

YouTube, Facebook und Twitter haben seit Pandemie-Beginn unzählige Videos, Posts, Tweets und damit verbundene Nutzerkonten aus Sorge vor der Verbreitung von Falschinformationen gelöscht oder gesperrt.1

Die so vernichteten Informationen beinhalteten neben spekulativer, aktivistischer oder ideologischer Kritik am offiziellen Corona-Narrativ auch wissenschaftliche Expertise. Interessant ist der Fall des renommierten griechisch-amerikanischen Epidemiologen John Ioannidis. Dessen durch Studien unterlegte Aussagen über eine relativ niedrigere Mortalitätsrate bei Covid-19 verstießen angeblich gegen die community standards bei YouTube, bei denen sich der Konzern auch an Vorgaben der WHO orientiert,2 und wurden daraufhin gelöscht.

Wenige Monate später tauchte Ioannidis' Expertise als gültige Stimme im Rahmen einer im Bulletin of the World Health Organization veröffentlichen Studie wieder auf und wurde damit stillschweigend relegitimiert.3

Die Medizinethikerin Emilia Niemiec betrachtet, nicht zuletzt unter Bezugnahme auf diesen Fall, die Zensur in sozialen Medien im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie als höchstproblematisch, da sie eine paradoxe Wirkung erzeugen könnte4:

Obwohl die Zensur in sozialen Medien eine effiziente und unmittelbare Lösung für das Problem der medizinischen und wissenschaftlichen Fehlinformation zu sein scheint, beinhaltet sie paradoxerweise ein Risiko der Verbreitung von Fehlern und Manipulation. Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass die Autorität, zu definieren, was wissenschaftlich bewiesen oder medizinisch fundiert ist, entweder den Anbietern sozialer Medien oder bestimmten Institutionen zugeschrieben wird, trotz der Möglichkeit von Fehlern auf deren Seite oder des potenziellen Missbrauchs ihrer Position zur Förderung politischer, kommerzieller oder anderer Interessen.

Gegenüber Zensurpraktiken, die ohnehin dem Anspruch eines offenen Meinungsaustausches auf den betreffenden Plattformen widersprechen, schlägt sie vielmehr eine eingehendere Erforschung des Problems von Falschinformationen und die Schulung von Medienkompetenz vor, um so möglicherweise nachhaltiger zu einer Gesellschaft beizutragen, die immun gegen Falschinformationen ist.5

Die Corona-Krise scheint innerhalb von Medienstrukturen - seien es nun konventionelle oder internetbasierte Medien - insgesamt eine verstärkte Tendenz zur Informationsselektion erzeugt zu haben. Was nicht dem gängigen Krisen-Narrativ entspricht, wird mit zunehmender Vehemenz aus dem öffentlichen Diskurs entfernt.

Dieser medienpolitische Konsenszwang ist schon aus anderen Krisen bekannt, etwa im Anschluss an die Terroranschläge vom 11. September 2001 oder während der Ukraine-Krise.6 Nach einer Analyse von Sondersendungen der Fernsehsender ARD und ZDF zum Thema Corona kommen die Medienwissenschaftler Dennis Gräf und Martin Henning zu dem Ergebnis, dass die Sendungen "das narrative Prinzip der Krise redundant und selbstreflexiv installieren" und dass ihnen sowohl aufgrund "ihrer dramaturgischen Struktur als auch ihrer Bilderwahl eine Tendenz zur Redundanz und damit vor allem zur Krisenerhaltung inhärent ist."7 Politische Maßnahmen, so die Autoren weiter, würden lediglich oberflächlich hinterfragt, alternative Sichtweisen kaum zugelassen, was zu einer Verengung der medial konstruierten Welt führe.8


Der Text stammt aus dem Buch "Der Kampf um die Wahrheit: Verschwörungstheorien zwischen Fake, Fiktion und Fakten" von Andreas Anton und Alan Schink.

Komplett Media, 336 Seiten, 22 Euro


Eine Studie der internationalen NGO Freedom House aus dem Jahr 2020 kommt zu dem Ergebnis, dass die Corona-Krise weltweit zu erheblichen Einschränkungen der Freiheit im Internet geführt habe. Dies zeige sich vor allem anhand von drei Trends: Erstens würden Regierungen weltweit die Pandemie nutzen, um den freien Zugang zu Informationen im Internet zu beschränken. Zweitens beriefen sich die Behörden vieler Länder auf COVID-19, um erweiterte Überwachungsbefugnisse und den Einsatz neuer Technologien zu rechtfertigen, die zuvor aufgrund von Datenschutzbedenken abgelehnt worden wären.

Und schließlich zeige sich ein Trend zur "Zersplitterung" des Internets im Sinne der Umsetzung von "Cyber-Souveränität", bei der einzelne Regierungen ihre Internet-Regulierungen in einer Weise verschärften, die den Informationsfluss über nationale Grenzen hinweg einschränkt.

Es erscheint uns naheliegend, dass sich dieses zunehmende Misstrauen staatlicher Institutionen, aber auch privater Unternehmen gegenüber der freien Zirkulation von Informationen im Internet letztlich in einer Zunahme von Verschwörungstheorien in den jeweiligen Gesellschaften widerspiegeln wird.