Corona-Pandemie: Virologen und Pädagogen müssen gleichermaßen gehört werden

Eine pädagogische Stellungnahme auf Grund von neuen Forschungsbeiträgen (Teil 2 und Schluss)

Neue Untersuchungen zum Maskengebrauch in Schulen

Im ersten Teil ging es um Vorsorge- und Schutzwirkung von Masken. Entscheidend bei einer eventuellen Implementierung ist, dass der Maskengebrauch bevölkerungs- und gruppenbezogen eingeführt und unterstützt wird. Das gilt auch für Schule und Schüler, für die adäquate, also altersgemäße pädagogische und virologisch effektive "Policies" (Richtlinien) erforderlich wären.

Die Frage ist allerdings, ob die schützenden und verbreitungsmindernden Effekte, die die im ersten Teil Studie feststellt, auch auf den Maskengebrauch in Schulen zutreffen. Hierzu gibt es eine ganz neue Untersuchung der USA-Gesundheitsbehörde CDC, die als randomisiert-kontrolliert gelten kann und mit belastbaren Ergebnissen aufwartet.

Das Team der Studie hat 999 K-12 Schulen (Primär- und Sekundärbereich) in zwei Regionen mit und ohne Maskenpflicht zwischen 15. Juli und 31. August 2021 untersucht. Anfang Juli lag die regionale Sieben-Tage-Inzidenz bei 161 und 105, die Impfquote (mindestens Erstimpfung) betrug rund 48 Prozent und 59 Prozent.

Bei den Schulen mit Maskenpflicht waren alle Personen, unabhängig von einer Impfung, verpflichtet, innerhalb der Schulen Mund-Nasen-Bedeckungen zu tragen – leider wird nicht abgegeben, welcher Art.

In Schulen ohne Masken gab es fast zehnmal mehr Infektionen als in Maskenpflicht-Schulen; das Ansteckungsrisiko für Infektionen war 3,5-mal höher. Aufgrund dieses Befundes empfiehlt die CDC:

Universal indoor masking by students, staff members, faculty, and visitors in kindergarten through grade 12 (K-12) schools, regardless of vaccination status, to reduce transmission of SARS-CoV-2 …

Das Deutsche Gesundheitsportal berichtet über die Studie und folgert:

Angesichts der hohen Ansteckungsgefahr mit der neuen Delta-Variante […] des Coronavirus SARS-CoV-2 spricht dieses Ergebnis demnach, zusätzlich zu weiteren präventiven Maßnahmen wie regelmäßigen Tests zum Erkennen und frühzeitigen Unterbrechen möglicher Infektionsketten, deutlich für eine generelle Maskenpflicht in Schulen.

Nun zur Behauptung, dass es an Schulen kaum Infektionen gebe, die eingedämmt werden müssten und Kinder nicht nennenswert zur Verbreitung von Covid-19 beitrügen.

Hierzu gibt die neue Untersuchung des Teams um Christian Drosten Aufschlüsse (veröffentlicht 09.07.2021 in Science – die alte umstrittene Pre-Print-Veröffentlichung von 04/2020 wurde damit aufgrund des Peer-Reviewing überarbeit und abgelöst).

Es wurden mehr als 400.000 Personen von Februar 2020 bis April 2021, meist aus Berlin, getestet (RT-PCR-Tests) und ca. 936.500 Testergebnisse untersucht.

Von den rund 25.400 positiv Getesteten zeigten acht Prozent sehr hohe Sars-CoV-2-Viruslasten (durch verschiedene Verfahren identifiziert), besonders die mit B 1.1.7 (Alpha-Variante) Infizierten. Virenträger dieser Art, darunter symptomlose und leicht Erkrankte, können genauso infektiös wie hospitalisierte Patienten sein.

Es zeigte sich, dass infizierte Kinder fast die gleiche Virenlast wie Erwachsene aufwiesen. In Hinsicht auf ihre Ansteckungsfähigkeit, heißt es:

Die vorliegende Studie liefert wenig Beweise dafür, dass Kinder nicht so infektiös wie Erwachsene sein könnten.

Positiv ausgedrückt: Die Ergebnisse der Studie sprechen überwiegend dafür, dass Kinder genauso infektiös wie Erwachsene sein können. Auch unter ihnen befindet sich eine kleine Gruppe mit besonders hoher Virenlast, darunter Symptomlose und leicht Erkrankte. Diese Gruppe von Infizierten kann schon vor einer eventuellen Testung durch soziale Kontakte eminent zu Covid-19-Ausbrüchen beitragen und, wenn kein Test erfolgt, erst recht. Konklusion:

... Interventionen wie Distanzwahrung und Maskentragen sind Schlüssel zur Verhinderung zusätzlicher Ausbrüche. Solche Maßnahmen sollten in allen sozialen Bereichen und Altersgruppen, wo das Virus präsent ist, gebraucht werden.

Ein Ausbruchsfall in einer Hamburger Schule im September 2020 "illustriert" die Befunde des Drosten-Teams. Der Abschlussbericht der ausführlichen Untersuchung des Heinrich-Pette-Instituts und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt Hamburg-Nord wurde von dem Bildungssenator und Sprecher der SPD-geführten Bildungsministerien, Ties Rabe, fast ein Jahr zurückgehalten.

"Offensichtlich" – so liest man in dem Online-Lehrer:innen-Magazin News4teachers – "sollte die Öffentlichkeit nicht über die Risiken informiert werden, die sich aus einem offenen Schulbetrieb ergeben".

Die damaligen Inzidenzzahlen (<15) waren in Hamburg niedrig, was dazu führte, dass "im Hygienekonzept der Hamburger Schulen eine zum damaligen Zeitpunkt fachlich umstrittene generelle Maskenpflicht für Kinder [im Klassenzimmer] nicht enthalten war, um sie nicht unnötig' zu belasten". Für Lehrkräfte war die Nutzung von Masken freiwillig.

Trotz der eingehaltenen (defizitären) Hygienemaßnahmen kam es zu "explosiven" "Super-Spreading-Ereignissen" in einer Schule. In der Untersuchung wird berichtet:

In dem Zeitfenster von vier Schultagen … steckten sich vermutlich 31 Schüler:innen und 2 pädagogische Mitarbeiter:innen innerhalb der Schule mit dem SARS-CoV-2 Virus des Ausbruchsclusters an. Drei Familienmitglieder betroffener Schüler:innen wurden in der Folge ebenfalls infiziert … Es ließ sich ein Mitglied des pädagogischen Personals (A) epidemiologisch durch genaue Fallrecherche und Ausschluss anderer potenzieller Indexpatienten als Primärfall ermitteln …

A trug keine Maske. Es folgten "zahlreiche weitere Infektionen" bei Schüler:innen und Lehrpersonal, die mit A und untereinander Kontakt gehabt hatten. A bemerkte zunächst keine Krankheitssymptome und arbeitete nach dem ersten Ausbruch mit Mundschutz und Abstandswahrung weiter – was "zu einer deutlich reduzierten Übertragung" führte –; dann trat ein Krankheitsgefühl auf und er verließ die Schule. Dennoch gab es weitere Infektionen bis zur Einführung einer Quarantäne.

Zusätzlich zur unbemerkten Ansteckung durch die Asymptomatik der Primärperson, dem fehlenden Mundschutz bei Schüler:innen und Lehrkräften gab es "Negativfaktoren", die die Ausbrüche begünstigten.

Dies waren: "lange Expositionszeiten, die Anwesenheit vieler Personen im Klassenraum mit partieller Unterschreitung der Mindestabstände bei z.T. nicht ausreichender Belüftung". Die Ausbrüche gingen hier von einem Erwachsenen aus, aber die Kinder gaben ihrerseits die Viren weiter.

Fazit des Berichtes:

Die Ergebnisse sprechen für die hohe Effektivität von gebündelten Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen in Ergänzung zu Test- und Impfprogrammen […] Eine Masken-Pflicht für alle innerhalb der Gebäude sollte aufrechterhalten werden, solange die Inzidenz und die Durchimpfungsrate keine Entspannung der Gesamtlage zulassen.

Und wie sieht es mit Nebenwirkungen aus?

Mit der hohen Evidenz der Schutzwirkung und Ausbreitungsminimierung von Mund-Nasen-Bedeckungen ist freilich noch nicht die Frage beantwortet, ob Nebenwirkungen und Belastungen bei Kindern und Jugendlichen nicht den Nutzen überwiegen.

Wie zuvor erwähnt, zu den eventuellen Nebenwirkungen gibt es keine Untersuchung, die "belastbare" Ergebnisse zeigt. Eine solche Untersuchung wäre für schulpolitische Konzepte, die sowohl den Anspruch der Kinder auf Gesundheitsschutz als auch auf Wohlbefinden berücksichtigen, dringend notwendig.

Hierbei sollten vorwiegend die Betroffenen selbst, Schülerinnen und Lehrerinnen, herangezogen werden, nicht nur Außenstehende. Bei der freien Universität Herdecke/Witten sind "Corona-Kinder"-Studien in Gange, auch zum Maskentragen, mit einem "deutschlandweiten Register zur (Auswirkung der) Mund-Nasen-Bedeckung bei Kindern". Das Register nimmt die Daten einer Befragung von Eltern, Lehrern und Ärzten auf.

Bisher wurden nur partielle Ergebnisse der freiwilligen und standardisierten Online-Befragung veröffentlicht – die Aussagen von Eltern. 68 Prozent von ihnen geben an, dass Kinder über Beeinträchtigungen durch das Maskentragen klagen. Dazu zählen:

  • Gereiztheit (60 Prozent)
  • Kopfschmerzen (53 Prozent)
  • Konzentrationsschwierigkeiten (50 Prozent)
  • Weniger Fröhlichkeit (49 Prozent)
  • Schul-/Kindergartenunlust (44 Prozent)
  • Unwohlsein (42 Prozent)
  • Beeinträchtigungen beim Lernen (38 Prozent)
  • Benommenheit/Müdigkeit (37 Prozent).

Vorsichtigerweise schränken die Autoren die Validität der Angaben ein:

Eine Verzerrung im Hinblick auf die präferenzielle Dokumentation besonders schwer betroffener Kinder [ d. h. Eltern schwer betroffener Kinder melden sich verstärkt] oder den Schutzmaßnahmen grundsätzlich kritisch gegenüberstehenden Personen lässt sich nicht ausschließen.

Tatsächlich beschreibt ein großer Teil der Eltern die Maßnahmen der Politik als "unangemessen, nicht nachvollziehbar und undifferenziert." Da besteht die Vermutung, dass sich die Einstellung der Eltern auf die Akzeptanzbereitschaft der Kinder auswirkt und physische und psychische Beschwerden hervorbringen oder bestehende verstärken kann.

Dennoch: solche Ergebnisse sind beunruhigend und ihnen sollte nachgegangen werden. Die Politik müsste im Zusammenwirken mit Pädagogen und Virologen Konzepte entwickeln, die sowohl pädagogisch als auch virologische angemessen sind, also Verhaltensrichtlinien erarbeiten, die die Gesundheitsvorsorge, zu der Schulen verpflichtet sind, als auch das Wohlbefinden der Kinder berücksichtigen.

In populistischer Manier nur auf die "Stimme des Volkes" zu hören, die auf Abschaffung dringt, ist nicht verantwortbar. Eine generelle Aufhebung der Maskenpflicht zum derzeitigen Zeitpunkt scheint mir nach den geschilderten Befunden voreilig und riskant.

Das Maskentragen müsste aber so gestaltet werden, dass dies für die Betroffenen erträglich ist, u.a. durch kreativen und flexiblen Umgang von Lehrkräften mit der Tragepflicht, durch kindgemäße, schadstoffarme, umweltschonende Mund-Nasen-Bedeckungen (Stoffmasken haben auch schützende Wirkungen – siehe die Bangladesch-Studie!), gute Anleitung zum Gebrauch und häufige Maskenpausen.

Ich habe maskentragende Schüler:innen der Schulen in meiner Nähe beobachtet (zwei Gymnasien mit Internatsanschluss), auf dem Schulweg, im Bus, auf dem Schulhof und im Schulgebäude. (Es ist gar nicht so leicht derzeit Zutritt zu einer Schule zu bekommen – Maskengebrauch, Voranmeldung und "3G" sind obligatorisch!)

Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Schüler:innen durch das Maskentragen "gequält" werden, wie man oft hört. Sie verhielten sich ganz normal, lachten, balgten sich, riefen sich etwas zu usw. Wenn die Maske lästig wurde, wussten sie sich selbst zu helfen, auch wenn das nicht ganz regelkonform war!

Schulpersonal, das ich befragte, meinte, das Maskentragen sei ja nicht angenehm, aber in Pandemiezeiten angebracht und man würde die vorgegebenen Regeln beachten. Man schaffe auch – hauptsächlich bei den Jüngeren – maskenfreie Pausen mit spielerisch-sportlichen Betätigungen im Freien.

"Horrorgeschichten", die über das Maskentragen umliefen, könnten sie nicht bestätigen. Auch Eltern würden sich nur begrenzt gegen die Maskenpflicht aussprechen, vorwiegend dann, wenn Kinder Vorerkrankungen hätten (z.B. Asthma). Da würden Ausnahmen gemacht, die auch den Mitschülern begründet werden.

Das ist natürlich ein subjektiver und begrenzter Eindruck. Er schließt meine Forderung nach einer validen Erhebung und Untersuchung nicht aus, im Gegenteil, ich hätte gerne sichere und breit gestreute Befunde.

Nachbemerkung: Gegner der Maskenpflicht verweisen gerne auf Länder wie Schweden, die weitgehend ohne Maskenpflicht ausgekommen sind.

Das Beispiel Schweden ist nicht unproblematisch und bedürfte einer eigenen Analyse. Hier sei nur so viel gesagt, dass Schweden eine vorwiegend politische Entscheidung für offene Schulen zugunsten des gewohnten Lebens von Kindern und gesellschaftlicher Vorteile getroffen hat und dabei ungeklärte Risiken in Kauf nimmt. (Hierzu die in virologischer und epidemiologischer Hinsicht kurzschlüssige und unzureichende, gewissermaßen amtliche schwedische Studie "Covid-19 in schoolchildren" [2020], die übrigens auf das Maskentragen nicht eingeht.)

Es gibt gute Gründe, – gesundheitsorientierte, rechtliche, ethische – sich politisch, auch schulpolitisch, anders zu entscheiden als in Schweden, einem Land, in dem andere Voraussetzungen vorliegen als in Deutschland oder anderswo.

Es gibt zu denken, dass in Großbritannien, wo die Schutzmaßnahmen in Schulen (einschließlich des Maskentragens) weitgehend aufgehoben wurden, die Infektionen von Schülern mit Schulbeginn im September signifikant angestiegen sind und die Wiedereinführung der Maskenpflicht erwogen wird.