"Das gegenseitige Loben wäre auch was für CDU und CSU"

Für den Geschmack von Wolfgang Bosbach (CDU) könnte seine Partei ruhig lebhafter und kontroverser diskutieren. Archivbild: 9EkieraM1 / CC-BY-SA-3.0

Ein Gespräch mit dem langjährigen CDU-Politiker Wolfgang Bosbach – über die Krise seiner Partei, die AfD-Wahlerfolge im Osten, die CSU-Politik "gegen Ungeimpfte" sowie Atomkraft und Kohleausstieg

Der überzeugte Rheinländer und Rechtsanwalt Wolfgang Bosbach war fast zehn Jahre lang Vize-Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses. Der gelernte Einzelhandelskaufmann und Diplom-Betriebswirt erlangte auf dem Zweiten Bildungsweg das Abitur und studierte dann Jura. Politisch wird er dem wertkonservativen "Berliner Kreis" zugeordnet, unterstützte aber auch den heutigen CDU-Chef Armin Laschet freundschaftlich in dessen NRW-Wahlkämpfen. Bosbach, der selbst schwer chronisch krank ist, unterstützt Hospiz-Organisationen, ist Mitglied des ZDF-Fernsehrates und Kolumnist der Bild-Zeitung. Er ist zudem im Vorstand von "Gegen Vergessen - für Demokratie".

Gegen teils scharfe Kritik an einem Auftritt mit dem CDU-Rechtsaußenpolitiker und Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen in Thüringen - einem von insgesamt 56 Wahlkampfauftritten, die Bosbach bundesweit zugesagt hatte - verteidigte er sich: Er habe sich "nie vorstellen können, wie man als CDU-Mitglied in die Nazi-Ecke gerückt wird, weil man zu einer Wahlkampfveranstaltung in Thüringen geht", sagte Bosbach im August der FAZ. Doch wie beurteilt Wolfgang Bosbach die politische Gesamtsituation nach der Wahl? Ein Interview.

Der Welt-Kollege Robin Alexander twitterte unlängst, die Sondierungsergebnisse der "Ampel"-Parteien seien weniger sozialdemokratisch als die Politik der Großen Koalition bisher. Der Satiriker Martin Sonneborn mutmaßte zuvor, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz werde der beste CDU-Kanzler aller Zeiten. Ist das völlig falsch? Oder ist der durchsetzungsfähige FDP-Chef Christian Lindner jetzt schon der neue Schattenkanzler - dominiert die FDP die künftige Regierung?

Wolfgang Bosbach: Jedenfalls bin ich als Christdemokrat wirklich froh, dass Rot-Grün nicht unter sich verhandelt und die FDP dafür sorgt, dass Maß und Mitte gewahrt bleiben. Bislang jedenfalls. Ein endgültiges Urteil wird man erst nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen, genauer gesagt erst nach vier Jahren "Ampel" fällen können. Und das ist eine lange Zeit. Was aber schon heute gut funktioniert ist das gegenseitige Loben. Das machen die toll. Wäre auch was für CDU und CSU.

Mal ehrlich, Herr Bosbach: Rot-grüner Sozialismus droht doch jetzt aber nicht, oder? Höchstens ein Weiter so wie bisher - nur mit staatlich finanziertem Lastenfahrrad für alle?

Wolfgang Bosbach: Mooooment. Die haben ja noch kaum mit ernsthaften Verhandlungen begonnen! Also viel zu früh, um ein endgültiges Urteil abgeben zu können. Warten wir mal ab, was noch kommt.

Wäre aber nicht die soziale Gerechtigkeit wirklich ein Meta-Thema, das angegangen werden müsste? Hat nicht auch die CDU das sträflich vernachlässigt? Laut vieler seriöser Umfragen war und ist es das Sorgen-Top-Thema in der Bevölkerung, weit vor Klimaschutz. Selbst Christian Lindner, kein Marxist, kritisiert oft den ungerechten "Zufall der Geburt" für spätere Karrierechancen.

Wolfgang Bosbach: Die meisten großen sozialpolitischen Reformen wurden in einer unionsgeführten Regierung beschlossen und umgesetzt, die Hartz-Pakete I bis IV allerdings von "Rot- Grün". Soziale Gerechtigkeit schulden wir aber nicht nur den Empfängern von Sozialleistungen, sondern auch denen, die Tag für Tag dafür arbeiten, dass diese finanziert werden können. Aufstieg durch Bildung ist in der Tat von überragender Bedeutung, und es wäre toll, wenn wir eines Tages sagen könnten: "Die besten öffentlichen Einrichtungen sind unsere Schulen!"

"Es ist nicht klar, worin sich die CDU von der Konkurrenz unterscheidet"

Arme Rentner, Aufstocker, Niedriglöhner, Leiharbeiter, Osteuropäer und Erwerbsunfähige finanzieren oder finanzierten die Sozialleistungen aber auch mit - und die allermeisten Arbeitslosen würden es gerne auch. Aber nun wieder zur CDU: Deren früherer Fraktionschef im Bundestag, Friedrich Merz, hält seine Partei für "denkfaul" und einen "Sanierungsfall". Wie sehen Sie das? Nur elf Prozent der unter 29jährigen haben die CDU gewählt...

Wolfgang Bosbach: Na ja, Friedrich Merz würde sich selber bestimmt nicht als denkfaul charakterisieren und ich kenne viele in der Union, die das auch nicht sind. Richtig ist, dass wir im gesamten Wahlkampf kein Narrativ hatten, das die Ziele der Union überzeugend und glaubhaft getragen hätte und dass nicht mehr hinreichend klar ist, wodurch wir uns von der Konkurrenz klar unterscheiden. Das zu konkretisieren wäre wichtig.

Wie sollte denn die CDU der Zukunft Ihrer Meinung sein? Was muss jetzt dort geschehen? Fehlt nicht die Einigkeit der verschiedenen Flügel und Gruppen?

Wolfgang Bosbach: Volksparteien zeichnen sich traditionell dadurch aus, dass sie eine große Vielfalt an Meinungen und unterschiedlichen Interessen abbilden - und gleichzeitig immer auf der Suche nach einem möglichst gerechten Interessenausgleich sind. Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) und der Wirtschaftsflügel vertreten nun mal häufig unterschiedliche Positionen. "Alternativlos" war gestern. Heute und in Zukunft müssen wir wieder lebhafter und von mir aus auch kontroverser diskutieren. Aber wenn entschieden wurde, ist das Ergebnis bindend, und zwar für alle.

Hätten die Unionsparteien mit CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidat gewinnen können? Oder haben sie gerade deshalb verloren, weil Söder permanent mit kritischer Begleitmusik präsent war?

Wolfgang Bosbach: Das ist jetzt wirklich einmal eine originelle Frage. Die habe ich ja noch nie gehört! Möglicherweise ja, aber zu 100 Prozent sicher ist das auch nicht. Das die Zwischenrufe aus Bayern der Union nicht geholfen haben, würden vermutlich noch nicht einmal CSUler bestreiten. Was soll's: Wir gewinnen gemeinsam oder verlieren gemeinsam. Alles an Armin Laschet alleine festzumachen, ist mir viel zu schlicht. Für diese Klatsche gab es mehrere Gründe.

"Erstaunlich, was sich Berliner von ihrer Verwaltung bieten lassen"

Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hat nun gar eine Politik "gegen Ungeimpfte" angekündigt. Wird das aber Deutschland weiterbringen? In den höheren Altersgruppen sind bereits mindestens 80 Prozent der Bevölkerung geimpft.

Wolfgang Bosbach: Keine Ahnung, was damit ganz konkret gemeint sein soll. Ich persönlich bin eher für Werben als für Drohen.

Im Frühjahr kritisierten Sie ja in unserem Interview das Chaos in der Corona-Politik. Ist das wirklich besser geworden? Es gab ja nun wieder Chaos mit den Impfquoten beim RKI. Oder hat nur die Impfmöglichkeit im allgemeinen diese Politik vor dem Schlimmsten gerettet?

Wolfgang Bosbach: Vieles ist besser geworden, einiges noch immer problembehaftet. Tatsache ist, dass die Impfbereitschaft signifikant dazu beiträgt, langsam aber sicher wieder in den Normalbetrieb zu kommen.

In den Flutgebieten läuft es auch noch nicht sehr gut. Viele Betroffene berichten von einem bürokratischen Chaos und fühlen sich im Stich gelassen. Braucht die Bürokratie in Deutschland vielleicht eine Revolution der Bürgerfreundlichkeit? In Berlin sind sogar die Bürgerämter teils nicht mehr arbeitsfähig. Das ist doch auch eine große Gefahr für die Akzeptanz der Demokratie?

Wolfgang Bosbach: Für mich ist es jeden Tag aufs Neue erstaunlich, was sich die Berlinerinnen und Berliner von ihrer Verwaltung alles bieten lassen. Das lässt sich das nur mit einer Mischung aus Fatalismus und Resignation erklären. Bei den Fluthilfen ist es so, wie es in ähnlichen Fällen immer ist: Versprochen wird eine schnelle und unbürokratische Hilfe - gleichzeitig soll jeder Antrag genauestens geprüft werden, damit die öffentlichen Mittel nur zweckentsprechend eingesetzt werden.

"Alle AfD-Wähler als Rechtsradikale bezeichnen, das wäre zu einfach"

Wie betrachten Sie die großen Wahlerfolge der AfD in Thüringen und Sachsen? Mal optimistisch unterstellt, das sind nicht alles Nazis, ist das ein Reaktion auf die Annahme, dass manche Eliten sich in einer lebensfremden Blase bewegen? Auch soziale Floskeln von Linken und Linksliberalen sind ja oft nur Fassade. Sie selbst kritisierten oft diese Entfremdung von Bürgern und die "von oben herab"-Politik.

Wolfgang Bosbach: Besonders sensationell sind diese Ergebnisse nicht. Leider! Wenn wir alle AfD-Wählerinnen und -Wähler pauschal als Rechtsradikale bezeichnen, wäre das aber zu einfach. Vermutlich sind tatsächlich viele dabei, die wir nicht für die politische Mitte zurückgewinnen können. Aber die Mühe, sich um den für die Mitte ansprechbaren Teil zu kümmern, die sollten wir uns schon machen.

Es besteht auch die große Befürchtung, dass der klimagerechte Umbau der Gesellschaft auf Kosten der Bürger geht, vor allem der einkommensschwachen. Inflation, Benzin, Strom, Gas, die Preise steigen. Das macht doch vielen Angst, oder? Im Gegensatz zu manch anderen Politikern reden Sie ja viel mit den Bürgern...

Wolfgang Bosbach: Wir erleben ja aktuell Tag für Tag, dass die Energiepreise zu einer immer größeren Belastung weiter Kreise der Bevölkerung werden. Allerdings zum Teil sehr unterschiedlich. Die Benzinpreise sind für Pendler in ländlichen Räumen eine viel größere Belastung als für Bewohner von Berlin, wo es einen gut ausgebauten ÖPNV gibt. Und wenn Frau Barley meint, mit Energiesparen ließen sich diese Steigerungen locker kompensieren, dann geht das an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen komplett vorbei.

War die Abkehr von der Atomenergie und der Kohle vielleicht zu schnell und populistisch von der Merkel-Regierung?

Wolfgang Bosbach: Populistisch? Es hieß doch bislang, dass das eine Großtat der politischen Vernunft war. Fakt ist: Damals gab es für die fortdauernde Nutzung der Kernenergie weder eine parlamentarische noch eine gesellschaftliche Mehrheit. Und heute auch nicht. Heute allerdings heißt das Megathema CO2-Reduktion. Vielleicht wäre es ja doch klüger gewesen, erst aus der Kohleverstromung und erst danach aus der Kernenergie auszusteigen.

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