Blasen, Trolle, schlechtes Wetter - zum Bildprogramm der vernetzten Welt

Wenn wir versuchen, uns einen Reim auf die Welt zu machen, greifen wir zur Metapher. Sie verrät uns etwas über die Dinge - und über uns selbst. Ein kurzer Blick in die Galerie unserer Erkenntnismittel.

Die klingenden Erzählungen von Emanzipation und Teilhabe, die sich um das frühere Internet rankten, sind blass geworden. Auch die Zeiten, in denen Bildung und Aufklärung als Hoffnungs- und Erwartungsbegriffe den Vormarsch weltweiter Vernetzungstechnik an vorderster Front begleiteten, scheinen damit - vorerst jedenfalls - vorüber zu sein. Stattdessen gewinnen Bedrohungskontexte in der öffentlichen Diskussion an Gewicht.

Praktiken wie Manipulation, Desinformation, Überwachung, Sabotage, psychische Gewalt und Erpressung bilden neue thematische Schwerpunkte. Offensichtlich bewährt und etabliert sich diese globale Infrastruktur sehr erfolgreich auch als destruktives Instrument.

Ganze Behörden sind in diesem Zusammenhang installiert worden, um den informationstechnischen Gefahren etwas entgegenzusetzten. Für besonders eindrucksvolle Meldungen taugt hierbei stets die Arbeit des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), in dessen Lagebericht zur IT-Sicherheit in Deutschland 2020 von durchschnittlich 322.000 neuen Schadprogrammvarianten pro Tag die Rede ist.

Außerdem würden täglich bis zu 20.000 "Infektionen" deutscher Systeme durch Schadsoftware registriert, die "Angreifern" den Fernzugriff auf befallene Infrastrukturen von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft ermöglichten. Es sind nicht zuletzt solche Berichte wie die des BSI, an denen deutlich wird, dass die mit Schaltelementen und Leitungen durchzogene Welt ein diffuses Gefechtsfeld neuer Art hat entstehen lassen, auf dem Guerillakriege zwischen Kombattanten toben, die sich niemals zu Gesicht bekommen.

Ein finsteres Gelände

Es mag zu den größten Dämpfern der Vernetzungseuphorie gehören, dass der enorme technische Fortschritt, der sich hier zweifellos ereignet hat und fortwährend ereignet, kein moralisches Korrelat findet. Einmal mehr zeigt sich, dass die technischen Mittel keinen Weg in eine humanere Welt ebnen, wenn die Praxis ihrer Entwicklung und Nutzung nicht in etwas eingebettet ist, das man im klassischen Sinne als "Bildung" bezeichnet.

Die überholte Vorstellung vom Internet als einer Art Aufklärungsmaschine übersah, dass die Charaktere, die hier zu "surfen" beginnen, Wege zur Mündigkeit schon gegangen sein müssen und dass der Ritt auf den Stromschnellen allein keinen Bildungsprozess voranzubringen vermag.

Das "Surfen"- freizeitbetont und schönwetteraffin - gehört überhaupt zu den heitersten Visualisierungen, die der allgemeine Sprachgebrauch für diese technische Sphäre gefunden hat. Allerdings hat das Wellenreiten seine Hochphase längst hinter sich; es verschwand mit den Internet-Cafés, die in den 2000er-Jahren pilzartig noch jede Kleinstadt bevölkerten.

Ansonsten stehen die dominanten vernetzungstechnischen Bildprogramme einer Idee von Enlightenment und auch jeglichem Frohsinn geradezu entgegen: "Clouds", "Shit Storms", "Fog-Computing", "Firewalls", "Darknet" sind nur einige populäre Beispiele für eine ausgesprochen unbehagliche Metaphorik - von "Trollen", "Viren", "Crawlern", "Junk" und "Hacks" nicht zu sprechen. Warum diese Düsternis? Besteht hier eine beklagenswerte Leerstelle oder wären positivere Bilder dem Netz nicht angemessen?

Dem Einwand, es handele sich bloß um Metaphern, muss allerdings entgegnet werden, dass diese Sprachbilder weder zufällig noch völlig beliebig gewählt sind. Zwar sind sie keine Tatsachenbeschreibungen, doch erfüllen Metaphern ihre erkenntnisstiftende und orientierende Funktion nur unter angemessenem Einbezug der realen, begreifbarzumachenden Sachlage.

Eine technische Installation beispielsweise, die üblicherweise mit dem bildhaften Ausdruck "Firewall" bezeichnet wird, stattdessen als "Blumenwiese" anzusprechen, wäre ganz unpassend und im Sprachgebrauch nicht durchsetzbar. Metaphern sind also beides zugleich: sachgebundene Übertragungen und sprachliche Interventionen, die nicht bloß rhetorisch von Belang sind, sondern auch epistemische Relevanz erlangen, etwa indem sie Vorstellungen leiten und Perspektiven abstecken.

Enklaven im Mainstream

Neben meteorologischem, militärischem und infektionsmedizinischem Vokabular sind es vor allem maritime Bildelemente, die in Anschlag gebracht werden, um technische Prozesse und auch soziale Phänomene im Kontext des Internets verständlich zu machen. In technischer Hinsicht ist es vornehmlich, meist im Plural, der "Strom", der als Deutungs- und Verständnishilfe fungiert, indem er die elektronische Datenübermittlung als weltweites Fließgeschehen veranschaulicht.

Mit stärkerem Bezug auf die soziale Dimension ist die "Blase" beziehungsweise "bubble" in Mode gekommen. Bildlogisch stellt sie insofern einen Widerpart zum Strom dar, als sie dessen permanenter Bewegung ein statisches Moment entgegensetzt. Blasen schirmen - ähnlich dem Kokon oder der Kapsel, wenngleich auch um ein Vielfaches fragiler - ihre innere Sphäre gegen eine Umgebung ab.

Damit können sie als Ruhepol gelten, der lokale Stillstellung und Konstanz gegen ein in permanentem Wandel begriffenes Außen bietet. Diese Eigenschaften sind es in etwa, die ihrem metaphorischen Einsatz im Bereich der elektronischen Nachrichten- und Kommunikationsmedien derzeit Sinn geben.

Dort gelten "Blasen" für Prozesse der Meinungsbildung gemeinhin als Komfortzonen, als eine Art safe space, in dem liebgewonnene Auffassungen und Weltbilder weitgehend vor Irritationen geschützt sind und nicht gegen divergierende und konkurrierende Sichtweisen verteidigt werden müssen.

Es sind Orte der Reproduktion und Selbstbestätigung, "Echokammern" für exklusive Überzeugungsgemeinschaften, die sich gegen die zahllosen Zumutungen des zutiefst unruhigen Hauptstromes und seiner nicht minder bewegten Nebenarme immunisieren. Aufgrund mangelnder Zu- und Abflüsse können in den Binnenräumen zudem erhöhte Risiken für die Bildung "toxischer" Inhalte bestehen.

Gesteigerte Dynamik erhalten solche Fragmentierungsprozesse durch die mitunter zynischen Verweise auf "alternative Fakten", mit denen die Destruktion der Wahrheitsnorm betreiben wird, um Partikularinteressen zu vertreten. Apologeten des "postfaktischen" Zeitalters meinen, sich von niemandem mehr über irgendetwas belehren lassen zu müssen, weil sie verbindliche Wissensansprüche grundsätzlich als diskreditiert ansehen und alles eben auch ganz anders sein könnte.