Corona-Pandemie: Warum pauschale Reiseverbote Omikron nicht aufhalten werden

Die nächste Corona-Variante, die nächsten Einreisebeschränkungen: Doch wie sich nun zeigt, helfen die nur bedingt.

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Ein leerer Flughafen – hier in Berlin.

(Bild: reisetopia / Unsplash)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Charlotte Jee
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Viele Länder machen ihre Grenzen dicht – zu wiederholten Mal. Seit der Identifizierung der Omikron-Variante im südlichen Afrika und der Bekanntgabe an die Weltgesundheitsorganisation haben mehr als 50 Länder Einreisekontrollen verhängt, die sich vor allem gegen Südafrika und Botswana richten, die die ersten Fälle gemeldet hatten – aber auch gegen die Nachbarländer in der Region.

Ziel sollte sein, die Ausbreitung von Omikron zu verhindern. Doch wie sich zeigt, kommen diese Verbote zu spät. Die Variante wurde inzwischen in mehr als 24 Ländern nachgewiesen, darunter die USA, Israel, Australien, Saudi-Arabien, Hongkong und vielen Ländern Europas, darunter Deutschland. Dabei entscheidend ist, dass einige dieser Fälle vor der Alarmmeldung aus Südafrika auftraten – Omikron wurde beispielsweise bereits eine Woche zuvor in den Niederlanden entdeckt. Oliver Pybus, Co-Direktor des Oxford Martin School Program for Pandemic Genomics, erklärte gegenüber der britischen Zeitung Guardian, dass es Hinweise dafür gibt, dass die Variante bereits seit Ende Oktober im Umlauf ist.

"Pauschale Reiseverbote werden die internationale Ausbreitung nicht verhindern – und sie stellen eine schwere Belastung für das Leben und den Lebensunterhalt der Menschen dar. Außerdem können sie sich während einer Pandemie negativ auf die globalen Bekämpfungsbemühungen auswirken, da sie die Länder davon abhalten, epidemiologische Daten und Sequenzierungen zu übermitteln und untereinander auszutauschen", erklärte die Weltgesundheitsorganisation am 1. Dezember in einem Statement.

Kurzfristige Verbote können zwar helfen, Zeit zu gewinnen, wenn sie sehr früh verhängt werden – so dass Länder mit eingeschränkten Ressourcen die Möglichkeit haben, Maßnahmen für die öffentliche Gesundheit zu ergreifen. Doch wenn ein Virus in mehreren Ländern frei zirkuliert, sind sie in der Regel schon zu spät, um noch etwas zu bewirken. Letztes Jahr musste die US-Seuchenschutzbehörde CDC einräumen, dass die von der Trump-Regierung in der Frühphase der Pandemie verhängten Reiseverbote viel zu spät kamen, um noch wirksam zu sein – denn zu diesem Zeitpunkt war das Virus in den USA bereits weit verbreitet.

Eine Modellstudie, die im Januar 2021 im Journal The Lancet veröffentlicht worden war, untersuchte die Auswirkungen internationaler Reiseverbote auf die Pandemie und kam zu dem Ergebnis, dass sie zwar in der Anfangsphase dazu beitrugen, die Ausbreitung von SARS-CoV-2 zu verringern, aber schon bald kaum noch Wirkung zeigten. Der Grund: Der Anteil der internationalen Reisenden an den neuen Fällen in einem Land war gering.

Tatsächlich lösen Reiseverbote das Problem nicht – sie verschieben es nur, sagt Raghib Ali, Epidemiologe an der Universität von Cambridge in Großbritannien. Bessere Tests seien eine weitaus wirksamere Maßnahme. "Wir brauchen ausgewogene und verhältnismäßige Reaktionen. Das bedeutet: Keine Reiseverbote, sondern Tests – und Quarantäne für Menschen, die aus Ländern kommen, in denen Omikron zirkuliert", sagt er.

Die Reiseverbote könnten eine weitere negative Konsequenz haben: Südafrika wird von der Versorgung mit für die Wissenschaft notwendigen Materialien abgeschnitten, die es für die Genomüberwachung benötigt, um die Auswirkungen von Omikron in der Praxis zu untersuchen. Tulio de Oliveira, Bioinformatiker an der Universität von KwaZulu-Natal in Durban, Südafrika, erklärte gegenüber Nature: "Wenn sich nichts ändert, gehen uns nächste Woche die Reagenzien aus".

Die noch größere Befürchtung ist, dass andere Weltregionen aus der aktuellen Behandlung der Länder des südlichen Afrika die Lehre ziehen werden, dass es am besten ist, eine neue Variante zunächst für sich zu behalten, wenn man sie entdeckt – um Konsequenzen zu entgehen.

"Sie sehen, dass andere für die Entdeckung einer neuen Variante bestraft werden, und das könnte sie davon abhalten, die Daten zu teilen, die wir brauchen. Das ist keine theoretische Möglichkeit, sondern eine sehr reale", sagt Epidemiologe Ali.

Und Omikron wird sicher nicht die letzte Variante sein, die Anlass zur Sorge gibt. Wenn die nächste größere SARS-CoV-2-Inkarnation auftritt, müssen die Länder ihr Wissen so schnell wie möglich weitergeben. Und pauschale Reiseverbote bringen diese Offenheit in Gefahr.

"Die Verhängung von Reiseverboten, die auf Afrika abzielen, stellt für uns einen Angriff auf die weltweite Solidarität dar", sagte Matshidiso Moeti, WHO-Regionaldirektor für Afrika, letzte Woche in einer Erklärung.

(bsc)