Gehirnzellen im Bioreaktor spielen Pong

Das australische Start-up Cortical Labs hat ein lernfähiges neuronales Netz aus Hirnzellen fabriziert.

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Gehirnzellen spielen Pong

So sieht es aus, wenn Gehirnzellen im Bioreaktor Pong spielen.

(Bild: Cortical Labs)

Lesezeit: 3 Min.

Noch sind die Ergebnisse nicht von unabhängigen Wissenschaftlern verifiziert, aber was das australische Start-up Cortical Labs im Dezember in einem Preprint beschreibt, könnte sich als echter technischer Durchbruch erweisen. Denn die Australier haben einige hunderttausend Neuronen, die sie in einem Bioreaktor am Leben erhalten, mit Elektroden verbunden und die Zellschicht erfolgreich darauf trainiert, das Videospiel "Pong" zu spielen.

Für Hon Weng Chong, CEO und einer der beiden Gründer von Cortical Labs aus Melbourne, sind Siliziumchips bestenfalls eine "Übergangstechnologie". "Das menschliche Gehirn ist der einzige wirklich intelligente Computer, den wir kennen", sagt er. Die Welt, in der wir leben, sei extrem variabel, und normalerweise hätten wir nur wenige unsichere Informationen über diese Umwelt. Trotzdem seien biologische Wesen sehr gut darin, mit dieser Unsicherheit umzugehen. "Warum sollten wir das nicht nutzen?", fragt Chong.

Um diese Kapazität biologischer Neuronen anzuzapfen, haben die Australier einen Bioreaktor entwickelt, in dem Neuronen – ursprünglich aus Maus-Embryos, mittlerweile aber auch Neuronen aus pluripotenten, menschlichen Stammzellen – auf einem Raster aus Elektroden wachsen. Dabei werden sie ständig mit frischer Nährflüssigkeit versorgt.

Um die Vernetzung der Zelle so zu steuern, dass sie konkrete Aufgaben lösen können, nutzen die Australier eine Idee des Neuroforschers Karl Friston: das Prinzip der Freien Energie. Die Grundidee dabei ist, dass neuronale Systeme sich so organisieren, dass sie die Vorhersagbarkeit eines Stimulus maximieren. Jedes Lebewesen versucht, so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen. Das gilt auch für die Verarbeitung von Sinnesreizen. Jedes Gehirn versucht daher, bevor der Sinnesreiz schon ankommt, vorherzusagen, was als Nächstes kommt. Weicht die Wahrnehmung von der Vorhersage ab, entsteht ein Reiz, die Verknüpfungen des Gehirns umzuorganisieren. Dieses Konzept stammt ursprünglich aus der theoretischen Thermodynamik. Friston hatte es Anfang der 2000er-Jahre erstmals auf lebende Systeme übertragen, die Informationen verarbeiten.

Mitte 2020 konnten die Zellschichten bei Cortical Labs grade mal das Paddle bewegen. Mittlerweile sind die Forschenden aber wesentlich weiter: Sie entwickelten ein Feedback-Protokoll, das der Zellschicht, die Pong gegen eine reflektierende Wand spielte, jedes Mal ein zufälliges Feedback-Signal gab, wenn sie den Ball ins Aus geschossen hatte (unten visualisiert).

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Nach rund fünf Minuten Spielzeit zeigten die Zellen wesentlich weniger Ausfälle und hielten den Ball signifikant länger als die Vergleichs-Experimente. Bemerkenswert ist auch, dass die Kulturen mit menschlichen Neuronen eine bessere Performance zeigen, als die von Mäusen. Die Forschenden vermuten, dies liege an der besseren Vernetzungsfähigkeit menschlicher Neuronen. Allerdings zeigten Experimente an aufeinanderfolgenden Tagen, dass die Zellschichten ihre antrainierten Fähigkeiten offenbar jedes Mal wieder vergaßen und neu trainiert werden mussten.

Man müsse jedoch berücksichtigen, dass kortikale Zellen "nicht auf ein Langzeitgedächtnis spezialisiert sind", schreiben die Forschenden. Insofern sei diese Beschränkung zu erwarten gewesen. Bemerkenswert sei jedoch, dass die "selbst im Vergleich zu kleinen Organismen unglaublich einfache 2D-Struktur" extrem schnell lernen konnte. Die Entwicklung einer "synthetischen biologischen Intelligenz" (SBI), liege nun "in greifbarer Nähe menschlicher Innovation".

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(wst)