Öko und Techno

Warum auch hochverdichtete Städte Natur und Grün brauchen

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hielt man es für unverzichtbar: Wachsende Großstadtregionen brauchen nicht nur Verkehrsstraßen und Wohnquartiere, sondern auch viel Grünflächen. Stadtgärten und Volksparks sollten auch den Bewohner der Mietskaserne frische Luft und die Anmut kultivierter Naturräume zugänglich machen. Zudem war es ein Ort der Begegnung und des offenen sozialen Austauschs. Doch solche Ansätze sind unter heutigen Bedingungen allenfalls noch ein Desiderat.

Zwar ist kaum ein Thema so eindeutig freudig besetzt wie der Garten – Inbegriff des Schönen und des Angenehmen, Sinnbild der höchsten aller Wonnen: des Paradieses. Aber die allgemein-menschliche Sehnsucht nach Arkadien stößt im urbanen Kontext schnell an Grenzen. Gibt es doch in einer wachsenden, dichten Stadt immer weniger Platz für klassische neue Parks. Und auch bestehende Freiräume stehen, angesichts der aktuellen Wohnungsbedarfe, unter enormer Flächen- und Nutzungskonkurrenz.

Hinzu kommt, dass in vielen Städten Parks inzwischen so stark für Freizeitaktivitäten genutzt werden, dass sie von den Stadtgärtnern zusehends in Rasenflächen mit pflegeleichten Bäumen verwandelt werden. Dass dahinter ein fragwürdiges modisches Konzept stehen könnte, legt so manche neuentstandene Grünanlage in Boom-Quartieren nahe, die eher mit landschaftsgestalterischen Formalismen langweilen, als mit botanischem Reichtum zu überraschen.

Folgt daraus, dass das urbane Grün seinen Zenit überschritten hat? Mitnichten. Da die beschleunigt voranschreitende Verstädterung unserer Welt tiefgreifende Überformungen mit sich bringt, die bisher weder in ihren Auswirkungen voll erfasst werden können, noch als endlicher Prozess absehbar sind, braucht es Visionen. Gesellschaftlich getragene Visionen. Und dabei spielt das Attribut "Grün" eine ganz entscheidende Rolle. Der kanadische Paläontologe und Wissenschaftskommunikator Scott Sampson hat dazu unlängst angemerkt:

Im urbanen Raum können Mutter Natur und Big Data hervorragende Bettgefährten abgeben. Tatsächlich hängt vielleicht nicht nur unser Überleben, sondern ein Großteil der Biodiversität unseres Planeten davon ab, dass diese Ehe vollzogen wird. Sollte sie gelingen, werden wir die Geburt einer neuen Stadt erleben – einer Stadt, in der die Menschheit ebenso blüht und gedeiht wie die Natur.

Es mag sein, dass die Dialektik von Stadt und Landschaft neu gedacht werden muss, doch dabei darf man das urbane Grün getrost als "gesetzt" betrachten. Denn im urbanen Raum geht es um Lebensqualität und zugleich um die Abfederung von Klimafolgen.

Doch ebenso komplex wie die Wirkungsketten, die zum Klimawandel und zu ökologischen Schäden führen, sind die Ursachen dafür. In den letzten Jahren sind auch Wohnungs- und Städtebau in die Kritik geraten, nicht nur aus der Richtung eines traditionell großstadtfeindlichen, naturbewahrenden Denkens, sondern auch aus der Perspektive moderner Umweltwissenschaften.

Die Stadt(-region) – als Inbegriff von Zersiedlung und Flächenverbrauch, Müllhalden, Grundwasserprobleme und Luftverschmutzung –, wird als bedrohlich empfunden. Zugleich aber trügt die Hoffnung auf eine rein technische Lösung der ökologischen Probleme, die durch die Stadtentwicklung verursacht werden.

Hier sind eher weitreichende Veränderungen der urbanen Lebensweise erforderlich. Und über diese Umstellungen muss nach einem Bild vom richtigen, humanen Leben entschieden werden. Denn die Natur sagt allenfalls, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, sie erspart aber niemandem die ethischen und politischen Entscheidungen darüber, wie es weitergehen soll.

Kultivierte Natur macht Arbeit

Eine Umwelt, in der der Mensch überleben kann, ist stets kultivierte Natur. Als solche wirkt sie auf den Menschen zurück. Das gilt auch in der und für die Stadt. Kultivierte Natur bedarf der fortdauernden menschlichen Arbeit, um ihren Zustand als menschenfreundliche Natur zu bewahren. Der städtische Park benötigt den Gärtner. Das scheint eine banale Wahrheit zu sein, aber sie hat weitgreifende Konsequenzen.

Wer entscheidet, tut dies niemals allein über eine lebenswerte Umwelt, sondern immer auch über den Menschen, der in dieser Umwelt leben kann und will – und den diese Umwelt zu ihrer Kultivierung voraussetzt. Bislang ist ja eine Besonderheit der Spezies Mensch, dass sie auch dann nicht aufhört, der Umwelt Ressourcen zu entziehen, wenn die eigenen Grundbedürfnisse befriedigt sind.

Müsste man sich auf letzte Triebkräfte der Geschichte festlegen, wäre zumindest für das zwanzigste Jahrhundert die mutmaßliche Antwort: Bevölkerungswachstum plus consumerism. Und das ist natürlich unmittelbar raumwirksam.

Die Geschichte der Stadt beginnt als Schritt der Emanzipation des Menschen aus der Naturabhängigkeit. Um Städte bilden zu können, musste die Kultivierung der Natur so weit fortgeschritten sein, dass die Landwirtschaft mehr Menschen ernähren konnte als in ihr arbeiteten.

Die Stadt ist die Siedlungsform derer, die aus unmittelbarer agrarischer Produktion freigestellt sind. Entsprechend hat sich die Stadt bis ins 19. Jahrhundert gegen das Land definiert. Sie war der Natur abgerungenes Gebiet.

Die Stadt war der Ort, an dem die Mittel der Naturbeherrschung, Wissenschaft und Technik entwickelt wurden. Und zugleich war sie der Ort, an dem die neugewonnene Unabhängigkeit von Natur gelebt werden konnte. In der Stadt kann man die Nacht zum Tag machen.

Freilich hat sich die dichotome Gegenüberstellung von Stadt und Land überholt. Sie führt heute nicht weiter. Trotzdem, oder gerade deswegen, ist es eine nicht ganz einfache Sache, Stadt und Landschaft zusammen zu denken und dann noch alltags- wie umsetzungstaugliche Empfehlungen zu ersinnen. Momentan schießen politische Konzeptpapiere und Forderungskataloge für mehr Grün in der Stadt wie Krokusse im Frühling aus den Wiesen.

Die Notwendigkeit zu einem "Mehr" an Grün sei erkannt, zum Nutzen aller Bevölkerungsgruppen sei es sowieso, dem Klima nütze es sowohl lokal als auch global. Es geht darum, Flächenreserven baulich sinnvoll zu nutzen und eine maßvolle Nachverdichtung zu realisieren, gleichzeitig aber auch die Freiraumversorgung und -nutzbarkeit zu erhalten und städtische Grünflächen zu entwickeln, miteinander zu vernetzen und qualitativ zu.

All das scheint heute common sense geworden zu sein. Es ist zugleich aber wohlfeil, wenn nicht auch über dessen Machbarkeit Rechenschaft abgelegt wird. Was heute unabdingbar heißt, ein Preisschild an die Wohltaten zu heften. Und dabei spielen Aspekte eine Rolle, die auf den ersten Blick wenig "sexy" sind – die Frage von Pflege und Unterhalt etwa, oder die nach Resilienz.

Womöglich aber muss ein neuer Typ von Grünraum geschaffen werden, der sich weniger dem Begriff "Garten" verdankt. Orte gäbe es dafür viele – wobei insbesondere die Straßen zu nennen wären: Sie könnten, partiell von Autos befreit, zu bepflanzten Adern mutieren.

In urbanen Freiräumen müssen sich Flächen und Nutzung überlagern

Die Stadt würde dann nicht mehr aus Gebäuden und Verkehrsachsen bestehen, in denen Grünräume vereinzelte, voneinander abgeschnittene Inseln sind, sondern würde zusätzlich, wie durch eine zweite Haut, von einem dreidimensionalen Netz grüner Räume umspannt.

Damit dergleichen Früchte trägt, müssen Freiräume gewissermaßen multicodiert sein, sich in Fläche und Nutzung überlagern, gegenseitig bedingen und beeinflussen. Durch erhöhten Bedarf für weitere Bebauung müssen zudem bestehende Grünflächen mehr Funktionen übernehmen, was sich z.B. durch erhöhten Freizeitdruck auf bislang weniger genutzten Grünräumen ausdrücken kann.

Es ist bemerkenswert, dass in vielen zeitgenössischen Entwürfen einer Zukunftsstadt das "Wesen" des Grünes mit dem "Wesen" des Urbanen eng korreliert. Denn die Identität der Stadt basiert nicht nur auf Gestalt und Funktionsweise der bebauten, sondern auch der unbebauten, ‘vegetativen’ Flächen. In gleicher Weise, wie Flussauen, Parks oder stadtnahe Waldgebiete das Bild einer Stadt prägen, sind sie auch immer wieder verantwortlich für ein besonderes Lebensgefühl breiter Bevölkerungsschichten.

Jedoch braucht es auch wirtschaftliche Potenz und eine bestimmte Haltung der Entscheidungsträger in Stadtpolitik und Verwaltung zu grünen Freiräumen. Wer freien Zugang gewährt, zeitigt sicherlich andere Effekte einer urbanen "Draußenkultur" als derjenige, der anspruchsvolle Grünräume gegen Eintritt mit Jahreskartenrabatt zugänglich macht und die Stadtbevölkerung mit gehypten Inszenierungen anlockt.

Mit urbanem Grün verbindet man nun auch Denkfiguren wie Freiheit, Pluralität, Flexibilität und Integration. Weshalb es eigentlich naheliegt, solche Ansätze und Tendenzen für das Gemeinwesen "Stadt‘" fruchtbar zu machen. Etwa als Brücke zwischen einem Protest im Sinne von "so nicht!" und einem Planungsalltag im Sinne von "Weiter so". Für städtebauliche Verdichtungsszenarien gibt es keine Rezepte, aber einige Vermutungen und Erfahrungen:

Bauliche Dichte verlang gleichzeitig nach Entdichtung – nach einer Perforierung des Stadtganzen mit Parks, Höfen, Niemandsländern, Orten und Nicht-Orten, die dem Nichtstun dienen. Und es kann helfen, die Stadt als symbolischen Ort einer modernen Natur zu sehen – wie es etwa der neue Park am Berliner Gleisdreieck vorexerziert hat. Allerdings geht es dann weniger um Naturschutz in der Stadt, vielmehr um eine Freiraumplanung, die die öffentlichen (Grün)Räume für die Stadtbewohner nutzbar macht.

Wer eine Antwort sucht auf die Frage, wie das Grün für die Zukunft der Stadt bedeutet, der ist zudem gut beraten, sich der Vergangenheit zu vergewissern – und etwa bei Fürst Pückler nachzuschlagen. Denn was der renommierte Gestalter im Jahr 1834, in der Frühzeit urbaner Bauspekulation, über die Bedeutung des Grünraums sagte, das gilt in erweitertem Sinn auch heute:

Gestattet uns, auch das Schöne hier in Anschlag zu bringen; denn ich sehe nicht ein, weshalb man das Schöne vom Nützlichen ausschließen sollte. Was ist denn eigentlich nützlich? Bloß was uns ernährt, erwärmt, gegen die Witterung beschützt? Und weshalb denn heißen solche Dinge nützlich? Doch nur, weil sie das Wohlsein des Menschengeschlechts leidlich befördern? Das Schöne aber befördert es in noch höherem und größerem Maße; also ist das Schöne eigentlich unter den nützlichen Dingen das Nützlichste.

Zu Pücklers Zeiten hat man sich solcher Einsicht nicht verschlossen.