Corona-Proteste: Welche Gewalt nehmen wir wahr?

Szene aus einem der Videos, die Melzer erreichten. Bild: Screenshot

Viele Warnungen vor Übergriffen auf die Polizei. Aber wie ist Polizeigewalt gegen Demonstranten rechtlich und politisch zu bewerten? Eine Gegenüberstellung

Nach den Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen am vergangenen Wochenende ist erneut eine Debatte über Gewalt seitens der Demonstranten entbrannt. Anlass dafür waren mehrere Übergriffe aus den Reihen der Protestteilnehmer, etwa im niedersächsischen Salzgitter. Bundesinnenministerin Nancy Faeser machte zunehmenden "Hass" und "Gewalt" gegen Sicherheitskräfte aus.

Weitgehend unbeachtet in der politisch-medialen Debatte über Gewalt bei Corona-Demonstrationen bleiben indes die Übergriffe von Polizeikräften auf Demonstranten – obgleich diese staatliche Gewalt zur Radikalisierung beitragen dürfte und sich der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter zu Wort gemeldet hat.

Während Proteste gegen die Coronamaßnahmen in Teilen der Republik friedlich bleiben und nach Angaben von Sicherheitskräften bürgerlich geprägt sind, kommt es andernorts zu Gewaltausbrüchen. Bei nicht angemeldeten Aktionen in Salzgitter etwa versuchten Teilnehmer am vergangenen Wochenende, eine Polizeikette zu durchbrechen.

Bei der Versammlung seien etwa 50 Personen anwesend gewesen, unter ihnen auch Kinder, hieß es seitens der Polizei. Nach deren Angaben habe eine "aufgeheizte und aggressive" Stimmung geherrscht. Wegen wiederholter Verletzung der Maskenpflicht seien mehrere Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten eingeleitet worden. Ersten polizeilichen Erkenntnissen zufolge seien am Geschehen auch Angehörige der rechten Szene beteiligt gewesen.

Tatsächlich ist spätestens seit zwei großen Demonstrationen im vergangenen August in Berlin klar, dass Rechtsextreme überall dort, wo sie diese nicht selber anmelden, die Proteste zu unterwandern und zu dominieren versuchen. Ihnen kommt zugute, dass ein Teil der Organisatoren keine Abgrenzung nach rechts vornimmt.

Auch haben Polizeikräfte in den vergangenen Wochen und Monaten wiederholt antisemitische Äußerungen und Relativierung von Symbolen des Nazi-Regimes festgestellt. Dazu gehört neben dem in unterschiedlicher Weise verwendete Schriftzug "Impfen macht frei" die Verwendung von gelben Armbinden mit dem Davidstern.

Bundesinnenministerin Faeser verwies daher auf die Präsenz rechtsextremer Kräfte bei zahlreichen Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen. Diese Teilnehmer seien dort nicht wegen aufgrund der Beschränkungen, sondern wendeten sich "gegen unsere Demokratie", so die Sozialdemokratin. Komme es zur Gewalt, so Faeser weiter, müsse der Rechtsstaat "hart durchgreifen".

Die Innenministerin appellierte an die Teilnehmer der Demonstrationen: "Lassen Sie sich nicht von Extremisten vor den Karren spannen. Grenzen Sie sich ab von Hass und Gewalt."

Aktionsplan dem BMI gegen Rechtsextremismus

Vor diesem Hintergrund soll das Innenministerium bis Ostern einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorlegen. "Wir werden alles daransetzen, Radikalisierung zu stoppen, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen und Extremisten konsequent die Waffen zu entziehen", so Faeser, die dem Trend auch mit Bildungs- und Präventionsarbeit entgegenwirken will.

Weit weniger aktiv war zumindest die letzte Bundesregierung bei Hinweisen auf Polizeigewalt gegen Teilnehmer der Corona-Demonstrationen. Erst nach mehreren Monaten hatte sie am 14. Dezember auf eine Anfrage des UN-Sonderbeauftragten Nils Melzer vom 26. August 2021 reagiert.

In seiner Eigenschaft als Sonderberichterstatter zum Thema Folter hatte Melzer sich an die deutsche Regierung gewendet. In seiner Eingabe verwies er im vergangenen Sommer auf Informationen, die er im Zusammenhang mit mehreren Fällen übermäßiger Gewaltanwendung durch Polizisten "unter offensichtlicher Verletzung der Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit bei Kundgebungen gegen die staatlichen Coronamaßnahmen in Berlin am 1. August 2021 und in Dresden am 19. April 2021" erhalten habe.

In der Anfrage Melzers an die Bundesregierung heißt es: "Seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie und des am 22. März 2020 verhängten behördlichen Lockdowns gab es in Deutschland zahlreiche Proteste gegen die von den Behörden verhängten Maßnahmen und Vorschriften."

Seit Beginn der Pandemie sei die "Querdenken"-Bewegung Hauptorganisator dieser Proteste gewesen, die in Stuttgart begannen und sich dann auf andere Städte ausweiteten, darunter Dresden am 19. April 2021 und zuletzt Berlin am 1. August 2021.

In beiden Städten seien die Demonstrationen von den Behörden verboten worden. Diese Verbote seien von der Justiz auf Grundlage der Covid-19-Pandemiegesetze bestätigt worden.

In Berlin hatten sich dennoch insgesamt tausende Demonstranten an verschiedenen Orten der Stadt versammelt haben. Von den meisten seien die Vorschriften über zum Abstand und dem Tragen von Gesichtsmasken missachtet worden.

Im Laufe des Tages wurden damals nach Polizeiangaben etwa 600 Demonstranten festgenommen und weitere 350 zur Feststellung der Personalien vorübergehend festgesetzt. Es wird davon ausgegangen, dass alle Demonstranten kurz nach ihrer Festnahme wieder freigelassen wurden, so Melzer: "Berichten zufolge wurden 2.000 Polizeibeamte in Schutzkleidung eingesetzt, um die Proteste aufzulösen, mindestens 60 Beamte wurden bei den anschließenden Ausschreitungen verletzt".