Russische Experten mahnen Verständigung mit Nato an

Zeit, einen kühlen Kopf zu behalten? Das meinen in Russland regierungsnahe Experten. Symbolbild: andreas160578 auf Pixabay (Public Domain)

Das politische Klima zwischen Russland und dem Westen ist katastrophal. Regierungsnahe Fachleute setzen ihren Einfluss mäßigend ein – bisher leider nur auf einer Seite

Egal, ob sich Russland mit Vertretern westlicher Staaten in Genf, Brüssel oder Wien trifft - der einzige Punkt, in dem sich beide Seiten am Ende einig sind, ist, dass das Treffen ein Fehlschlag war und die jeweils andere Seite daran schuld ist. Die Sichtweisen gehen dabei so weit auseinander, dass man meinen könnte, beide sprechen jeweils von einem völlig anderen Konflikt.

Der Westen sieht Russlands Vorschläge für eine Garantie, die Nato nicht mehr nach Osten an die russische Grenze zu erweitern oder Waffen des Bündnisses nicht direkt dort zu stationieren, als nicht akzeptabel an. Nato-Staaten pochen dabei auf das Selbstbestimmungsrecht der betreffenden russischen Nachbarstaaten, wobei es wohl mindestens ebenso um Nato-Interessen geht.

Nicht einmal darüber, wie man die Gespräche bezeichnet, herrscht Einigkeit, stellt der russische Politologe Igor Zevelev fest. In westlichen Ländern, vor allem den USA, sei von einem Dialog die Rede, in Russland von Verhandlungen. Russland wolle konkret etwas erreichen, der Westen spreche nur davon, einen Dialog zu führen, um "eine militärische Invasion Russlands in der Ukraine" zu verhindern. Eine Absicht, die Russland wiederum völlig bestreitet.

Für Hardliner ist ständig Krieg in Sicht

Die Fruchtlosigkeit der Treffen führt mittlerweile dazu, dass Hardliner auf beiden Seiten den Sinn der Gespräche sogar generell in Frage stellen und immer häufiger von einer "unmittelbar drohenden Kriegsgefahr" fabulieren. Als wären sie mit der aktuellen "Krieg in Sicht"-Krise ganz zufrieden, ohne die katastrophalen Folgen zu bedenken.

Der Spiegel schrieb auf Twitter nach den Treffen, bei der Nato schwände "die Hoffnung, Russlands Präsident Putin von einem möglichen Angriff auf die Ukraine abhalten zu können". Man stelle sich sogar "auf noch schlimmere Szenarien ein". Vom Sprachgebrauch scheint der Krieg nach Auffassung dieser Autoren wohl schon festzustehen.

Nicht besser verhalten sich russische Hardliner – oder auch manch deutschsprachiger Putin-Fan. Solche jubeln bei jedem harten Schritt aus dem Kreml, wie etwa den massiven Grenzmanövern nahe der Ukraine, dass nun endlich dem Westen "Paroli geboten" werde. Sie begreifen gar nicht, dass dies der russische Teil der Eskalation ist, die sie am Westen kritisieren.

Doch gerade in dieser Zeit hoher Spannungen sind ein Dialog oder Verhandlungen - man mag es nennen wie man will – bitter nötig. Diese Erkenntnis eint nicht nur viele im Westen, die dem im eigenen Land medial vorherrschenden Narrativ vom stets bösartigen Russland und der ebenso gutmeinenden Nato nicht einseitig folgen wollen.

Auch in Russland gibt es mahnende Worte wichtiger Fachleute angesichts der sich beiderseitig zuspitzenden Lage, die vor Kritik an der eigenen Seite nicht halt machen, die Wichtigkeit aktiver Schritte von Russland und dem Westen aufeinander zu betonen - und dabei beide Seiten ansprechen.

Der reine Austausch von Positionen bringt nichts

So spricht Andrej Kortunow, Generaldirektor des Russischen Rates für Auswärtige Beziehungen gegenüber der Zeitung lenta.ru davon, dass es nichts bringt, bei Gesprächen regelmäßig nur offizielle Positionen auszutauschen. Dabei wendet er sich auch an die eigenen Offiziellen. Wenn die russischen Vertreter stets betonen, dass die eigenen Vorstellungen kein Menü sind, aus dem der Westen etwas auswählen könne, blockierten sie die Möglichkeiten echter Verhandlungen.

Diese bestünden darin, von einfacheren Fragen, bei denen man sich schneller einig werden könne, schrittweise zu ernsthafteren überzugehen. Und alle sind sehr wichtig: Die Sicherheit in Europa, Rüstungskontrolle oder Restriktionen. Es sei kein gangbarer Verhandlungsweg, mit der Nato nicht mehr zu reden, nur weil sie sich nicht gleich verpflichte, auf eine Osterweiterung zu verzichten.

Kortunov glaubt auch, dass es trotz fehlender Einigung inoffizielle Gespräche gibt und schließt das aus der Dauer der jüngsten Verhandlungen ebenso wie aus der Tatsache, dass niemand am Ende quasi "die Tür zugeschlagen" und weitere Treffen für sinnlos erklärt habe.

Andrej Kortunow ist nicht irgendwer. Der Russische Rat für Auswärtige Beziehungen ist ein regierungsnaher ThinkTank, eine gemeinsame Gründung des Russischen Außen- und Bildungsministeriums. Vorsitzender ist niemand anderes als Außenminister Sergej Lawrow. Mit seinen Meinungen zum Thema steht Kortunow unter regierungsnahen Experten nicht alleine.

Panik hilft nicht weiter

Sein Kollege Iwan Timofejew, Programmdirektor des Waldaj-Clubs meint in der Tageszeitung Kommersant, nicht bei jedem antirussischen Sanktionsvorschlag, wie jetzt in den USA von Seiten der Republikaner, solle man in Russland in Panik geraten.

Solche Vorschläge brächten für die US-Regierung Verpflichtungen mit sich – und er weist darauf hin, dass seit 2019 von 368 US-Gesetzesentwürfen zu Russland-Sanktionen nur 29 am Ende verabschiedet wurden. Man möchte Timofejews Beruhigung "keine Panik" glatt bei der umgekehrten Richtung der Panik den Journalisten des Spiegel zurufen.

Der eingangs zitierte Igor Zevelev sieht auch noch Spielraum für Verhandlungen, bei denen konkrete Erfolge erzielt werden können. Etwa ein Abkommen über Mittel- und Kurzstreckenraketen als Beitrag zur Rüstungsbegrenzung könnte durchaus geschlossen werden. Oder ein weiterer Kontrakt über Truppenbegrenzungen oder Militärübungen beiderseits der gemeinsamen Grenzen.

Die Hauptforderung Moskaus - ein Stopp der Nato-Osterweiterung - werde de facto wohl umgesetzt, fügt Zevelevs Kollege Dimitri Trenin vom Carnegie-Zentrum Moskau hinzu. Das freilich nur deshalb, weil die USA und ihre Verbündeten nicht bereit seien, Verpflichtungen zum militärischen Schutz von "Klienten" wie der Ukraine oder Georgien zu übernehmen.

Deeskalierender Einfluss auch im Westen nötig

All diese Stimmen ertönen in Russland zugunsten einer mäßigenden Deeskalation, da die Fachleute die Aufgewühltheit der eigenen Politik wahrnehmen und darauf richtig reagieren. Sie versuchen beruhigend auf die eigene Seite einzuwirken, auf die sie wesentlich mehr Einfluss haben als auf die Gegenseite.

Dies ist ein Verhalten, dass man in Mitteleuropa bei den meisten Presse- und Fachleuten zum Thema schmerzlich vermisst. Zu Wort kommen in großen Medien häufig nur die, die die Situation besonders negativ sehen und die Schuld dabei immer ausschließlich beim Gegenüber suchen. Wie beim RBB, wo ein Ostexperte namens Timm Beichelt den Lesern erklärt, Russland gönne seinen Nachbarstaaten nicht einmal eine Existenzberechtigung. Solche Worte sind genau das Gegenteil dessen, was Zevelev, Kortunow oder Timofejew auf der Gegenseite tun.

Wäre es nicht vielmehr an der Zeit, dass die Fachleute auf beiden Seiten gegen den ständig schärferen Trend ihrer Regierungen und regierungsnahen Presse ihr Wissen mäßigend einsetzen?

Dieses existiert auch bei Timm Beichelt, der später im Gespräch richtig feststellt, dass ständige Sanktionen gegen Russland nur dazu führen, dass das Land näher an China heranrückt - was zu der vom Westen offiziell immer angestrebten "Demokratisierung" ebenfalls nicht beiträgt.

Man sollte hinzu fügen: Es schadet der Entspannung innerhalb Russlands sogar, indem es die Mentalität einer "belagerten Festung" bei den Mächtigen verstärkt. Aktionen gegen die Pressefreiheit oder Oppositionelle werden mit der aggressiven Einflussnahme des Westens auf das eigene Land begründet. Der Schritt zu einer stabileren und auch freieren Welt führt nicht über harten Druck, sondern über das Gegenteil davon.

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