Rezension: The Expanse hört auf, wenn es am schönsten ist

Die von Jeff Bezos persönlich gerettete Ausnahme-Sci-Fi-Serie The Expanse ist vorbei. Obwohl man noch Material für mindestens zwei Staffeln gehabt hätte.

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Die Rocinante fliegt in den Sonnenuntergang

(Bild: Amazon Prime Video)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel
Inhaltsverzeichnis

Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist, sagt ein Sprichwort. Das mag generell zutreffen, im Falle der Sci-Fi-Serie The Expanse führt das allerdings zu einem Ende, das eigentlich niemanden befriedigen kann, der die Serie aufmerksam verfolgt hat und den die nuancenreiche Hintergrundgeschichte wirklich interessiert. Was wegen der Sperrigkeit des Stoffes wohl alle Zuschauer waren, die bis Staffel 6 durchgehalten haben. Die Serie, die gerade mit der finalen Folge der sechsten Staffel auf Amazon Prime Video zu Ende gegangen ist, hinterlässt viele Fragen und eine tiefe Leere im Herzen der Zuschauer. Trotz der Rettung durch den reichsten Mann der Welt, Jeff Bezos, ist nun nach 62 Folgen nämlich Schluss

Die folgende Rezension enthält Spoiler für die sechs Staffeln der Fernsehserie The Expanse sowie alle neun Romane der Buchreihe, auf der sie basiert. Und damit auch für den Rest der Geschichte, der vielleicht, oder vielleicht auch nicht, irgendwann im Fernsehen oder im Kino fortgeführt wird.

The Expanse hat so etwas wie ein umgekehrtes Game-of-Thrones-Problem. Die Buchserie bietet noch allerhand Material – und vor allem ein sehr gut geschriebenes, fulminantes und befriedigendes Ende der Geschichte –, welches die Serien-Macher anscheinend nicht nutzen wollten. Angesichts der Tatsache, dass einer der beiden Expanse-Autoren jahrelang die rechte Hand von George R. R. Martin war und sich nach eigenen Aussagen geschworen hat, beim Fernsehdeal seiner Buchreihe nicht die gleichen Fehler zu machen wie der Fantasy-Mogul, dessen Epos seit Jahren ohne Abschluss bleibt, ist diese Entwicklung überaus Ironie-trächtig.

Die sechs Folgen der finalen Staffel der Serie sind gut. Sie sind nicht überragend und kommen vor allem nicht an die brillante erste Staffel heran, aber sie sind spannend und gut gedreht. Die Spezialeffekte gehören zum Besten, was das Fernsehen momentan zu bieten hat, aber Staffel 6 krankt auch schon wie die Vorgängerstaffel daran, dass die Szenen mit Keon Alexander (als Marco Inaros) und Jasai Chase-Owens (der seinen Sohn Filip spielt) einfach nervtötend sind. Man kann sich nicht entscheiden, ob Alexander und Chase-Owens schlechte Schauspieler sind, die zum Over-Acting neigen, oder ob sie gerade deswegen ihre Figuren sehr gut verkörpern. Denn diese Szenen sind in den Büchern genauso anstrengend. Immerhin sind Cara Gee (als Camina Drummer), Shoreh Aghdashloo (als Chrisjen Avasarala) und Wes Chatham (als Amos Burton) in gewohnter Höchstform unterwegs und liefern großartige Arbeit vor der Kamera ab.

Der wegen Anschuldigungen von sexuellem Missbrauch aus der Serie verbannte Cas Anvar – dessen Figur Alex Kamal eigentlich eine zentrale Rolle in der Serie spielt, nun aber aufgrund der mutmaßlichen Verfehlungen Anvars eines sehr abrupten Todes sterben musste – fehlt der Serie sichtlich. Alle Szenen an Bord der Rocinante entwickeln ohne Alex einfach nicht die familiäre Dimension, die sie dringend nötig haben. Der Rest der Besetzung und die Drehbuchschreiber versuchen sichtlich, dies nach bestem Wissen und Gewissen abzufedern, so ganz gelingt das aber nicht. Zuschauer, welche während der ersten fünf Staffeln aufmerksam mitgefiebert haben, können nicht umhin zu bemerken, dass hier ein wichtiger Teil der Rocinante-Crew den äußeren Umständen zum Opfer fiel und schmerzlich fehlt.

Vom überragenden Dylan Taylor (als Winston Duarte) sieht man leider viel zu wenig. Alleine, dass diese Figur in der Staffel vorkommt, ist für alle, die wissen, wie es in den Büchern weitergeht, wie ein Sandkorn im Auge, das sich störend immer dann meldet, wenn Duarte die Bühne betritt. Taylors herausragende Szenen sorgen bei eingeweihten Fans nur für Herzschmerz und niederschmetternde Fantasien darüber, was alles hätte sein können, wenn diese Serie weitergeführt worden wäre.

Natürlich ergibt es Sinn, die Serie nun an diesem Punkt zu beenden. Der Stoff der folgenden drei Romane, die man – hätte man sich an das bisher etablierte Erzähltempo der Fernsehserie gehalten – wohl in zwei Staffeln hätte abhandeln können, findet nach einem Zeitsprung von gut dreißig Jahren statt. Wenn man also diese Serie absetzt, dann jetzt. Man hätte sie schließlich mit der aktuellen Besetzung nicht glaubwürdig weiterdrehen können. Weder mit Make-up und auch nicht mit Computereffekten, das hat uns zuletzt DeNiros The Irishman bewiesen, kann man Schauspieler überzeugend genug altern lassen. Das ändert aber nichts daran, dass wir die uns so ans Herz gewachsenen Figuren, an Bord der Rocinante und anderswo, an einem Punkt verlassen, an dem noch so vieles in ihrer Entwicklung offen gelassen wird.

Denn auch aufmerksame Zuschauer der Serie, die die Romane nicht gelesen haben, werden wenigstens erahnen, dass die Autoren der Bücher bei ihrer Fernsehserie vermeiden, das eigentliche heiße Eisen der Geschichte anzupacken: Wer sind die Monster, die in den Ringen leben und Schiffe und deren Besatzung auf molekularer Ebene ins Nichts reißen? Und was haben Laconia und Winston Duarte damit zu tun?

Spoiler aus der Romanreihe: Bei The Expanse geht es grundsätzlich um zwei Mysterien. Das erste beschäftigt uns in den ersten paar Büchern und wird auch in der Fernsehserie abgehandelt. Wo kommt das Protomolekül her und was war seine Aufgabe? Wir lernen im Verlauf der Serie, dass eine uralte Spezies extraterrestrischer Lebewesen mithilfe dieser Bio-Technologie ein Galaxis-umspannendes Imperium aufgebaut hat. Und dann erfahren wir, dass diese unfassbar mächtigen Lebewesen von einer noch viel mächtigeren Kraft ausgelöscht wurden. Das sind die Wesen, die in den Ringen leben. Die roten Funken, die in der Fernsehserie auftauchen, wenn Schiffe im Nichts verschwinden. Die Götter, von denen Duarte in der letzten Folge spricht, wenn er sagt, er hat einen Krieg gegen Götter zu führen. In den Romanen erfahren wir, wer diese Wesen sind und wo sie herkommen. Und was die Menschheit opfern muss, um nicht gänzlich von ihnen vernichtet zu werden.

Das Enttäuschende am Ende dieser Serie ist, dass die Fernsehzuschauer all dies wahrscheinlich nie erfahren werden. Die Macher von The Expanse haben angedeutet, dass es eventuell, ganz vielleicht, in der Zukunft eine Miniserie oder sogar Filme geben wird, die die Geschichte zu Ende erzählen. Etwas Konkretes ist aber wohl nicht geplant, sonst wäre das wohl auch bereits angekündigt worden. Es darf spekuliert werden, ob der Plan ist, in zehn oder zwanzig Jahren mit neu entwickelten Computereffekten oder gealterten Schauspielern den Hype wieder aufleben zu lassen und die Serie auf irgendeine Art fortzusetzen.

Eine Frage, die bisher ebenfalls unbeantwortet blieb, ist, ob die Serie einfach nicht genug Zuschauer hatte, um die enormen Kosten der Spezialeffekte zu rechtfertigen. Angesichts der sperrigen Story und langsamen ersten Staffel, die vor allem Hardcore-Fans gefällt, aber nicht genug Action mitbringt, um Gelegenheitszuschauer zum Weitersehen zu animieren, ist das durchaus denkbar. Oder ob die Serie einfach abgesetzt wurde, weil die Macher den Zeitsprung und das damit verbundene Altern der Figuren nicht glaubwürdig im Medium der TV-Serie darstellen oder kreativ darum herumschreiben konnten. So oder so ist jetzt allerdings erst mal Schluss und eingefleischte Fans der Serie erleben so etwas wie ein Remake von dem Gefühl, das Firefly-Fans vor etwa zwanzig Jahren gespürt haben. Nach dem bombastischeren Ende von The Expanse hängt der Geruch von verschwendetem Potenzial im luftleeren Weltraum.

Allen, die erfahren wollen, wie es mit den Figuren und der Hintergrundgeschichte weitergeht, seien die Bücher Persepolis Rising (Persepolis erhebt sich), Tiamat's Wrath (Tiamats Zorn) und Leviathan Falls (Leviathan fällt) ans Herz gelegt. Überhaupt ist die Romanreihe exzellent. Vor allem einige Figuren entwickeln sich deutlich anders als im Fernsehen, aber man kann mit etwas Eingewöhnungszeit sicher von der Fernsehserie auf den Lesestoff umsteigen.

Alle sechs Staffeln und 62 Folgen der Expanse-Fernsehserie finden sich als Stream auf Amazon Prime Video.

(fab)