Atomkraft: Nur was für Bombenbauer

Hunterston B; Bild (2021): Linear-Vertex/CC BY-SA 4.0

Auch Großbritannien legt AKW still. Neubau langwierig, unwirtschaftlich, aber vermutlich militärisch attraktiv. Kommentar

Einigen Staub hat Ende des Jahres die Abschaltung der vorletzten drei deutschen Atomkraftwerke aufgewirbelt. Die AKW Brokdorf (1.410 Megawatt Nettoleistung), Grohnde (1.316 MW) und Gundremmingen C (1.288 MW) gingen wie 2011 im Atomgesetz (Paragraf 7) festgehalten vom Netz. Ende 2022 werden Ohu 2 (1.410 MW), Emsland (1.335 MW) und Neckarwestheim 2 (1.310 MW) folgen.

Erwartungsgemäß sorgte das für allerlei Wind im Feuilleton. Lobby-Organisationen und sonstige Freunde großtechnischer, von Konzernen kontrollierter Technologien haben offenbar zum letzten Gefecht geblasen.

Weit weniger Aufsehen erregt hingegen die Entwicklung in Großbritannien, wo in den letzten Jahren AKW mit einer Gesamtleistung von 7.900 MW vom Netz gingen, wie unter anderem der Fachinformationsdienst IWR berichtet. Das ist mehr als 2019 und 2021 in Deutschland stillgelegt wurde.

Großbritannien: Nur noch elf

Von den einst 48 britischen Atomkraftwerken würden nur noch elf laufen. Vier seien allein in den letzten acht Monaten vom Netz gegangen. Allerdings nicht alle planmäßig. Im November 2021 habe das schottische AKW Hunterston B-1 (644 MW) den Betrieb einstellen müssen. Der Grund: zu viele Risse im Graphitkern. Anfang Januar sei schließlich auch der benachbarte Reaktor Hunterston B-2 stillgelegt worden.

Weitere Stilllegungen sind für Juli 22, für 24 und für 28 geplant, darunter auch zwei schottische AKW, die von der staatlichen Électricité de France (EDF) aus Frankreich betrieben werden. Seinen beiden Anlagen hatte EDF kürzlich eine kürzere Lebensdauer attestiert – ebenfalls wegen Rissen im Graphitkern.

Für den Abbau der stillgelegten Anlagen müssen die britischen Steuerzahler tief in ihre Taschen fassen, berichtet der IWR weiter. Drei Milliarden Pfund (3,6 Milliarden Euro) würden dafür derzeit jährlich aufgebracht. Zwei Drittel davon stammen aus dem Staatshaushalt.

Auch gebe es noch immer kein sicheres Endlager für den hochradioaktiven Abfall, der für etliche Jahrzehntausende sicher verwahrt werden muss. Zurzeit werde der größere Teil der Strahlenabfälle auf dem Gelände des Atom-Komplexes Sellafield gelagert.

Die dortige Anlage hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Schlagzeilen mit Zwischenfällen und dem Ablassen radioaktiver Abwässer ins Meer gemacht. Unter anderem gilt ein dortiger, zwei Tage währender Reaktorbrand im Jahre 1957 als der weltweit erste große Atomunfall.

Die britische Regierung hält indes – im Gegensatz zur schottischen Regionalregierung – unbeirrt am Bau neuer Atomkraftwerke fest, was vermutlich auch einen militärischen Hintergrund haben wird. Unter anderem, weil sich aus den abgebrannten Brennstäben Plutonium für Atomsprengköpfe gewinnen lässt. 140 Tonnen davon – genug für mehr als 14.000 bis 28.000 Atombomben – lagern in Sellafield, und manchmal geht auch einiges verloren.

Zu teuer

Wirtschaftlich macht der AKW-Neubau hingegen auch in Großbritannien wenig Sinn. Zwar wird an der Südwestküste des Landes in Sommerset westlich von Bristol an immerhin zwei neuen Reaktoren mit einer Bruttoleistung von je 1.720 MW gebaut.

Allerdings musste die Regierung dem künftigen Betreiber EDF erst einen Garantiepreis von 92,5 Pfund pro Megawattstunde zusichern. Ein Preis, der 30 Jahre lang gezahlt und auch noch an die Inflation angepasst wird.

Nach derzeitigem Kurs sind das elf Cent pro Kilowattstunde. Strom aus Offshore-Windkraftanlagen ist hingegen inzwischen schon für weniger als die Hälfte zu haben.

2026 soll der erste der beiden Reaktorblöcke an Netz gehen. Das wäre dann das erste westeuropäische AKW, das in den letzten 30 oder mehr Jahren fristgerecht fertig würde. Wer weiß?

Immerhin hat EDF den chinesischen AKW-Bauer CGN mit ins Boot geholt. Mal schauen. Auch die Kosten sind offen. Bisher ist von insgesamt 30 Milliarden Euro für beide Blöcke die Rede. Das wäre etwas weniger, als zwei Reaktoren des gleichen Typs in Frankreich (Flammanville) und in Finnland gekostet haben oder noch kosten werden.

Auf jeden Fall hat sich die britische Regierung abgesichert, sodass im Falle einer Kostenexplosion EDF wird aufkommen müssen und damit letztlich der französische Staat. Aber seinen Platz im Konzert der Atommächte und die Beschaffung von Massenvernichtungswaffen lässt man sich halt beiderseits des Kanals gerne etwas kosten.

Derweil berichtet der Hamburger Spiegel von einer erneuten Verzögerung auf Frankreichs Ewig-Baustelle in Flammanville an der westlichen Kanalküste.

Seit 2007 wird dort an einem neuen Reaktor gebaut, dem einzigen neuen Projekt westlich des Rheins. 2012 hätte er in Betrieb gehen sollen. Geplante Baukosten 3,3 Milliarden Euro, Bauherr hier ebenfalls EDF.

Doch auch zehn Jahre später sind die Arbeiten noch nicht abgeschlossen. EDF habe angekündigt, dass man nicht Ende 2022 fertig werde, sondern erst 2023 mit dem Beginn der Befüllung mit Brennstäben anfange. Einen Termin für die Inbetriebnahme nennt die EDF noch nicht. Die Baukosten soll das Unternehmen inzwischen auf 12,4 bis 12,7 Milliarden beziffern.

Aber auch das scheint nur ein Teil der Wahrheit zu sein. Der französische Rechnungshof geht eher von 19 Milliarden Euro aus. Gebaut wird in Flammanville eine neue, weitgehend unerprobte Reaktorlinie. Der sogenannte European Pressurized Reactor (EPR) war in den 1990er-Jahren von Areva und Siemens entwickelt und seinerzeit als die leuchtende Zukunft der Branche verkauft worden.

Im südchinesischen Taishan musste im Sommer vergangenen Jahres ein Reaktor dieses Typs wegen technischer Probleme vorübergehend abgeschaltet werden. Ein weiterer Reaktor dieses Typs ist im vergangenen Jahr in Finnland ans Netz gegangen.

Auch dort waren zuvor die Baukosten explodiert, und die Fertigstellung hatte sich um ebenfalls mehr als zehn Jahre verzögert. Fazit: Atomkraft ist in Europa nur etwas für Regierungen, die Zeit haben, Geld verbrennen wollen und Bombenmaterial benötigen.