Muhammad Ali: Verdienste und Tragödien

Nicht ohne Ambivalenzen: Muhammad Ali im Jahr 1966. Foto: Dutch National Archives

Mit seiner Kriegsdienstverweigerung schrieb er Geschichte. Aber kämpfte der Boxchampion, der heute 80 Jahre alt geworden wäre, für die Emanzipation aller Schwarzen? (Teil 1)

Zum 80. Geburtstag von Muhammad Ali an diesem 17. Januar 2022 erschien bereits eine Vielzahl von Publikationen, Artikeln und Dokus – oft Wiederholungen – über das Leben dieses Berufsboxers. Meist wird dabei Ali weiterhin als "der Größte" präsentiert, mitunter garniert mit ein paar kritischen Seitenhieben auf seine Prahlerei, auf seine Zugehörigkeit zu einer Islam-Sekte und auf Widersprüche bei seinen politischen Auftritten.

Bei all diesen kritischen Zwischentönen überwiegt das Positive. Mehr noch: Muhammad Ali wird zur Ikone stilisiert. In der deutschen Ausgabe von Wikipedia wird er als "herausragender Sportathlet des 20. Jahrhunderts" präsentiert. Das Internationale Olympische Komitee ernannte ihn 1999 zum "Sportler des Jahrhunderts".

Der Schriftsteller Wolf Wondratschek hob Mohammad Ali bereits anlässlich seines Todes im Juni 2016 in einen Heroen-Himmel und bezeichnete ihn – interessanterweise in der Bild am Sonntag – als "klugen Alleskönner", als "Boxer, der tanzte", als "Fausttänzer" und "Mann, der ein Poet war". Das 20. Jahrhundert habe "vier Genies hervorgebracht", Igor Strawinski, Vladimir Nabokov, George Balanchine und Muhammad Ali. Ein Komponist, ein Schriftsteller, ein Choreograph und – ein Schwergewichtsboxer, eben vier Männer und diese sind dann, klar doch, "die Genies des 20. Jahrhunderts".

Wer sich die Mühe machte, die neue, wahrhaft epische vierteilige Dokumentation von Ken Burns, Sarah Burns und David McMahon, die Arte am 11. und 12. Januar 2022 ausstrahlte und in der Charly Hübner in der deutschen Fassung die Erzählstimme übernimmt, volle acht Stunden lang anzusehen, konnte Anderes erahnen.

Alle vier Teile sind in der ARD-Mediathek noch bis zum 11. März abrufbar. In Kombination mit der Lektüre einiger früherer Publikationen und ergänzender Recherchen lassen sich dann einige Verdienste, vor allem aber die Tragödien und – aus emanzipatorischer Sicht – die krassen Fehltritte des Cassius Marcellus Clay beziehungsweise Muhammad Ali erkennen.

"I ain't got no quarrel with them Vietcong"

Was Muhammad Ali zu einer begeisternden politischen Persönlichkeit machte, war eine konkrete Tat: Seine Ablehnung, im Krieg der USA in Vietnam als Soldat zu dienen und die politische Begründung, die er für seine Entscheidung vortrug. Ali Muhammad verkündete seine Kriegsdienstverweigerung am 28. April 1967.

Er berief sich dabei einerseits auf seine Religion und seine Zugehörigkeit zur "Nation of Islam", deren Oberhaupt Elijah Mohamad bereits den Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg mit Bezug auf seine Religion abgelehnt hatte. Ali fand dafür aber auch offene politische Worte, die die Herrschenden – so die US-Militärs, die Kriegsprofiteure des militärisch-industriellen Komplexes und die damalige Regierung unter US-Präsident Lyndon B. Johnson – zur Weißglut bringen mussten.

Diese Worte saßen: "Warum verlangt man von mir, einem sogenannten Neger, eine Uniform anzuziehen und 10.000 Meilen von der Heimat entfernt mit Bomben und Kugeln auf braune Menschen zu zielen, während andere sogenannte Neger in Louisville wie Hunde behandelt und ihnen die elementarsten Menschenrechte verwehrt werden?" Und: "Ich habe keinen Streit mit dem Vietcong. Kein Vietcong hat mich jemals Nigger genannt."

I ain't got no quarrel with them Vietcong. No Vietcong ever called me a nigger.


Muhammad Ali

Muhammad Ali hätte bei einem Gang nach Vietnam wenig riskiert. Er wäre kaum an die Front geschickt worden; sein Einsatz wäre als Werbung für das US-Modell von "freedom and democracy" genutzt worden. Er hätte mit großer Wahrscheinlichkeit Auftritte vor US-Soldaten zu deren Erbauung absolvieren dürfen.

Mit seiner Kriegsdienstverweigerung jedoch riskierte er viel; sie kam ihn teuer zu stehen. Sie führte zur Verurteilung zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe (die er nach Zahlung einer Kaution nicht absitzen musste), zur Aberkennung seines Weltmeistertitels, zum Verlust seiner Boxerlizenz und zu einer dreijährige Sperre. Letzteres bedeutete, dass er – wie zuvor andere Boxer – in eine existenzielle Krise gelangen und in Armut hätte absinken können.

Es war unter anderem der Schwergewichtsweltmeister Joe Frazier, der ihn in dieser Zeit finanziell unterstützte – was Alis spätere hasserfüllte Auftritte gegen Joe Frazier und sein erbarmungsloses Einprügeln auf ihn beim 1975er-Fight in Manila als einigermaßen fragwürdig erscheinen lässt.

Als Mohammad Ali den Kriegsdienst verweigerte, gab es in der US-Bevölkerung noch eine mehrheitliche Unterstützung für den US-Krieg in Vietnam. Allerdings gärte der Protest gegen den Krieg bereits an Universitäten, in liberalen, intellektuellen Kreisen – und in der afroamerikanischen Bevölkerung. In der Doku von Ken Burns, Sarah Burns und David McMahon gibt es mehrere Kurzinterviews mit afroamerikanischen GIs, die in Vietnam im Einsatz waren. Sie äußern sich erstaunlich differenziert und überwiegend positiv zu Alis Entscheidung.

Der afroamerikanische Literaturprofessor Gerald Early erinnerte sich in seinem Essay "Tales of the Wonderboy" anlässlich Alis öffentlich begründeter Kriegsdienstverweigerung wie folgt:

Mir war, als sei meine Ehre als schwarzer Junge, meine Ehre als Mensch verteidigt worden. Er war doch der große Ritter, der Drachentöter. An dem Tag, als Ali den Kriegsdienst verweigerte, weinte ich in meinem Zimmer. Ich weinte um ihn und auch um mich, um meine Zukunft und auch seine, um alle unsere schwarzen Möglichkeiten.


Gerald Early

Zwei Arten von Rassentrennung

Meist wird Muhammad Ali als ein Mensch bezeichnet, der dazu beigetragen habe, das Selbstbewusstsein der schwarzen Bevölkerung in den USA zu stärken. In einer betont allgemeinen Form mag dies der Fall gewesen sein. Eine große Rolle spielten dabei offensichtlich die Erfahrungen des jungen Cassius Clay, der in der Südstaaten-Stadt Louisville in einer Zeit aufgewachsen war, in der das öffentliche Leben von Rassentrennung geprägt war.

Doch auch hier sind Differenzierungen angebracht. Die Eltern von Clay zählten zur schwarzen Mittelschicht. Und die vielfach kolportierte Standardgeschichte, wonach Clay zu boxen begann, weil ihm als Junge sein "neues Fahrrad geklaut" wurde, konterte Joe Frazier mit dem Hinweis, er habe in seiner Jugend nie ein Fahrrad besessen.

In den Jahren 1961 bis 1966 war es eine Gruppe weißer, christlicher Geschäftsleute aus Louisville, die Clays Boxkämpfe organisierten, die damit gut verdienten und mit denen Clay beziehungsweise Ali durchaus freundschaftlich zusammenarbeitete.

Die pauschale Behauptung, Ali sei "ein Kämpfer gegen Fremdbestimmung und Rassismus" gewesen, die vor wenigen Tagen wieder in der FAZ zu lesen war, ist verkürzt.

Es gab in den USA in den 1960er-Jahren drei Formen afroamerikanischer Bewegungen: eine pazifistische Bürgerrechtsbewegung, wie sie von Martin Luther King prominent vertreten wurde, eine militante antirassistische Bewegung, wie sie von Malcolm X und später von den Black Panthers repräsentiert wurde und eine separatistische, auf schwarze Rassentrennung orientierende Bewegung wie von Elijah Mohammad, dem Führer der Sekte "Nation of Islam" gepredigt.

Die ersten beiden Formen müssen als fortschrittlich, die letztgenannte kann als reaktionär und frauenverachtend bezeichnet werden. Muhammad Ali fühlte sich eine kurze Zeit zu Malcolm X hingezogen – allerdings nur in der Zeit, als Malcolm X noch Teil des "Nation of Islam" war. Als Elijah Mohammad im März 1964 Malcolm X verstieß und dieser sich einerseits radikalisierte und andererseits der Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King näherte, entschied sich Ali für die "Nation of Islam".

Es war Elijah Mohammad, der Cassius Clay auf den Namen "Mohammad Ali" taufte. Es ist erschütternd, in der Burns-McMahon-Doku im O-Ton festgehalten zu sehen und zu hören, wie Muhammad Ali die Ermordung von Malcolm X am 21. Februar 1965 mit den Worten begrüßt: "Jeder, der Elijah angreift, wird sterben".

Die langjährige Mitgliedschaft Alis in der Nation of Islam wird gemeinhin als Ausdruck seines Kampfs gegen Rassismus gewertet. Das ist definitiv falsch. Diese Organisation mag als Kind ihrer Zeit gesehen werden – doch sie blieb weit hinter den Aufgaben dieser Zeit zurück. Sie war vor allem spalterisch und rückschrittlich. Sie propagierte einen schwarzen Rassismus und die Lehre von einer "Überlegenheit der schwarzen Rasse".

Ali war nicht nur Mitläufer, er argumentierte auf derselben Linie: "Kein intelligenter schwarzer Mensch mit rechtschaffener schwarzer Gesinnung wünscht sich weiße Jungs oder weiße Mädchen zu sich nach Hause, die dann ihre schwarzen Söhne und Töchter ehelichen", zitierte ihn der Observer am 13. Mai 2008.

Folgerichtig bezeichnete Martin Luther King den Berufsboxer Muhammad Ali als "Champion der Rassentrennung". Erst kurz vor dem Tod von King kam es zu einer Annäherung der beiden. Als er 1968 ermordet wurde, sagte Ali: "Ich trauere um meinen schwarzen Bruder."

Die "Nation of Islam" kontrollierte im Zeitraum 1964 bis in die 1990er-Jahre hinein einen großen Teil des privaten Lebens von Ali, ab 1966 auch sein Box-Business. Die Sekte finanzierte sich auf diese Weise. Das hatte erhebliche negative Auswirkungen auf das, was Muhammad Ali dachte und vor allem auf das, was er sagte. In der Burns-McMahon-Doku ist ein Interview aus dem Jahr 1969 wiedergegeben, in dem Ali den rechtsextremen US-Gouverneur George Corley Wallace lobt – weil dieser seinerseits für Rassentrennung in den Südstaaten – und dabei natürlich für die weiße "Rasse" – eintrat. Diese Haltung von Ali führte zu massiven Protesten; doch Ali verteidigte seine Position.

Friede mit den Herrschenden

Der bereits zitierte Wondratschek sieht in Muhammad Ali einen, der "nicht nur die Politiker ärgerte, sondern auch die Drahtzieher hinter den Kulissen, die Geschäftemacher, die Männer mit den dicken Zigarren, den Blondinen und den goldenen Scheckbüchern, die ganze korrupte Bande, die Boxer verschacherten wie Vieh."

Das traf für ein gutes Jahrzehnt zu. Doch bereits in den 1970er-Jahren hatte Ali seinen Frieden mit dem vielfach reaktionären politischen Establishment und mit dem korrupten Establishment des Weltsports geschlossen. Der Promoter der beiden größten Boxkämpfe Alis, dem in Kinshasa 1974 und dem in Manila 1975, war Donald "Don" King. Er verkörperte genau den Typ von Box-Business-Manager, den Wondraschek als "Drahtzieher hinter den Kulissen" und als "Mann mit dicker Zigarre" beschrieben hat.

Don King ermordete 1967 aus niedrigen Beweggründen einen Mann; er wurde wegen dieser Tat zu 15 Jahren Haft verurteilt, kam jedoch nach drei Jahren Haft auf Basis eines Deals frei. Die einzige Basis für das zeitweilige Bündnis zwischen Ali und Don war Geld – die riesigen Dollar-Summen, die Don vor allem für die zwei Kämpfe in Kinshasa und Manila ausloben konnte.

Ali hat sich gegen die Umarmungen derer, die er in den 1960er-Jahren und Anfang der 1970er-Jahre bekämpft hatte, nicht gewehrt. Dies erklärt, warum 2016 am Grab des Champions der frühere US-Präsident Bill Clinton sprach. Warum der ehemalige britische Premier David Cameron, eine Personifizierung von Neoliberalismus und sozialer Ausgrenzung, äußern konnte: "Muhammad Ali war ein Meister im Kampf für Menschenrechte." Warum ihn Thomas Bach, der Präsident des Olympischen Komitees, als einen "echten Olympioniken" bezeichnen konnte.

Mohammad Ali hatte 1996 bei der Sommerolympiade in Atlanta die Olympische Flamme entzündet. Der damalige IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch hängte ihm eine eigens für ihn angefertigte Goldmedaille um den Hals – als Ersatz für das Gold des Jahres 1960 des Olympia-Siegers im Halbschwergewicht Cassius Clay, von dem es nun hieß, er habe diese Medaille "verloren".

Tatsächlich hatte Ali in seiner "guten politischen Zeit" diese Gold-Medaille in den Ohio-River geworfen – aus Protest gegen Rassismus, nachdem er in der US-amerikanischen Heimat in "Nur-für-Weiße"-Restaurants nicht bedient worden war.

Damit nicht genug. 2005 verlieh ihm der damalige US-Präsident George W. Bush die Freiheitsmedaille, die höchste zivile Auszeichnung der Vereinigten Staaten. Dieser politisch weit rechts stehende US-Präsident, verantwortlich für die US-Kriege in Afghanistan und im Irak, bezeichnete Ali anlässlich dieser Zeremonie als "Mann des Friedens". Der Promoter der genannten Ali-Boxkämpfe Don King wiederum hatte für den Kriegspräsidenten George W. Bush ebenso geworben, wie er nach Alis Tod für Donald Trump warb.

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