Bundesamt sieht Herausforderungen beim Ausbau der Windkraft auf See

Naturschutz und Klimaschutz kommen aus Sicht von Umweltverbänden bei einem Ausbau der wirtschaftlichen Nutzung von Nord- und Ostsee zu kurz.

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Offshore-Windpark im Aufbau

(Bild: Bard-Gruppe)

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  • dpa
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Der geplante Ausbau der Windkraft in Nord- und Ostsee stößt aus Sicht des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH) auf zahlreiche große Herausforderungen. "Das wird eine Herkulesaufgabe werden", sagte die BSH-Präsidentin Karin Kammann-Klippstein am Donnerstag in Hamburg. Auf die Frage, ob der bis 2045 angepeilte Ausbau auf 70 Gigawatt (GW) überhaupt denkbar sei, sagte sie: "Ja, es ist möglich, wenn alle anderen Nutzer zurücktreten und sagen 'wir machen jetzt in der Nord- und Ostsee nur noch Offshore-Windenergie', dann ist das theoretisch möglich."

Die Chefin der Behörde wies auf zahlreiche Nutzungskonflikte hin: "Der Koalitionsvertrag sieht 10 Prozent der Fläche vor, die frei sein soll von jeglicher schädlicher Nutzungsart. 10 Prozent wären schon mal vollständig für Naturschutzgebiete reserviert." Außerdem würden Meeresflächen von Landwirtschaft und Militär genutzt, und es gebe die völkerrechtliche Pflicht, internationale Schifffahrtsstraßen offenzuhalten. "Da gibt es Einschränkungen für die Bebauung durch Windparks."

Mit den vorhandenen Nutzern werde es Abstimmungen geben müssen, "bis diese Ausbauziele bis 70 GW tatsächlich erreicht werden können", sagte Kammann-Klippstein. "Da wird es auch innerhalb der Bundesregierung noch zahlreiche Diskussionen geben, was jetzt Vorrang hat, wer seine Nutzungsinteressen zurückstellen muss. Das sind politische Entscheidungen, die getroffen werden müssen."

Die BSH-Präsidentin wies zudem darauf hin, dass in den nächsten Jahren bestehende Windanlagen das Ende ihrer Lebensdauer von durchschnittlich 25 Jahren erreichten. "Dann werden wir Mitte der 30er-Jahre etliche Rückbauprojekte haben und wissen noch nicht, was das jetzt tatsächlich auf den Ausbau insgesamt für Auswirkungen haben kann."

Wind auf See ist neben Wind an Land und Solarenergie eine zentrale Säule beim Ausbau des Ökostroms. Die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP hat im Koalitionsvertrag die Ausbauziele für die Windenergie auf See im Vergleich zur Vorgängerregierung deutlich erhöht. Statt 20 GW bis 2030 und 40 GW bis 2040 sollen es nun 30 GW bis 2030, 40 GW schon bis 2035 und 70 GW bis 2045 werden.

Derzeit sind in Nord- und Ostsee 1501 Windenergieanlagen mit knapp 7,8 GW in Betrieb, weit überwiegend in küstenfernen Gebieten in der sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), die Deutschland in internationalen Gewässern exklusiv nutzen darf. Auf Basis der jüngsten Vorentwürfe des Flächenentwicklungsplans für die AWZ hält das BSH bislang eine potenzielle Gesamtleistung von etwa 57,5 GW für möglich.

Das BSH ist unter anderem für die Auswahl geeigneter Meeresflächen für die Windenergie in der AWZ zuständig. In der Jahresbilanz ging die oberste maritime Behörde aber noch auf weitere Arbeitsfelder ein:

Mögliche Cyberangriffe sind nach Einschätzung der Behörde eine "ganz gewaltige neue Gefahrenquelle", beispielsweise, wenn es Onlinepiraten gelingen sollte, Navigationssysteme von Schiffen zu manipulieren.

Um Sicherheitslösungen zu erarbeiten, hat das BSH unter anderem mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eine Vereinbarung zur Erhöhung der Informationssicherheit in der Seeschifffahrt geschlossen. Das BSH arbeitet in einem Entwicklungslabor an Lösungen, mit denen unbefugtes digitales Eindringen in Schiffssysteme unterbunden werden kann.

Das neue Forschungsschiff "Atair" wurde im April 2021 vom damaligen Verkehrsminister Andreas Scheuer in Dienst gestellt und hat inzwischen neun Reisen mit einer Gesamtstrecke von 12.545 Seemeilen (23.233 Kilometer) absolviert. Unter anderem wurden Messketten zur Bestimmung von Strömung, Salzgehalt und Temperatur ausgesetzt, außerdem sogenannte "Argo-Floats". Das sind automatische Tauchbojen, die im Rahmen des internationalen Ozean-Messprogramms Argo ausgebracht werden.

Die "Floats" tauchen, messen Daten, tauchen von selbst wieder auf und geben ihre Daten weiter. Dabei sei es gelungen, nördlich von Spitzbergen erstmals solche Tauchbojen unter der arktischen Eisdecke zu platzieren, berichtete Kammann-Klippstein.

"Mir liegt dieses Thema deshalb so sehr am Herzen, weil die wirklich große Bedeutung der Meere für die gesamte Bevölkerung, für das gesamte Leben auf der Erde eigentlich erst sehr unzulänglich bekannt ist und vieler bekannt gemacht werden müsste", sagte die BSH-Präsidentin.

Beispielsweise werde die Wechselwirkung zwischen Meer und Klima "absolut unterschätzt", etwa indem das Meer Wärme aus der Atmosphäre aufnehme. "Deshalb finde ich es ganz wichtig, dass im Rahmen dieser Ozeandekade aktiv über die Bedeutung der Meere und was für Gefahren die Meere derzeit ausgesetzt sind, was für Verschlechterungen schon eingetreten sind, dass das der Öffentlichkeit bekannter gemacht wird."

Die Deutsche Handelsflotte umfasst nur noch 1767 (2020: 1844) Schiffe hiesiger Reedereien. Unter deutscher Flagge fuhren 2021 aber nur noch 275 Schiffe, 15 weniger als im Vorjahr. Mit verschiedenen Förderungen versucht der Bund, den Trend aufzuhalten. Ohne die Maßnahmen wären die Zahlen noch deutlicher zurückgegangen, sagte Kammann-Klippstein.

(fds)