c't 3003: Ernsthaft Arbeiten in VR?

Ist VR nur ein Gimmick oder kann man damit inzwischen wirklich arbeiten? c't 3003 hat's ausprobiert.

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Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Jan-Keno Janssen

Virtual Reality gilt nach wie vor als Spielzeug; wir wollten wissen: Stimmt das noch?


Transkript des Videos:

In diesem Video probiere ich aus, ob man tatsächlich in Virtual Reality mit einem VR-Headset produktiv arbeiten kann – also ob ich einen ganzen Arbeitstag mit so einem Kopfklotz absolvieren kann; und vor allem: Wie fühlt man sich danach? Hatte ich das Gefühl, dass das mehr als Spielerei ist und vielleicht sogar die Zukunft der Arbeit? Bleibt dran.

So, ich habe tatsächlich einen Arbeitstag in VR verbracht -- und zwar nicht einfach so Entertainment-mäßig acht Stunden zocken, sondern ich habe mir angeschaut, was geht denn eigentlich schon arbeitsmäßig konkret in VR und will man das überhaupt? Meine sonstigen digitalen Arbeitsgeräte PC und Smartphone habe ich also einen Tag lang mit dem VR-Headset ersetzt. Zwei Headsets kamen zum Einsatz: einmal die autarke, kabellose Quest 2 für 350 Euro und einmal das super hochauflösende High-End-Headset Varjo Aero für 2370 Euro.

7:30 Uhr: Nachrichtenlage checken

Nach dem Aufstehen checke ich immer sofort die Nachrichtenlage und was so auf Social Media geht. Das mache ich meist mit dem Smartphone im Bett – klappt das auch mit dem VR-Headset? Klarer Fall: Nein, das klappt nicht, denn die Quest 2 kann man liegend nur mit sehr viel Gefrickel bedienen. Aber ich rede es mir schön: Ich bin heiß auf die News, also stehe ich auf, was meinen Kreislauf auf Trab bringt, statt noch ewig im Bett rumzuhängen. Und im Stehen kriege ich problemlos meinen News-Fix in VR; schließlich ist ja ein ganz normaler Browser auf der Quest vorinstalliert.

Der Alternativ-Browser Firefox Reality gefällt mir allerdings besser als der eingebaute Quest-Standard-Browser; allein schon, weil er Add-ons unterstützt, weil man viel mehr einstellen kann und weil's so hübsche Umgebungen gibt, zum Beispiel diese hübsche Low-Poly-Wüste. Tatsächlich startet Firefox Reality bei mir auf der Quest direkt mit Twitter, Heise und Guardian – das bringt mich schnell auf den aktuellen Stand.

Kuriosität am Rande: Meta bietet eine eigene Facebook-App auf der Quest an. Und bekanntlich kann man die Quest 2 nur benutzen, wenn man sich hier mit dem eigenen Facebook-Account eingeloggt hat; also man IST zwingend in Facebook eingeloggt, wenn man die Quest 2 benutzt. Ja, und das kommt, wenn man die App startet. Toll gemacht, Meta, toll.

9:30 Uhr: Büroarbeit

So, jetzt wird aber richtig gearbeitet; und zwar, indem ich mir meinen PC statt auf meinen normalen Monitor aufs Headset hole. Das Tolle ist: Das ist jetzt nicht so ein völlig künstliches Quatsch-Szenario, das ich nur mache, weil ich mich dazu gezwungen habe, in VR zu arbeiten – nein, das würde ich sehr wahrscheinlich wirklich so machen, auch wenn ich gerade kein Video über das Thema drehe. Meine Situation ist zugegebenermaßen ziemlich individuell: Ich habe (und das ist kein Scherz) beim Training in Nintendo Ring Fit übertrieben und mir irgendwas am Rücken ausgerenkt. An dem Tag, als ich das Video gemacht habe, konnte ich so schlecht sitzen, dass ich nach einer Viertelstunde auf meinem Stuhl fiese Rückenschmerzen bekommen habe. Stehen ging aber problemlos – und ich habe sogar im Nebenzimmer eine Kommode, die man als Stehpult benutzen kann. Aber: Ich arbeite an einem Desktop-PC, nicht an einem Notebook – und das Ding ist so in mein Videostudio eingekabelt, dass es ein Mega-Akt wäre, mit dem Teil ins Nebenzimmer umzuziehen.

Also: VR-Headset am Stehpult aufsetzen und den PC als virtuellen Bildschirm per WLAN in die VR-Welt holen. Das geht mit mehreren VR-Apps auf der Quest 2, ich habe drei ausprobiert. Alle drei Apps erfordern übrigens die Installation eines Server-Programms auf dem zu streamenden Windows- oder macOS-Rechner.

So, als erstes Mal der Klassiker Virtual Desktop, in Fachkreisen VD genannt. VD reicht meine per Bluetooth mit der Quest 2 gekoppelte Maus und Tastatur problemlos an meinen PC durch, das ist schonmal super. Ich hätte allerdings gerne mehrere Desktops, die ich mir in meiner virtuellen Welt überall hinkleistern kann, das geht leider (noch) nicht. Sonst fühlt sich aber alles sehr geschmeidig an; sogar Videoschnitt klappt problemlos. Nur das Schreiben längerer Texte funktioniert nicht so gut, weil ich die Tastatur nicht sehe in VR – mein Standard-Keyboard könnte ich blind bedienen, aber das von mir verwendete Bluetooth-Magic-Keyboard ist nicht in meinem Muskel-Gedächtnis und deshalb klappt das nicht so gut.

Das macht Metas Horizon Workrooms besser: Das erkennt einige Tastaturen über die Quest-Kameras und blendet die dann in VR ein – das Apple Magic Keyboard gehört dazu. Noch sinnvoller finde ich, dass man in Workrooms einen Tisch in der echten Welt definieren muss, der dann in VR an genau der richtigen Stelle dargestellt wird. Ich kann mich da also problemlos aufstützen. Klingt jetzt seltsam, aber das ist etwas, das häufig in VR passiert – man will sich auf irgendwas draufsetzen oder abstützen, was in der echten Welt nicht existiert, tja, und klar, was dann passiert. Was Workrooms allerdings zu einem No-Go macht: Es erkennt mit dem Headset gekoppelte Maus und Tastatur nicht, will ich also meinen PC in VR bedienen, müssen Maus und Tastatur mit dem PC und nicht mit dem Headset gekoppelt sein – das klappt natürlich nur, wenn alles im gleichen Raum stattfindet. Mein Stehpult ist im Raum nebenan, was dazu führt, dass die Bluetooth-Verbindung nur sehr stockelig funktioniert und sich vor allem die Maus in der Praxis nicht benutzen lässt.

Am vollgestopftesten mit Features ist die Quest-App vSpatial: Hier kann ich mir mein Sichtfeld komplett mit PC-Fenstern vollklatschen und mir sogar noch einen virtuellen Basketballkorb irgendwo hinhängen – keine Ahnung warum, vor allem, weil das Ding auch bei mir immer von irgendwelchen Fenstern verdeckt war, aber ok. vSpatial erkennt Bluetooth-Eingabegeräte, das ist cool, aber ansonsten wirkt es leider ziemlich buggy und überladen.

Bei allen drei Apps konnte ich alles auf meinem virtuellen Desktop gut erkennen, ich hatte nie das Gefühl, dass ich dringend mehr Auflösung brauche. SCHÖN sah es aber nicht aus, also mir war jederzeit bewusst, dass das hier ein Kompromiss ist und ich nicht die Schärfe wie auf meinem 4K-Monitor in der echten Welt habe. Aber: Auch mehrere Stunden arbeiten ging, ohne dass ich dachte, ich muss danach in die Augenklinik. Ich habe Virtual Desktop auch auf dem mit dem PC-verkabelten Varjo Aero ausprobiert, das hat 2880 x 2720 Pixel pro Auge, die Quest nur 1832 x 1920. Der Unterschied war deutlich zu sehen, aber dafür hing ich halt am Kabel und war zum schmerzhaften Sitzen gezwungen, wenn ich Maus und Tastatur benutzen wollte. Zum Stehpult im Nebenzimmer reichte das Kabel leider nicht.

13:00 Uhr: Zocken in der Mittagspause

So, jetzt erstmal entspannt Mittagessen. Nee, ernsthaft, nach dem ganzen Arbeiten zock ich jetzt mal ein bisschen. Und zwar Demeo mit meinem Kollegen Sahin, das ist ein Rollenspiel, wo man auf einem virtuellen Tabletop-Spielfeld Figuren mit der Hand zieht und würfelt – klingt komisch, ist aber ganz schön cool, vor allem mit mehreren Leuten. So, und jetzt noch ein bisschen Minigolf.

14:00 Uhr: Meeting

Ich habe ein Meeting mit drei Kollegen, in dem wir über eine Artikelstrecke sprechen wollen. Ich bitte darum, das statt in Microsoft Teams (was wir sonst nutzen), in Horizon Workrooms und Mozilla Hubs zu machen. Meetings funktionieren in Workrooms richtig gut; man kann an einer großen Tafel malen, Websites zeigen, wild herum gestikulieren. Vor allem ist das 3D-Audio wirklich richtig authentisch: Die Stimme von anderen VR-Kollegen kommt immer aus der richtigen Richtung. Die zugeschalteten Kollegen, die statt mit VR-Headset per normalen Rechner im Meeting sind, kommen bei weitem nicht so gut rüber: Von denen sieht man keinen animierten Avatar, sondern einfach ein Kamerabild auf einem schwebenden Fernseher. Und während die VR-Teilnehmer sich frei bewegen können, müssen die PC-Leute wie angeklebt vor ihrer Kamera sitzen.

Das ist bei der Open-Source-Lösung Mozilla Hubs nicht so: Da können alle Teilnehmer fröhlich in der Gegend herumlaufen – die VR-Leute physisch dank Körpertracking, die PC-Leute wie in einem Shooter per WASD-Steuerung. Mozilla Hubs funktioniert faszinierend einfach: Einfach im Browser aufrufen, Raum-Code eingeben, zack, fertig. Den eigenen Avatar kann man sich aus etlichen User-generierten Objekten aussuchen, also wenn man zum Beispiel mal ein animiertes GIF sein will, kein Problem. Falls ihr euch wundert, warum ich hier so seltsam lache: In VR ist alles "Roomscale", das heißt unter anderem, dass die Sachen wirklich groß sind; und wenn da so ein 2 Meter großes Ding auf einen zukommt, da kriegt man schon ein bisschen Angst. Leider wirkt Mozilla Hubs noch etwas buggy und wird zum Beispiel schnell ruckelig, wenn zu viele Objekte in der Welt sind.

Ich hänge hier jetzt schon ziemlich lange mit dem Headset auf dem Kopf, aber es stresst mich nicht – ich würde so weit gehen und sagen, dass mich Arbeiten in VR in vielerlei Hinsicht weniger anstrengt als normal sitzend am Schreibtisch: Vielleicht liegt das daran, dass ich so ein Zappelphilipp bin, aber ich finde es sehr angenehm, dass ich mich einigermaßen frei bewegen kann. Wenn ich Maus und Tastatur benutzen will zwar nicht, aber ich kann die VR-Welt ja auch per Hand-Controller oder sogar nur mit den Händen bedienen – zum Beispiel der integrierte Browser läuft nur mit Händen und ohne Controller.

17 Uhr: Treffen mit 3003-Kuckerinnnen und Kuckern

Leute treffen in VR macht Spaß, also direkt mal spontan ein Treffen mit 3003-Guckerinnen und Guckern ausprobieren. Irgendwie scheint mir für sowas die virtuelle Spielumgebung Rec Room für sowas am geeignetsten. Das geht auch sehr gut ohne VR-Headset. Und es war das tollste und größte Fantreffen aller Zeiten! *record scratch* Nee, Spaß, es waren nur so drei bis vier Leute da, die fast alle nicht mit uns gesprochen haben.

Wir hatten das zwar auf YouTube angekündigt, ich dachte allerdings, dass der Event-Link automatisch zum Event führt – dummerweise führt er nur auf die Download-Seite von Rec Room. Letzendlich hat uns außer einigen Rec-Room-Experten niemand gefunden, nächstes Mal planen wir das besser, versprochen. Was ich an Rec Room jedenfalls sehr irritierend fand: Als ich im Hauptmenü auf einmal von britischen und amerikanischen Kindern umringt wurde, die mit mir einen Fistbump machen wollten – ich weiß, das kommt im 2D-Video nicht so rüber, aber so umringt und vollgesprochen zu werden, fühlt sich in VR sehr unangenehm an. Schnell weg aus Rec Room und rein in Altspace. Das ist ebenfalls eine virtuelle Umgebung, in der man sich mit Avataren treffen kann – Altspace gehört Microsoft und gilt als erwachsener und seriöser. Es finden hier viele Live-Events statt, unter anderem auch Standup-Comedy. Das gab es gerade leider nicht, dafür eine laufende "Holograms against Humanity"-Session, bei der aber irgendwie komische Stimmung herrschte. Und dann bin ich noch in so einer Anti-Drogensucht-Meditation gelandet. Mein Highlight war dann aber ein Open-Air-Konzert der Band Toto – leider spielte Toto nicht als Avatare, sondern einfach als Videobild aus der Konserve, aber das drumherum war lustig. Man konnte sogar virtuelles Bier trinken. Tja, und meine coolen Tanz-Moves kamen glaube ich auch richtig gut an.

21 Uhr: Feierabend

Ok, puh, gar nicht gemerkt wie schnell die Zeit in VR vergangen ist. Das hat großen Spaß gemacht, auch wenn meine Augen doch etwas brennen und ein paar Druckstellen hatte ich auch im Gesicht. Mit ein bisschen mehr Auflösung und ein bisschen weniger Gewicht im Gesicht – damit würde ich vielleicht sogar mal eine ganze Woche in VR „arbeiten“. Insgesamt war ich aber wirklich erstaunt, dass man inzwischen wirklich viel andere Sachen in VR machen kann als Spielen.

Und nochmal eine kleine Klarstellung: Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dieses Video nicht "Ich arbeite im Metaverse" zu nennen, obwohl das gerade natürlich das Hype-Thema ist. Aber mal ehrlich: Wer redet eigentlich vom Metaverse? Das sind die großen Silicon-Valley-Firmen, irgendwelche Investmentleute, Tech-Journalisten – aber Emma- und Otto-Normalverbraucher geht das Thema gefühlt ziemlich am Popo vorbei. Das ist so ein Bullshit-Bingo-Marketing-Buzzwort geworden, das sich anschickt, zusammen mit Web3 die Top-Buzzwords der letzten Jahre KI und Blockchain abzulösen. Die Definition des Metaverse ist so schwammig, dass ich erstmal versuche, den Begriff zu vermeiden und das Ganze lieber konkret als "VR" bezeichne. Wenn euch das Metaverse interessiert: Dazu gibt's auf diesem Kanal ein eigenes Video. Tschüss.


c't 3003 ist der YouTube-Channel von c't. Die Videos auf c’t 3003 sind eigenständige Inhalte und unabhängig von den Artikeln im c’t magazin. Redakteur Jan-Keno Janssen und die Video-Producer Johannes Börnsen und Şahin Erengil veröffentlichen jede Woche ein Video.

(jkj)