BGH kippt Klarnamenpflicht: Facebook darf Pseudonyme nicht generell untersagen

Facebook muss es laut dem Bundesgerichtshof hinnehmen, dass gerade schon länger angemeldete Mitglieder ihr Profil nicht unter Klarnamen betreiben.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 48 Kommentare lesen

(Bild: Cryptographer/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine Klausel in den Nutzungsbedingungen von Facebook gekippt, wonach ein Nutzer des sozialen Netzwerks grundsätzlich den Namen verwenden muss, den er auch im täglichen Leben gebraucht. Dieser pauschale Passus sei unwirksam, urteilte der III. Zivilsenat am Donnerstag in zwei Verfahren (Az.: III ZR 3/21 und III ZR 4/21). Die Bestimmung habe die Kläger zum Zeitpunkt ihrer Einbeziehung in den Nutzungsvertrag "entgegen den Geboten von Treu und Glauben" unangemessen benachteiligt.

Da der BGH nach alter Gesetzeslage geurteilt hat, gilt die Entscheidung erst einmal auch nur für Altfälle, die nach dem bis zum 30. November 2021 gültigen Telemediengesetz zu beurteilen sind.

Die Klausel zur Klarnamenpflicht sei "nicht klar und verständlich" gewesen, führt der BGH in einer Mitteilung aus. Zudem habe sie von "wesentlichen Grundgedanken" hiesiger Gesetze abgewichen. Eine unangemessene Benachteiligung sei im Zweifel auch anzunehmen, wenn wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur eines Vertrags ergeben, so eingeschränkt werden, "dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist".

Das Oberlandesgericht (OLG) München hatte Facebook zuvor im Recht gesehen und die zwei Nutzer gesperrt, die ihr Profil unter Pseudonym geführt hatten. Der BGH hat beide Urteile dagegen teilweise aufgehoben. Er verurteilte Facebook beziehungsweise die Konzernmutter Meta im Verfahren III ZR 3/21 dazu, es zu dulden, dass der Kläger seinen Profilnamen in ein Pseudonym ändert. Das Unternehmen muss es dem Kläger ermöglichen, die Funktionen seines Kontos unter Pseudonym zu verwenden.

Die Karlsruher Richter stützen sich hier auf Paragraf 13 des bis zum 30. November 2021 geltenden Telemediengesetzes (TMG). Dieser verpflichtete Anbieter, die Nutzung ihrer Dienste "anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist". Das Anfang Dezember in Kraft getretene Telekommunikations-Telemedien-Datenschutz-Gesetz (TTDSG) schreibt diese Vorgabe fort.

Facebook sei es zwar nicht zumutbar gewesen, die Inanspruchnahme des Netzwerks zu ermöglichen, ohne dass der jeweilige Nutzer zuvor – etwa bei der Registrierung – im Innenverhältnis seinen Klarnamen mitgeteilt hatte, heißt es in dem Urteil. Für die anschließende Verwendung der angebotenen Dienste unter Pseudonym bejahten die Richter dagegen die Zumutbarkeit. Die Klarnamenpflicht falle hier "ersatzlos" weg.

Im älteren Verfahren III ZR 4/21 verurteilte der BGH Facebook dazu, das gesperrte Nutzerkonto der Klägerin freizuschalten und ihr "unbeschränkten Zugriff" auf die zugehörigen Funktionen zu gewähren. Der Konzern könne von der anderen Partei nicht verlangen, ihren Profilnamen in ihren wahren Namen zu ändern. Die Bestimmung zur Klarnamenpflicht in den hier maßgeblichen Nutzungsbedingungen zum Stand 30. Januar 2015 sei ebenfalls unwirksam. Dies habe das Landgericht Berlin auch bereits Anfang 2018 in einem Verbandsklageverfahren herausgearbeitet (Az.: 16 O 341/15).

In beiden Verfahren zog der BGH die alte EU-Datenschutzrichtlinie von 1995 heran. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) enthält zwar keine ausdrückliche Bestimmung zur anonymen oder pseudonymen Inanspruchnahme von Online-Diensten. Diese neuen Vorgaben sind laut den Karlsruher Richtern aber nicht entscheidend gewesen, weil sie erst seit dem 25. Mai 2018 gelten. Für die Rechtslage komme es aber "auf den Zeitpunkt der Einbeziehung der jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in das Vertragsverhältnis an".

Die BGH-Urteile gelten so zunächst nur für ältere Fälle. Das OLG München hatte argumentiert, die Bundesregierung habe im Streit um die DSGVO auf europäischer Ebene vergeblich versucht, ein Recht auf pseudonyme Nutzung in die Verordnung hinein zu verhandeln. Der deutsche Paragraf für Pseudonyme sei daher nun im Sinne des EU-Rechts auszulegen. Für Meta ist die BGH-Ansage ein Rückschlag. Der Konzern hatte sich vorab überzeugt gezeigt, "dass Menschen mehr Verantwortung für ihre Aussagen und Handlungen übernehmen, wenn sie ihren echten Namen auf Facebook verwenden".

Zuletzt hatte sich das EU-Parlament in seiner Position für den geplanten Digital Services Act (DSA) dafür ausgesprochen, dass Betreiber von Online-Plattformen "angemessene Anstrengungen" unternehmen sollen, um die anonyme Nutzung und Bezahlung von Online-Diensten zu ermöglichen.

Das Ampel-Regierungsbündnis will zudem auf eine Login-Falle setzen, um Täter zu identifizieren. Dabei sollen vor allem Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook und Twitter gemeinsam mit der Polizei eng zusammenarbeiten, um Verdächtige und deren IP-Adresse zu ermitteln, sobald sie sich erneut einloggen. Ermittler könnten die Internetkennung dann mit Bestandsdaten der Zugangsanbieter abgleichen und so deren Namen und Anschrift erhalten.

Das Konzept stammt vom netzpolitischen Verein D64, der der SPD nahesteht. Er bezeichnet den Ansatz als zielgerichtetes Instrument der Strafverfolgung, um Verbrechen aufzuklären – ohne die Allgemeinheit unter Pauschalverdacht zu stellen. Der sonst in SPD-Kreisen bereits geforderte Klarnamenzwang soll damit verhindert werden. Im Koalitionsvertrag heißt es: "Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab. Anonyme und pseudonyme Online-Nutzung werden wir wahren."

(mack)